Verabschiedung: Prof. Dr. Höger: „Auf die freundliche Art“

04.01.2023 Rainer Höger, Professor für experimentelle Wirtschaftspsychologie am Lünelab geht in den Ruhestand. Sein Spezialgebiet ist die Arbeits- und Ingenieurspsychologie an der Schnittstelle von Psychologie und Technik. Wie sich Lärm auf kognitive Prozesse auswirkt, warum sich ein Wirtschaftspsychologe mit Kunst beschäftigt und was er nun als Emeritus plant, erzählt er im Interview.

Prof. Dr. Rainer Höger ©Leuphana
„Dabei geht es auch um das Emanzipative und darum, nicht immer gleich die Überwachungskeule herauszuholen. Sondern, dass man versucht, die Leute zu inspirieren von sich aus das Verhalten zu ändern.“
Ihr erstes Forschungsprojekt in Lüneburg behandelte menschliche Fehler in der Industrie. Worum ging es genau?              
Es ging damals um folgende Frage: Wie kann man Probleme aus dem Weg räumen, damit keine Arbeitsunfälle entstehen, insbesondere bei gefahrenintensiven Arbeitsplätzen. Der Klassiker ist die Metallstanze. Da müssen die Leute, die sie bedienen, links und rechts einen Knopf drücken, damit sie die Hand nicht in die Stanze kriegen.
Was hat das mit Psychologie zu tun?
Es sind immer Individuen involviert. Und die handeln nach psychologischen Grundsätzen. Ein Beispiel wäre die Schichtübergabe: Wenn die Leute sich gegenseitig nicht richtig informieren, was Sache ist, kommt es zu Missverständnissen. Helfen kann dann ein Kommunikationstraining. Dabei geht es dann um Psychologie und Kommunikation.
Sie haben 2008 etwas zu Geschmack gemacht. Worum ging es da?
In einem Gemeinschaftsprojekt mit meinem Kollegen Prof. Friedrich Müller hatten wir damals die Idee, dass man an der Gesichtsmimik zumindest rudimentäre Geschmacksempfindungen identifizieren kann. Wenn sich jemand ekelt, verzieht er das Gesicht zum Beispiel auf charakteristische Weise. Oder wenn etwas sauer ist. Das kennt man. Dann zieht sich der Mund zusammen.
Wie haben Sie diese Regungen dann eingefangen?
Um die Mimik besser in den Griff zu kriegen, haben wir das Gesicht der Probanden schwarz eingefärbt und an kritischen Stellen weiße Punkte aufgeklebt. An den Mundwinkeln und um die Augen zum Beispiel. Wenn man das Gesicht dann beleuchtet, sieht man nur ein Punktefeld und keine Gesichtszüge. Und wenn jemand eine Geschmacksprobe erhält, fangen die Punkte an, sich in charakteristischer Weise zueinander zu bewegen. Und die Veränderungen dieser Punktkonfiguration haben wir ausgewertet. Interessanterweise merkt man erst, wenn sich die Punkte bewegen, da muss ein Gesicht dahinter sein.
Wir haben Probandinnen und Probanden aufgefordert, solche sich bewegenden Punkte­konfigurationen zu identifizieren. Und wir haben uns gefragt, wie das kommt, dass man die Bewegungen der Mimik besser identifizieren kann, wenn man solche Punkte einsetzt. Und das liegt daran, dass andere Dinge im Gesicht, zum Beispiel ein Leberfleck oder ein Pickel, ablenken. Und so wissen wir, dass die reine Information der Gesichtsmimiksveränderung durch diese Punkte besonders effektiv visualisiert wird. Damit hätten wir nicht gerechnet. Und das ist der Kern der experimentellen Psychologie, dass man Hypothesen entwickelt und solche Sachen ausprobiert.
Gegen Ende ihrer Forschungslaufbahn hatten Sie viel mit Kunst zu tun. Das überrascht doch auf den ersten Blick. Wie kam es dazu?
Es gab eine Kooperation zwischen der Kunsthochschule Ottersberg, den Verkehrswissenschaften von der Uni Hamburg und meiner Wenigkeit. In den Modellgebieten hatte man damals ein Geschwindigkeitsproblem. Die Leute sind viel zu schnell in den Ort reingefahren. Das hing mit der geraden Straßenführung zusammen. Es gab keine Hemmnisse, keine visuellen Hinweise, das Tempo zu reduzieren. Und dann kamen wir auf die Idee, das mit Kunst zu schaffen.
Wie kann Kunst dabei helfen?
Es gab zu dem Thema ein paar interessante Pilotprojekte in der Schweiz, in Großbritannien und in Deutschland. Da haben Leute z. B. in Göppingen versucht, den Verkehr in ihrer Seitenstraße zu entschleunigen, indem sie Teppiche auf die Straße gelegt haben. Man sieht dann als Fahrer keinen Asphalt und keine Markierungen mehr. Sondern Teppich. Das führt dazu, dass man sich fühlt, als würde man durchs Wohnzimmer fahren. Und das heißt, dass Kunst eine Atmosphäre herstellen kann, die man sie zur Tempoabminderung einsetzen kann. Wir haben dann, das war ganz nett, Sonnenschirme aus eingefärbtem Aluminium mit Lamellen an die Straße gestellt. Wir haben dort – das ist natürlich ein bisschen übertrieben – Karibikfeeling erzeugt. Und dann haben Anwohner sich tatsächlich Stühle hingestellt. Und die Leute fuhren langsamer. So konnte man den Verkehr durch die Veränderung der Atmosphäre am Ende tatsächlich beruhigen.
Warum Kunst und nicht einfach ein Schild hinstellen?
Das kam aus dem Dorferneuerungsprojekt „Unser Dorf soll schöner werden“. Uns und auch dem Referenten vom Ministerium war wichtig, dass man nicht alles mit Schildern zupflastert oder mit irgendwelchen Überwachungsradarfallen. Sondern, dass man es mal auf die freundliche Art versucht. Indem man ein bisschen den Dorfcharakter bearbeitet. Indem man eben jetzt mal so Akzente setzt durch solche Kunstinstallationen.
Geht es Ihnen dabei auch um die Freiwilligkeit?
Ja, genau. Dabei geht es auch um das Emanzipative und darum, nicht immer gleich die Überwachungskeule herauszuholen. Sondern, dass man versucht, die Leute zu inspirieren, von sich aus das Verhalten zu ändern.
Noch eine letzte Frage: Jetzt, wo Sie emeritieren - was haben Sie vor?
Ich engagiere mich für die Energiewende und bin auf einem regelrechten Energiewendetrip. Vor 10 Jahren habe ich eine Fotovoltaikanlage auf meinem Dach platziert. Was mir jetzt zugutekommt. Vor drei Jahren habe ich als Vorreiter ein E-Auto gekauft. Was damals noch etwas teurer war. Doch heute kann ich das beides gut nutzen: Wenn die Sonne scheint, kann ich mein E-Auto klimaneutral über die Fotovoltaikanlage laden. Das ist natürlich ganz nett. Mit Möglichkeiten, die Energiewende weiter voranzubringen, werde ich mich jetzt wieder mehr beschäftigen.
Vielen Dank, Herr Prof. Höger!

Sein Studium der Psychologie an der TU Berlin schloss Rainer Höger 1982 mit einem Diplom ab. An der Ruhr Universität Bochum promovierte Höger 1986 über akustische Wahrnehmungsforschung. 1994 folgte eine Habilitation zum Thema Raumzeitlicher Prozesse der visuellen Informationsverarbeitung. Er vertrat diverse Lehrstühle in Konstanz, Leipzig und Eichstätt und unternahm einen Forschungsaufenthalt in Glasgow. 2003 kam er nach Lüneburg. Zunächst an die Fachhochschule Nordostniedersachsen und im Zuge der Fusion 2004 an die Leuphana Universität. Dort lehrte er Arbeits- und Ingenieurspsychologie und erhielt 2011 den „Wissenstransferpreis“ für das Projekt „Psychonik“.