Dr. Habil. Peter Berz

Das Forschungsvorhaben behandelt drei historische Fälle von Computersimulationen, zwei vom Typ der Discrete Event Simulations (DE), der dritte vom Typ der Agent Based Computer Simulations (ABCS).

Mitte der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts entwerfen der bekannte Kybernetiker Ross Ashby und sein Mitarbeiter Crayton Walker eine erste, allgemeine Theorie der Netzwerke. Die Netze bestehen aus 100 diskreten Elementen mit zwei Zuständen, jedes Element ist zufällig mit einer bestimmten Anzahl anderer Elemente verschaltet, wertet seinen Input nach einer zufällig festgelegten booleschen Tafel aus und startet bei einem zufälligen Anfangszustand. Das Verhalten eines solchen Netzes, das Ashby/Walker auf einer IBM 7094 an Heinz von Foersters BCL simulieren, ist erstaunlich: in der Regel erreicht das im diskreten Takt schaltende Netz schon nach wenigen Schritten wieder seinen Ausgangszustand. Die Anzahl der Schritte ist nicht zu berechnen, sondern nur zu erspielen. Als der spätere Chaostheoretiker Stuart Kauffman auf der legendären Hackermaschine PDP-6 zwei Jahre später die Sache auf größere Füsse stellt (400 bis 8191 Elemente), wird daraus ein Modell, das sogar biologisch triftig scheint: für die Evolution verschalteter Gene, nach Jacob/Monods Operon-Modell.

Der zweite Fall nimmt die Frage nach Computer Simulationen von ihrer  immer mit zu bedenkenden graphischen Seite aus auf.  Heinz-Otto Peitgen in Bremen und John H. Hubbard an der Cornell University entwickeln in den frühen 1980er Jahren die ersten populäreren Computerprogramme zur Sichtbarmachtung fraktaler Mengen: Bilder von Mandelbrot- und Julia-Mengen und endlose Zooms in sie. Von Fractals of Nature (1977) bei Benoit Mandelbrot bis zu Michael Barnsleys Fractals everywhere (1988) entwickelt sich aus der graphischen Simulation fraktaler Mengen ein universales Instrument zur Beschreibung selbstähnlicher Strukturen und chaotischer Prozesse. Da es sich aber bei der Simulation fraktaler Geometrien um Ereignisse im Raum der Zahlen (genauer: der komplexen Zahlen) handelt, sind keine Spieler im Spiel. Die diskreten Ereignisse finden in den Zahlen selbst statt.

Computersimulationen des sogenannten Gefangenendilemmas dagegen, jenem, „E.coli der Sozialpsychologie“ (Axelrod), lassen zwei Spieler gegen- oder miteinander antreten. Sind diese Spieler nicht alltäglich dumm wie wir, die Leute, sondern durchblicken über lange Spielsequenzen hinweg ihre strategischen Möglichkeiten, dann können sie auch als Computerprogramme gegeneinander antreten. Als der Politologe Robert Axelrod Anfang der 80er Jahre derartige Turniere mit von bekannten Spieltheoretikern entwickelten Computerprogrammen veranstaltet, erstaunt erstens, daß das kürzeste und einfachste Programm: Implementierung der Strategie Tit–for–Tat in 4 Zeilen, das beste ist; und zweitens, daß kooperative Strategien erfolgreicher sind als nicht kooperative.

Das Forschungsvorhaben möchte in der Archäologie dieser drei Fälle drei Dimensionen der Computersimulation herausarbeiten: In der einen spielt eine diskrete, boolesche Logik mit dem Zufall - nicht überblickbar, nur simulierbar. In der zweiten arbeitet sich eine unüberblickbare, nur simulierbare rekursive Logik durch den Raum der komplexen Zahlen. In der dritten erzeugt das Verhalten zweier Agenten Situationen, die nicht voraussagbar, nur simulierbar sind.  In allen drei Fällen gibt es denkwürdige Anschlüsse an Mathematik, Ökonomie, Sozialpsychologie und Biologie.

 

Vorarbeiten, Publikationen zum Thema:

„Random Nets I. Ein Tiroler Gerücht“, „Random Nets II. Amerikanische Kombinationen.“, in: Spielregeln. 25 Aufstellungen. Eine Festschrift für Wolfgang Pircher (hg. Peter Berz, Marianne Kubaczek, Claus Pias, David Unterholzner, Eva Laquièze-Waniek), Berlin Zürich (diaphanes) 2012, S. 25 – 40, 343 – 359.

„Pythagoreismus“, in: Tumult. Schriften zur Verkehrswissenschaft, Nummer 40: Friedrich Kittler, Technik oder Kunst? (hg. Walter Seitter, Michaela Ott), Wetzlar 2012, S. 57 – 69.

„Versuch über die Wölbung“, in: wespennest. zeitschrift für brauchbare texte und bilder, Themenheft „Natur“ (hg. Erich Klein), nummer 160 vom Mai 2011, S. 73 – 79.

„THE HEAD AND IN FRONTAL ATTACK ON A GERMAN PHILOSOPHER. Sprachnäherung, Sprachnähe, Sprachsimulation bei Shannon und Heidegger“, Vortrag auf dem workshop „Claude Shannon und die Medien. Ein Symposium im Museum für Kommunikation Berlin“ am 2. 6. 2010, veranstaltet von Dr. Axel Roch (Universität Groningen).

„Geschlossene und offene Maschinen“, Vortrag auf dem Gameshop „Interaktivität und Spiel“ am 10. 2. 2001 in Berlin, veranstaltet von Philipp v. Hilgers und Peter Berz, im Rahmen eines Seminars „Interaktivität“ (Berz) am Seminar für Ästhetik und Geschichte der Medien im WS 2000/2001.

„Das Labyrinth - Spiel des Wissens“, in: 7 hügel. Bilder und Zeichen des 21. Jahrhunderts (hg. Bodo-Michael Baumunk, Margret Kampmeyer-Käding). Katalog zur gleichnamigen Ausstellung Berliner Gropius-Bau 14.5. bis 29.10.2000, Bd. VII: träumen, Berlin 2000, S. 112 – 114. - Dreiteilige Installation im Rahmen der Ausstellung: ein Computerspiel und zwei historische Filme. Das Spiel implementiert (in C unter Linux) die Schaltlogik der von Claude E. Shannon konstruierten Automatenmaus 'Theseus' und einen graphisch animierten Gang durch die Weltgeschichte des Labyrinths.