Prof. Dr. Sybille Krämer

Sybille Krämer ist Professorin für Philosophie an der Freien Universität Berlin. Sie war 2000-2006 Mitglied im Wissenschaftsrat, 2005-2008 permanent fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin, 2007-2014 Mitglied im Panel des European Research Council, Brüssel, 2008-2013 Sprecherin des DFG-Graduiertenkollegs 'Schriftbildlichkeit' und 2008 - 2012 Mitglied im Exzellenzcluster 'TOPOI: Raum und Wissen in der Antike'.

Seit 2009 ist Prof. Krämer Mitglied im Senat der DFG. Gastprofessuren an der TU Wien, Max Reinhard Seminar Wien; Univ. Graz, Univ. Luzern, Univ. Zürich; Tokyo University. Ihre Arbeitsgebiete sind: Philosophie der Sprache, des Bildes und der Schrift; Medien-, Technikphilosophie und Diagrammatologie; Epistemologie und Theorie des Geistes; Kulturphilosophie; Ethik und Episteme der Zeugenschaft.

FORSCHUNGSPROJEKT

Simulation der Flächigkeit. Digitalisierung und die Kulturtechnik der Verflachung

Die Arbeit am MECS umfasst eine Forschungsaufgabe und zwei ‚Editionsaufgaben‘: (1) Das Forschungsvorhaben: Die Reflexion digitaler Aspekte im Kontext der ‚Kulturtechnik der Verflachung‘ unter dem Titel ‚Simulation der Flächigkeit‘. (2) Editionsvorhaben: Die Konzipierung eines im Fink-Verlag zu erscheinenden Bandes über die ‚erste Programmiererin‘ Ada Lovelace . (3) Publikationsvorhaben: Die Fertigstellung meiner Monographie ‚ERKENNTNIS UND FIGURATION.GRUNDLINIEN EINER DIAGRAMMATOLOGIE‘, die im Suhrkamp Verlag erscheinen wird.

(1) Das Forschungsvorhaben
Mit der Schnittstelle ‚Bildschirm‘ partizipiert die Computertechnik an einer seit alters her verbreiteten Kulturtechnik des Einsatzes von inskribierten Flächen. Lebend in einer dreidimensionalen Welt sind wir gleichwohl umgeben von bebilderten und beschrifteten Flächen, deren Gebrauch so selbstverständlich ist, dass uns kaum mehr auffällt, welche artifizielle Sonderform von Räumlichkeit ‚Flächigkeit‘ verkörpert. Doch nicht nur für die symbolischen Welten von Texten und Bildern, sondern auch für die technische Welt der Apparate ist ‚Verflachung‘ eine Maxime: Nahezu alle Technologien der Kommunikation, Information und Vernetzung definieren ihren Fortschritt auch an der Möglichkeit, Geräte beständig flacher werden zu lassen. Dies sei die ‚Kulturtechnik der Verflachung‘ genannt. Diese augenfällige Ähnlichkeit in der Entwicklung unserer symbolischen und technischen Welten ist bisher noch kaum thematisiert und erst recht nicht untersucht worden.

Die Computertechnik ist also Teil der Kulturtechnik der Verflachung. So können tablets, smartphones, handys etc. in Design und Gebrauch anknüpfen an wohlvertraute alltägliche Praktiken aus dem Zeitalter der Literalität und dem Umgang mit Texten und Abbildungen. Dies ist auch ein Zeichen dafür, dass das Band zwischen ‚Literalität‘ - verstanden als ‚Schriftlichkeit‘ - und der Computerkultur in vielen Hinsichten enger ist, als beispielsweise McLuhan oder Flusser dies erwartet hatten: Denken wir nur an die konstitutive Rolle des Binäralphabets, an die Technik des Programmierens, an die Entstehung neuer Formen verschrifteter Mündlichkeit in der elektronischen Kommunikation, oder an den Link als sich selbst bewegende Schrift etc.

Die These, die dem Forschungsvorhaben zugrunde liegt ist, dass mit Blick auf die Computersimulation die Simulation der Flächigkeit eine wesentliche Dimension bildet. Dabei ist also die Rolle der Flächigkeit keineswegs auf die Ebene der Schnittstellengestaltung zu begrenzen. So eingängig die Verflachung als apparatives Dispositiv gegenwärtiger Informations- und Kommunikationstechnologie auch ist, prägt – so die These – die Rolle der Flächigkeit die Computersimulation weit ‚tiefer‘ als nur auf der Ebene der Schnittstellentechnik. Was das bedeutet, ob sich dies also tatsächlich nachweisen lässt oder ob nicht umgekehrt, die Implementierung von Zeit, die mit der Simulation verbunden ist, gerade die Zweidimensionalität, die medial mit der Literalität verbunden ist, auf eine grundlegende Weise überwindet, gilt es zu untersuchen. Denn auf den ersten Blick scheint diese Hypothese unplausibel: Flächigkeit ist eine Form zweidimensionaler Räumlichkeit, doch die Computersimulation bedeutet im Kern die Implementierung von Zeit in räumliche Strukturen. So werden Bilder numerischer Modelle produziert, also Dynamiken hergestellt und dargestellt. Damit scheint das Prinzip der Flächigkeit in der Computersimulation gerade unterminiert bzw. aufgehoben. In welchem Verhältnis also steht die Rolle der Räumlichkeit im Zusammenhang mit der Rolle der Zeitlichkeit (= Selbstbewegung), wie sie für die Simulation generell grundlegend ist? Dies soll an ausgewählten Beispielen erörtert werden. Dabei wird zweigleisig verfahren:

(i) Einerseits wird noch einmal grundlegend die Frage, was ein Algorithmus ist, aufgeworfen. Obwohl der Algorithmus eine berechenbare Prozedur zur Exekution einer Handlungsvorschrift ist – und damit auch eine Organisationsform von Zeit – ist die Darstellung eines Algorithmus konstitutiv mit der räumlich organisierten Schriftlichkeit verbunden. Obwohl Algorithmen und Turingmaschinen nicht identisch sind, kann anhand des sequentiellen Verfahrens der Turingmaschine und ihrer tabellarisch-flächigen Notation beispielhaft die Rolle von Räumlichkeit und Zeitlichkeit auf der ‚Grundlagenebene‘ der Digitalisierung untersucht werden.
(ii) Andererseits soll ein Simulationsalgorithmus beschrieben werden im Zusammenhang der Simulation lebendiger Systeme in Gestalt ‚Zellulärer Automaten‘. Denn diese ‚Automaten‘ sind räumliche Systeme gegitterter Zellen, deren Zustände jeweils von den Zuständen benachbarter Zellen abhängen und deren Übergang in einen neuen Zustand durch eine Entwicklungsregel (deterministisch oder stochastisch) vorgegeben ist. Solche Systeme haben die Fähigkeit zur Selbstreplikation und können die Evolution einfacher Systeme simulieren kraft eines Geschehens, das trotz bekannter Ausgangsbedingungen und Entwicklungsregeln nicht vorhersagbar ist. Für diese Form von Simulation künstlichen Lebens ist es charakteristisch, dass topologische also räumliche Charakteristika flächiger Nachbarschaften für die Entfaltung der Dynamik gerade grundlegend sind. Wie verhält sich die diagrammatisch darstellbare Zweidimensionalität der gegitterten, zellulären Systeme zur digital animierten Mehrdimensionalität der Simulation?

(2) Das Editionsvorhaben ‚Ada Lovelace‘
Anlässlich des 200. Geburtstages von Ada Lovelace (1815-1852), die als Mathematikerin mit Charles Babbage zusammenarbeitete und ein Programm schrieb, wie Bernouilli-Zahlen mit der von Babbage entworfenen Maschine berechnet werden können, wird es am Heinz Nixdorf MuseumsForum eine Ausstellung zu Ada Lovelace geben, die durch den geplanten Band zu begleiten ist.

(3) Monographie: ‚Erkenntnis und Figuration. Grundlinien einer Diagrammatologie
Diese Arbeit ist zum Gutteil fertig geschrieben, doch muss sie ‚veröffentlichungsreif‘ gemacht werden.

 

Zu den zuletzt veröffentlichten Publikationen zählen u.a.:

  • "Medium, Bote, Übertragung. Kleine Metaphysik der Medialität", 
    2008 (Frankfurt a.M.)
  • Hrsg.: "Medien, Computer, Realität. Wirklichkeitsvorstellungen und Neue Medien", 
    2009, 4. Aufl. (Frankfurt a.M.)
  • Hrsg. m. H. Bredekamp: "Bild-Schrift-Zahl", 
    2008, 2. Aufl. (München 2008).