Fulbright Visiting Scholar: Greta Gaard – „Wissenschaft und Aktivismus gehören zusammen“

29.06.2022 Greta Gaard ist Professorin für Englisch an der University of Wisconsin, River Falls in den USA und gehört zu den führenden Wissenschaftler*innen im Bereich des Ökofeminismus. Derzeit lehrt sie im Rahmen des Fulbright Visiting Scholar-Programms am Institute of English Studies.

Greta Gaard ©Leuphana/Anastasia Adasheva
„Es geht darum, aus einer feministischen Perspektive zu betrachten, wie wir die Umwelt sehen, wie wir die Probleme der Umweltgerechtigkeit verstehen und wie wir für diese bessere Lösungen finden können", sagt Greta Gaard über ihren Forschungsschwerpunkt, dem Ökofeminismus.

Die US-Amerikanerin Greta Gaard lehrt seit Beginn des Sommersemesters zwei Kurse in Lüneburg: „Environmental and Climate Justice Narratives“ und „Animal Studies: Three Approaches through the Lens of Literature, Art, and Film“. „Ich bin wirklich dankbar für das Interesse an meiner Arbeit und die Einladung an die Leuphana Universität. Die Studierenden sind wunderbar – sie sind klug, wissbegierig und kreativ“, sagt Gaard. „Feministische Forschung hat ihren Ursprung in der Erfahrung von Unterdrückung und dem Wunsch, diese Unterdrückung zu beenden. Davon ausgehend haben Feminist*innen jeden Winkel untersucht, sei es soziale Gerechtigkeit, rassistische Strukturen – oder eben Klimagerechtigkeit“, erklärt Gaard ihren Forschungsschwerpunkt. Der Ökofeminismus stünde auf den Schultern des Feminismus. „Es geht darum, aus einer feministischen Perspektive zu betrachten, wie wir die Umwelt sehen, wie wir die Probleme der Umweltgerechtigkeit verstehen und wie wir für diese bessere Lösungen finden können.".

Greta Gaard setzt sich seit vielen Jahren mit Themen innerhalb der sogenannten „Animal Studies“, aus denen der Ökofeminismus unter anderem hervorging, auseinander, insbesondere hinterfragt sie das Verhältnis von Mensch und Tier: „Ich hatte schon früh eine Affinität zu Tieren – so wie schätzungsweise alle Kinder. Wir lernen bestimmte Dinge, zum Beispiel, dass es normal ist, dass wir am Tisch und Hunde vom Boden essen oder dass Zootiere ihr ganzes Leben in Käfigen verbringen. Wir bekommen von klein auf die menschliche Überlegenheit vermittelt, aber mit dieser Vorstellung werden wir nicht geboren. Ich unterscheide nicht zwischen Mensch und Tier. Ich bin ein Tier. Warum werden wir also unterschiedlich behandelt?“ Als sie aufs College ging entwickelte sich dieser Standpunkt zu einem wissenschaftlichen Interesse: „Ich glaube, viele junge Leute, und ich spreche da aus eigener Erfahrung, entwickeln ihre Ideen durch eine Art dialektischen Prozess der Meinungsverschiedenheiten. Es war sehr hilfreich, auf dem College andere Theorien kennen zu lernen und zu merken: ‚Das sehe ich anders‘. Eines Tages sagte mir mein Professor: ‚Gut, dann schreib deine eigene Sichtweise auf, wenn du sie in den Theorien nicht findest.‘ Wenn du nirgendwo in den Wissenschaften eine Theorie findest, die genau deinen Werten entspricht, bist du dafür verantwortlich, diese selbst zu entwickeln.“

Greta Gaard ist nicht nur eine internationale Wissenschaftlerin, sondern auch eine Aktivistin. Wissenschaft und Aktivismus hängen für sie ganz selbstverständlich zusammen. „Wenn man wirklich an etwas glaubt, warum sollte man sich dann nicht entsprechend verhalten und handeln? Es gibt ein Wort dafür, wenn man das nicht tut: Heuchelei. Und das Wort für die Übereinstimmung ist Integrität. Warum sollten wir also denken, dass diese Bereiche voneinander getrennt sein sollten? Wissenschaft und Aktivismus gehören zusammen."

Der Zusammenhang von Wissenschaft und Aktivismus war auch Thema einer Panel-Diskussion an der Universität Tübingen, an der Gaard Mitte Juni beteiligt war. „Die Teilnehmenden, die für die Zusammengehörigkeit von Wissenschaft und Aktivismus plädiert haben, kamen aus unterschiedlichen Fachbereichen. Eine der Wissenschaftler*innen hat selbst eine Beeinträchtigung und forscht gleichzeitig auf dem Gebiet der Disability Studies – wie könnte Sie sich nicht auch aktivistisch dafür einsetzen? In den USA gibt es die Redewendung: ‚That is purely academic‘. Das heißt, es hat keinen Zweck. Man redet nur darüber, aber man tut nichts. Die Wissenschaft ist dazu da, um genutzt zu werden – in unserem täglichen Leben.“ Aus der Perspektive ihrer Forschung rund um den Ökofeminismus bedeute dies etwa, einen nachhaltigen und umweltbewussten Lebensstil zu pflegen und dabei gleichzeitig anzuerkennen, dass es nicht nur individuelle Veränderungen, sondern vor allem eine strukturelle Veränderung des Systems braucht, um etwas für den Umweltschutz zu bewirken. „Wenn man mit den Leuten spricht, die diese schädigende Struktur aufrechterhalten, wie viel Glaubwürdigkeit hat man dann, wenn das eigene Leben nicht in Einklang mit den Forderungen steht? Man muss also seinen eigenen Beitrag leisten und gleichzeitig an den Strukturen arbeiten.“