„Haben oder Sein?“

Ein Interview von Michelle Hahn

Pia und Tobi leben beide seit fast einem Jahr ohne Geld. Heizung? Braucht man nicht, gibt ja Pullis! Lebensmittel? Foodsharing! Miete? Wenn man im Gegenzug auf die Kinder der Vermieterin aufpasst, geht auch das. Und Klamotten? Gibt’s im Umsonstladen! Das Konfernzgezwitscher hat mit den beiden über ihre Utopie einer Gesellschaft des Schenkens gesprochen und darüber, wie einfach geldfreies Leben geht.

Ihr lebt zwar ohne Geld, aber trotzdem skypen wir grade. Woher habt ihr den Computer?
Tobi: Der Computer ist noch aus alten Studientagen. Wir leben zwar geldfrei, aber so ein paar Gegenstände haben wir noch aus dem alten Leben mitgenommen.

Wie ist es dazu gekommen, dass du dich für ein geldfreies Leben entschieden hast?
Tobi: Das ist ein langer Prozess gewesen, viele Meilensteine haben da mitgewirkt.
Studiert habe ich damals ohnehin nur mit der Intention, dass ich später Geld verdiene, über die Runden komme und meinen Grundbedürfnissen gerecht werde.

Was sind eure Utopien?  Blog: www.livingutopia.org
Pia: Unsere Utopie ist ein solidarischeres Miteinander zu schaffen, in dem Geld keine Rolle spielt. Wir wollen bereits ein praktischer Teil dieser Gesellschaft sein und sehen uns deshalb auch als Einsteiger_Innen und nicht als Aussteiger_Innen.
Tobi: Mit Geldfreiheit geht auch Solidarität einher. Wir unterscheiden nicht mehr zwischen Besitzenden und Besitzlosen, sondern wir sind einfach alle Lebewesen, die miteinander leben können und das ist großartig. Diese Welt wird auch viel ökologischer sein, denn statt dem Hamsterrad des „Immer mehr“ reicht es auch mal, genug zu haben oder einfach zu sein. Mit Erich Fromm gesprochen: „Haben oder Sein?“

Ihr strebt also eine Welt an, in der alle Menschen tauschen?
Tobi: Wir gehen noch einen Schritt weiter. Es gibt auch Gemeinschaften, die nur geschenkt haben. Und da wollen wir hin! Jeder von uns hat ein Talent und das schenken wir dann auch gerne der Gemeinschaft.
Pia: Wir möchten das Konzept von Leistung und Gegenleistung reflektieren. Wenn ich etwas gerne schenke oder gerne mache, dann kann ich das bedingungslos tun. Einfach aus Freude und mit der Absicht, die Freude im Gesicht des Gegenübers zu sehen.

Und wie verwirklicht ihr eure Utopien bereits?
Pia: Das Alternative Winterzusammenkommen zum Beispiel ist ein Zusammenkommen, das wir letztes Jahr über die Weihnachts- und Silvestertage organisiert haben. Sehr spontan haben wir ein paar Menschen angeschrieben und dann ein Kinder- und Jugendzentrum in der Nähe von Hannover gefunden, deren Räumlichkeiten wir in deren Schließzeiten nutzen durften. Da haben wir dann vom 23.Dezember bis zum 1. Januar das Zusammenkommen mit 20 anderen Menschen veranstaltet. Wir haben geschaut, welche Potenziale sind in der Gruppe, wer hat welches Talent, wer macht was gerne? Dadurch sind viele spannende Workshops entstanden wie natürliche Landwirtschaft, Improtheater oder gewaltfreie Kommunikation und wir haben nur mit geretteten Lebensmitteln gekocht und gegessen, es war alles geldfrei organisiert. Das Zusammenkommen zeigt wahrscheinlich ein kleines Stück von unserer Utopie, die wir jetzt schon leben können.
Tobi: Wir hatten 1000 Bananen!

Wie lebt man ohne Geld? Wie zahlt man Miete?
Tobi: Auch hier ist unser Motto: Vorhandenes besser nutzen. Unser neuer Lebens- und Wirkraum ist in einem Zimmer bei wundervollen Menschen, die diesen Raum über hatten.

Wie macht ihr das mit Nebenkosten?
Tobi: Möglichst energieeffizient und ressourcenschonend leben. Dann sind die Nebenkosten eigentlich kaum bemerkbar.
Pia: Wir haben keinen Kühlschrank.
Tobi: Und keine Heizung, denn wir brauchen das einfach nicht, man kann sich ja auch einen Pullover anziehen, wenn’s kalt wird.
Pia: Aber kalt ist es hier nicht!
Tobi: Mir ist sogar grad ziemlich warm durch das Diskutieren und Reden.

Und Lebensmittel?
Tobi: Foodsharing!
Pia: Wo wir leben gibt’s es auch einen Verteiler und da wir in dem Bereich ziemlich aktiv sind, offizielle Nomadenbotschafter_Innen sind, holen wir unser Essen eigentlich immer dadurch. Wir sind selten an Containern, sondern schließen gleich Kooperationen mit Unternehmen, damit das Essen auch nachhaltig gerettet wird.
Tobi: Heute haben wir zum Beispiel einen ganzen Sack Fladenbrot abgeholt. Pro Filiale werden in Deutschland durchschnittlich 45kg Lebensmittel am Tag weggeworfen. Unfassbar!

Ihr seid durch Teile Europas getrampt, um eure Ideen zu verbreiten. Was war die schönste Erfahrung während dieser Reise?
Pia: Schöne Erlebnisse gab es ganz viele. Sehr schön fand ich zum Beispiel, als wir in Frankreich auf der Suche nach Essen waren und Lebensmittel retten wollten. Wir sind von Stand zu Stand gegangen und haben gefragt, ob sie uns das geben können, was sie nicht mehr verkaufen können und wegschmeißen würden. Ein Verkäufer meinte zu uns „Ne, ich gebe euch nicht das, was ich wegschmeißen möchte. Ich mach keinen Unterschied zwischen Leuten, die Geld haben oder die kein Geld haben. Ihr bekommt alles, was die anderen auch bekommen.“ Das fanden wir natürlich großartig, was aber eigentlich nicht unsere Intention ist und dann konnten wir ihm ein paar Tage später doch noch klar machen, dass wir das andere auch noch gerne retten würden.

Ihr stellt euch gegen die Konventionen der Gesellschaft. Kommt eure Arbeit immer gut an?
Tobi: Wir treffen auch auf Menschen, die im gehobenen Alter sind und sehr strikt im kapitalistischen System ganz viel Geld verdient haben. Wir wurden beim Trampen zum Beispiel schon mal von einem Porsche Cayenne mitgenommen und der Fahrer war überzeugt, dass er das Gegenteil von uns ist. Aber im Laufe des Gespräches meinte er, dass er unsere Visionen in Kindertagen auch gespürt hat. Und deswegen glaube ich, egal wie weit wir die Konventionen brechen, dass ganze viele diese Gedanken in sich schlummern haben.
Pia: Es ist auch nicht so, dass wir nie Kritik bekommen, aber das würde ich nicht als schlimm bezeichnen, sondern eher als netten Austausch.
Tobi: Die Menschen sind neugierig.
Pia: Vor allem lässt es einen sich selbst auch immer wieder reflektieren.

Heute ist Valentinstag, was haltet ihr von Tagen wie diesen? Kapitalistischer Schwachsinn oder doch ganz romantisch?
Tobi: lacht.
Pia: Die Grundidee ist ja generell schön, nur mittlerweile hat sich das Ganze eher zu kapitalistischem Schwachsinn ausgeweitet. Eigentlich sollte doch jeder Tag Valentinstag sein.