Professor Kleinknecht, waren wir im Bereich des digitalen Lernens gut auf die Corona-Krise vorbereitet?
Nein, aber das konnten wir auch gar nicht. Mit so einer plötzlichen Entwicklung hat niemand gerechnet. Wir sind aber auf einem guten Weg. Im vergangenen Jahr wurden vom Bund allein fünf Milliarden Euro für den Digitalpakt bewilligt. Das Geld soll insbesondere in die Hardware-Ausstattung der allgemeinbildenden Schulen gesteckt werden. Im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung werden noch in diesem Jahr an der Leuphana neue Lehrveranstaltungskonzepte zum Einsatz digitaler Medien im Unterricht entwickelt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Projekt mit 2,1 Millionen Euro.
Wie kann ein guter digitaler Unterricht aussehen?
Kurz gesagt: An Lernzielen orientierte, variantenreiche Aufgaben stellen, den Lernerfolg auf digitale Weise häufig überprüfen und allen Schüler*innen Feedback zu ihrem Lernprozess und Lernerfolg geben. Im letzten Schritt sollte insbesondere auf die Schwächeren in stärkerem Maße eingegangen werden. Schule hat zwei wichtige Ziele: Leistung zu ermöglichen und die Leistungsvarianz zu vermindern. Beides ist durch den digitalen Heimunterricht nicht einfach zu realisieren. Durch die zusätzliche Unterstützung ihrer Eltern lernen jetzt gerade sozial privilegierte Kindervermutlich maximal. Kinder aus sozial schwächeren Umfeldern hingegen könnten zu den Verlierern der Krise werden. Deshalb brauchen wir engagierte Lehrkräfte. Aus vielen Studien wissen wir, wie wichtig die direkte Ansprache und ein qualitativ hochwertige Lernbegleitung für das Lernen dieser Kinder ist. Videotelefonate sind also ein wichtiges Werkzeug. Leider hören wir aber auch von Lehrkräften, die den Kindern jetzt einmal in der Woche die Aufgaben schicken und es dabei belassen. Ich vermute, dass oftmals Verantwortliche fehlen, die steuern und kontrollieren, wie im Moment unterrichtet wird. Wir brauchen für die Corona-Zeit genauso Standards wie für den normalen Schulunterricht: Was muss eine Lehrkraft jetzt mindestens machen? Dies sollten die Kultusministerien unbedingt festlegen. Umgekehrt dürfen wir die engagierten Lehrer*innen auch nicht allein lassen. Gute Schulleiter*innen unterstützen diese Lehrkräfte und geben ihnen Feedback. Wir als Gesellschaft sollten auch die Lehrkräfte für diese Leistung in Krisenzeiten wertschätzen und ihnen Mut machen.   
Viele Lehrer*innen, aber auch Eltern, greifen jetzt auf das Internet zurück. Welche Angebote sind gut, welche schlecht?
Das Angebot im Netz ist vielfältig, unübersichtlich und leider auch teilweise unseriös. Es gibt Praxisempfehlungen, z.B. des Grundschullehrer*innenverbandes. Ich würde mich aber immer bei den Lehrkräften rückversichern, bevor ich mich blind auf ein Internetangebot verlasse. Für die Forschung zu wirksamen Internetangeboten, also zum informellen Lernen von Kindern, etwa über Erklärvideos, ist noch einiges zu tun. Und auch für Lehrkräfte gibt es schon lange ganze Unterrichtsentwürfe und Materialpakete im Netz. Dazu kommt das informelle Lernen im Netz, also wenn sich Lehrer*innen über Lerninhalte informieren oder sich per Suchmaschine Begriffe erklären lassen. Das machen wir eigentlich alle, über den tatsächlichen Effekt auf die Unterrichtsqualität und das Lernen der Schüler*innen wissen wir aber nur wenig.
Sie forschen zu digitaler Fortbildung von Lehrkräften. Warum war Vernetzung schon vor Corona wichtig?
Viele Lehrer*innen-Fortbildungen sind immer noch singuläre Präsenzveranstaltungen: Man trifft sich einmal, tauscht sich im besten Fall aus und sieht sich höchstwahrscheinlich nie wieder. Digitale Fortbildungen ermöglichen es, Inhalte zeitflexibel zu vermitteln und Lehrkräfte räumlich unabhängig zu vernetzen. Auf diese Weise kann das Lernen der Lehrkräfte und der Austausch über Erfahrungen intensiviert werden. Zudem fallen lange Anfahrten weg. Unser aktuelles Forschungsprojekt „E-LANE“ in Zusammenarbeit mit der Universität Potsdam beschäftigt sich damit. Der Projektname steht für E-Learning-Angebote sowie deren Nutzung und Erträge. Hier klafft noch ein Forschungslücke. In vier Teilstudien untersuchen wir, wie sich Angebot und Nutzung in verschiedenen Bundesländern unterscheiden. Derzeit planen wir Fragebogenerhebungen in Brandenburg, Berlin und Schleswig-Holstein, um zu erfahren, wie sich digitale Fortbildungsangebote lernwirksam gestalten lassen.

„Erfolgreiches Lehren und Lernen zu Hause und in der Schule! 5 Tipps für Eltern und Lehrkräfte“ lautet die Überschrift der kostenlosen Home-Session am 7. Mai. Das digitale Format startet um 15 Uhr. Die Informationen zu Format und Online-Zugang erhalten Sie unter diesem Link.

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  • Prof. Dr. Marc Kleinknecht