Zwischenzeiten - Eindrücke vom Zukunftsfestival
von Lucia Theiler
Das Zentral-Gebäude spiegelt Sonnenlicht, als ich die letzten Meter zum Eingang zurücklege. Das Foyer ist hoch, die Fenster sind asymmetrisch.
„Hier gibt es keine rechten Winkel“, wird man mir später sagen. Und es passt zum Anlass, denke ich, ist so vielseitig wie die Menschen, die sich hier an aufgebauten Stehtischen das erste Mal treffen. Wir lösen zischend Fritz-Cola-Deckel und folgen den Organisatoren in einen dunklen Saal, an dem Beamer gelbe Buchstaben an die Wand werfen: „Helmut Schmidt Zukunftsfestival.“
Vorträge zu Künstlicher Intelligenz, Interviews zum Demokratieschutz und Projektarbeit zum Klimawandel: Es sind drei Tage, die mit einer Fülle an Information und Ideen beginnen. Wir trinken überdurchschnittlich viel Kaffee, während wir versuchen, uns gegenseitig kennenzulernen und die Zukunft, die wir uns wünschen, auch.
Überraschend interessant sind die Pausen, die kleinen Zwischenzeiten, in denen wir den Menschen begegnen, die sonst auf Bühnen stehen. Wenn wir Gespräche führen, die intuitiv entstehen und ohne Zeitplan enden. Tatsächlich erfahre ich jenseits von Projekt- Mind-Maps und Dia-Shows, jenseits von Vorträgen und Interviews besonders persönliche Eindrücke.
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Ins Handeln kommen. (Tiaji Sio)
Ich teile mit einer Diplomatin den Flaschenöffner und spreche über Diversität, die erkämpft werden muss und alte weiße Männer in hohen Positionen. Sie hat zwei Master gemacht, einen in den USA, den anderen in England. Dennoch winkt sie ab, als ich sie darauf anspreche.
„Ich war so beschäftigt, weiterzukommen, es irgendwem zu beweisen.“
Sie hängt den Flaschenöffner zurück an den Getränke-Kühlschrank und sieht mich nachdenklich an.
„Bis ich gemerkt habe, dass es darum eigentlich gar nicht geht. Dass ich die Sachen, die ich gern machen möchte, eigentlich schon machen kann.“
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Große Ziele setzen. (Lilith van Amerongen)
Beim Mittagessen lerne ich die Frau kennen, die – wenig älter als ich - als Erste den Südpol erreichen möchte.
„Ich hatte einfach das Gefühl, um die Aufmerksamkeit auf den Klimawandel zu richten, will ich etwas machen. Ich will meinen Kindern nicht später in die Augen sehen, und sagen: Ich wusste, was passiert – und naja, habe einfach so weitergelebt.“
Sie hat eine Outdoor-Guide-Schulung in Norwegen absolviert und überlegt, wie sich das, was sie gut kann, mit dem verbinden lässt, was ihr wichtig ist. Die Polkappen schmelzen und sie will zeigen, wie schnell.
„Ich werde Schneeproben sammeln für das Leibniz-Institut – und bin auf der Suche nach einem Film-Team, das mich begleitet.“
Wir nicken beeindruckt. Mit nicht viel mehr als einem Zelt und Langlaufskiern möchte sie im Herbst losstarten, als erste Frau an den südlichsten Punkt der Welt.
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Zukunft neu denken. (Van Bo Le-Mentzel)
Später trinke ich neben einem Tiny-House-Architekten schwarzen Kaffee, blicke dabei abwechselnd durch die schrägen Fenster auf den Leuphana-Campus und auf seinen Smartphone-Bildschirm. Er zeigt dort Bilder von den minimalistischen Wohnräumen, die er entwickelt hat. Anders als die Influencer-Container, die ich von Instagram kenne, stehen sie nicht im Grünen, sondern im Asphaltdschungel der Hauptstadt. In Berlin.
„Mich beschäftigt das parkende Auto“, sagt er. „Es ist doch paradox: Sobald ein Auto am Straßenrand abgestellt wird, nimmt es Raum ein. Unbelebter Raum, denn die Besitzer steigen aus.“
Er schüttelt den Kopf.
„Wir zeigen mit den Tiny-Houses, dass die schmalen Seitenstreifen von Straßen ein großes Potenzial bieten. Dort können Menschen wohnen. Dort können aber auch kleine Läden entstehen, oder gesellschaftliche Zentren.“
Bezahlbarer Wohnraum und urbane Mobilität – es sind große Fragen, die der Architekt mit besonders kleinen Häusern lösen möchte.
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Erfolg hat seinen Preis. (Luisa Neubauer)
Auf dem Weg zum Lagerfeuer begegne ich schließlich der Frau, die im Laufschritt zu leben scheint. Die eine Tik-Tok-Kampagne gegen rechts dreht – direkt nachdem sie ein zweistündiges Interview gegeben hat.
Wir rufen den linken Fahrstuhl, stattdessen fahren die Türen des rechten zur Seite. Dahinter die Klimaaktivistin in dem Raum aus Spiegeln und Metall, bereits auf dem Weg nach unten. Zwei breitschultrige Männer stehen neben ihr: Personenschutz.
„Sorry!“ Die Fahrstuhltüren schließen sich wieder und wir sehen uns betreten an. „Die muss wahrscheinlich direkt weiter.“
„Wusstet ihr, dass sie gestern noch in Dresden war?“
„Und morgen in Berlin.“
„Crazy, oder?“
Und noch während wir darüber sprechen, wie jemand einen so vollen Terminkalender haben kann, denke ich über etwas anderes nach: Die Tatsache, dass sie nicht alleine war. Es sind diese kleinen Dinge, die wir in den Talkshows und Instagram-Storys nicht sehen.
„Sie hat letztens darüber berichtet, dass sie ständig bedroht wird“, nickt meine Zimmernachbarin, als ich ihr abends davon erzähle. Wir machen uns Sorgen um die Aktivistin, die auch nur Mensch ist. Die Stirnfalten hat und zwei Bodyguards, die sie begleiten, wenn sie den Raum verlässt.
Sie hat ihre Freiheit aufgegeben, um für eine bessere Welt zu kämpfen, denke ich. Und keine Zeit, weil der Klimawandel nicht auf uns wartet.
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