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Lehrveranstaltungen

Suchmaschinen. Medien(technik)geschichten des Suchens und Findens (Seminar)

Dozent/in: Sebastian Vehlken

Termin:
wöchentlich | Donnerstag | 12:15 - 13:45 | 06.04.2020 - 10.07.2020 | C 11.320 Seminarraum | digitale Veranstaltung

Inhalt: Mit »googlen« ist ein Verb in die Alltagssprache eingegangen, dessen Schreibweise (im Deutschen) zwar stets etwas schräg von der Hand geht, dessen Allgegenwart jedoch unmißverständlich klarstellt, welch universale Funktion Suchmaschinen für uns ›Heutige‹ erlangt haben. Der Züricher Wissenschaftshistoriker David Gugerli schreibt, dass die Suchmaschien Google – fest eingebaut in jeden Internetbrowser – die Routinen unseres Lebens bestimme und kaum mehr aus dem Bewußtsein der Gegenwart wegzudenken sei. Feuilletons gehen der Frage nach, ob Google uns die Kontrolle über unser Denken raube, gar unsere Gehirnstruktur verändere; Forscher untersuchen, inwieweit Google jegliche Privatsphäre zerstöre und welche veränderten Machtverhältnisse und Politiken mit dieser Technologie einhergehen; Informatiker rekonstruieren die Funktionsweisen und Strukturen seiner Algorithmik (Stichwort ›Suchmaschinenoptimierung‹); und Medienwissenschaftler schreiben die Entstehungsgeschichte und Genealogie dieser Anwendung. Die Rekonstruktion des diskursiven und technischen Phänomens Google ist somit ein erstes Anliegen dieses Seminars. Doch Suchverfahren sind natürlich längst nicht erst seit Google elementare Kulturtechniken, bei denen – und dies wäre bereits ein zweiter Aspekt – verschiedene Strategien des Suchens und verschiedene Kategorien dessen, was es überhaupt heißt, etwas zu ›finden‹, unterschieden werden müssen. Wir werden daher ganz unterschiedlich Suchverfahren auf ihre je differierenden Materialitäten und Medien miteinander vergleichen: Darunter fallen z.B. verschiedene Formen des Spurenlesens: von Techniken des Jagens bei Naturvölkern über detektivische Praktiken (wir denken an den paradigmatischen Fall von Sherlock Holmes) des Sehens und (Re-)Kombinierens von Indizien, hin zu aktuellen Verfahren kriminalistischer Spurensicherung (CSI). Dazu gehören aber auch unterschiedliche Ansätze der medientechnischen Detektion und Prozessierung von Informationen: Zu denken wäre dabei z.B. an die Suche nach U-Booten im Kalten Krieg, die Suche nach außerirdischer Intelligenz (SETI), die (militärische) Luftaufklärung (die sich heute im hobbyistischen Identifizieren von ›strange places‹ auf Google Maps wiederholt), an die Rasterfahndung, die seit den 1970ern als Antwort auf die Aktionen der Rote Armee Fraktion eingesetzt wurde, oder an das Debugging, die Suche nach Fehlern, in elektronischen Computersystemen selbst. Drittens wollen wir uns in diesem Kurs fragen, welche übergreifenden kulturellen und sozio-politischen Effekte haben bzw. auf welche Bedingungen und Anforderungen sie reagieren. Suchmaschinen können nicht nur zur Beschreibung der Wirklichkeit dienen, sondern führen zugleich zu Änderungen im »Programm der Gegenwart«. Mit David Gugerli kann man ihren Bedeutungszuwachs anknüpfen an eine seit den 1960er Jahren zunehmende Erosion der Moderne: »Kundinnen und Güter, Verbrechen und Täter, […] Arbeitskräfte und Jobs, Wohnungen und Mieter oder Investoren und Kreditnehmer sollten jederzeit und in schnell wechselnden Konstellationen miteinander verbunden werden können. Ressourcen sollten immer erst dann gebunden werden, wenn man darauf vertrauen konnte, dass sie tatsächlich auch gebraucht wurden.« Wir wollen analysieren, inwiefern Suchmaschinen einerseits als emanzipatorische Medientechniken beschrieben werden können, die z.B. ganz neue Wissenszugänge, Freiheiten und Möglichkeiten der Wahl (z.B. LinkedIn, Elite Partner etc.) eröffnen. Und wir wollen uns zugleich fragen, inwieweit sie zugleich stets auch schon jene neuen Macht- und Selbstoptimierungsordnungen begründen, für die z.B. Gilles Deleuze den Begriff der ›Kontrollgesellschaften‹ prägte. Kurz: Wir wollen untersuchen, inwiefern erst Suchmaschinen als Medien uns zu »flexiblen Menschen« (Richard Sennett) konfiguriert haben.