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Müssen Unternehmen noch Miete zahlen? Jurist Prof. Alexander Schall im Interview

06.04.2020 Was ändert sich juristisch bei gewerblichen Mietverträgen? Einige große Unternehmen wie Adidas, Deichmann oder H&M kündigten bereits an, keine Miete für ihre Läden mehr zahlen zu wollen. In seiner neusten Forschungsarbeit zeigt Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Alexander Schall auf, was der juristische Sachstand ist.

Müssen Unternehmen während der Pandemie Miete für ihre Geschäfte zahlen?
Die Antwort ist komplex, lautet aber kurz gesagt: in der Regel nein! Zwar gilt nach dem frisch verabschiedeten Covid-19-Gesetz, dass wirtschaftliche Schwierigkeiten kein Recht auf Mietkürzung geben, sondern nur einen Aufschub gewähren. Jedoch gilt nach allgemeinem BGB auch: keine Gegenleistung ohne Leistung. Während der behördlich verfügten Schließungen ist die vertragliche Nutzung unmöglich (§ 275 Abs. 1 BGB). Damit entfällt im Gegenzug die Mietzahlungspflicht nach § 326 Abs.1 BGB. Bei Teilschließungen, wenn z.B. der Straßenverkauf noch möglich ist, ist die Miete anteilig nach dem Verhältnis zwischen der möglichen und der unmöglichen Nutzung zu mindern (§ 326 Abs. 1 i.V.m. § 441 Abs. 3 BGB).
Zum Teil waren die Innenstädte freilich schon vor den Schließungen leer, und werden es möglicherweise danach auch noch sein. Dann könnte eine temporäre Mietminderung nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) in Betracht kommen.
Gibt es einen Unterschied zwischen kleinen Unternehmen – etwa Eisdielen – und großen Unternehmen – zum Beispiel Bekleidungsketten?
Die Grundsatz „Keine Gegenleistung ohne Leistung“ nach §§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 BGB gilt ausnahmslos für jedermann, Private wie Unternehmer, Kleinunternehmen wie Großkonzern. Beim Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB sowie beim Corona-bedingten Kündigungsschutz nach Art. 240 § 2 EGBGB kommt es dagegen auf die individuelle Leistungsfähigkeit an. Das wirkt für kleinere Unternehmen anders als für kraftstrotzende Großkonzerne.
Was bedeutet „Wegfall der Geschäftsgrundlage“?
Das ist seit 2002 unmittelbar in § 313 BGB definiert. Kurz gesagt geht es darum, dass ein Vertrag infolge veränderter Umstände für einen Teil sinnlos oder unzumutbar geworden ist. Das Lehrbuchbeispiel ist die Miete eines Fensters, von dem aus Sie den Karnevalszug in Köln ansehen wollen, der dann aber abgesagt wird (wie z.B. 1991 wegen des ersten Golfkriegs geschehen). Natürlich könnten Sie noch am vereinbarten Tag in die Wohnung kommen und aus dem Fenster sehen. Aber es wäre sinnlos, und daher müssen Sie dafür auch nicht mehr bezahlen. Hier gilt „pacta sunt servanda“ nicht. Mein Argument lautet: Die Ladenmiete in einer entvölkerten Geisterstadt ist ebenso zwecklos wie die Fenstermiete beim abgesagtem Karnevalszug.
Aber bitte nicht falsch verstehen. § 313 BGB ist eine sehr eng begrenzte Ausnahme. Er greift keineswegs immer, wenn sich irgendwelche Erwartungen nicht erfüllen. Der Juwelier braucht den Trauring nicht zurückzunehmen, wenn Sie der Partner vor dem Altar stehen lässt.
Gibt es dafür einen Präzedenzfall? Ist derlei schon einmal eingetreten?
Die Corona-Pandemie ist in ihrer Art und Wirkung auf die globalisierte Welt bislang einmalig. Aber generell sind Wirtschaftskrisen, Naturkatastrophen und Kriege natürlich nichts Neues. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage wurde vom Reichsgericht in der Zeit der Hyperinflation 1922/23 anerkannt, um Zahlungspflichten mit der „Aufwertungsrechtsprechung“ anzupassen. In einem anderen Fall wurde ein Pächter geschützt, der in der Berlinkrise nach dem Krieg das Einzugsgebiet für die Milch verlor, die seine Käseproduktion benötigte, und daher die Pacht nicht mehr erwirtschaften konnte.
Wie unterscheidet sich die Situation bei privaten Mietverträgen?
Bei privaten Mietern (wie übrigens auch bei anderen gewerblichen Mietern, die Büros, Lager oder Produktionsstätten anmieten) wird durch Corona vielleicht die Miete zu teuer, aber nicht die Nutzung des Mietobjekts „sinnlos“. Der Gesetzgeber hat sich dafür entscheiden, darauf nur mit dem erweitertem Kündigungsschutz nach Art. 240 § 2 EGBGB zu reagieren, nicht aber mit Mietminderungen. Dahinter steckt der ordnungspolitische Gedanke, dass die Bekämpfung von Armut Aufgabe des Sozialrechts, nicht aber des Zivilrechts ist.
Adidas reagierte auf den breiten Vorwurf des unsolidarischen Verhaltens und kündigte an, nun doch weiter Miete zu zahlen. Werden andere Unternehmen folgen?
Das wird sich weisen. Es wäre nicht notwendig eine gute Idee. Wer Miete zahlt, obwohl er das nicht muss, verschenkt Geld. Vorstände, die das Geld der Aktionäre verwalten, machen sich dadurch möglicherweise sogar der Untreue nach § 266 StGB strafbar.
Was würden Sie Unternehmer*innen raten?
Suchen Sie das Gespräch mit dem Vermieter, aber holen Sie auch Rechtsrat ein. Die Rechtslage ist komplex. Namentlich die Vorstände großer Handelskonzerne müssen sorgfältig zwischen der Wahrnehmung ihrer Rechte aus §§ 275, 326 BGB bzw. § 313 BGB gegen die Mietzahlungspflicht und etwaigen Reputationsverlusten abwägen. Da stehen hohe Millionenbeträge auf dem Spiel.
Vielen Dank!
Alexander Schall ist Professor für Deutsches, Europäisches und Internationales Privat- und Unternehmensrecht sowie für Rechtsvergleichung an der Leuphana Law School. ©Leuphana/Brinkhoff/Mögenburg
Alexander Schall ist Professor für Deutsches, Europäisches und Internationales Privat- und Unternehmensrecht sowie für Rechtsvergleichung an der Leuphana Law School.

Die Publikation „Corona-Krise: Unmöglichkeit und Wegfall der Geschäftsgrundlage bei gewerblichen Miet- und Pachtverträgen“, erscheint Mitte April in der Juristenzeitung (JZ) 2020, Heft 8, auf S. 388 ff.