Alltagsintegrierte Sprachbildung: „Essentiell für die Bildungsbiographie“

13.04.2021 Nur wer die Unterrichtssprache beherrscht und in einer Lerngemeinschaft mitspielt, hat Chance auf eine erfolgreiche Schulkarriere. Basierend auf den Ergebnissen einer dreijährigen Studie zu alltagsintegrierter Sprachbildung in Kitas erschien nun das Buch „Fühlen Denken Sprechen“. Die Professorin für Entwicklungspsychologie Dr. Maria von Salisch erklärt, warum junge Kinder mehr über ihr Innenleben und ihre Beobachtungen in der Außenwelt sprechen sollten.

Maria von Salisch vor dem Zentralgebäude ©Leuphana/Marvin Sokolis
„Sprache erleichtert es Kindern, eigene und fremde emotionale Erfahrungen zu verstehen, zu reflektieren und mit anderen zu teilen.“

„Rund zwei Drittel aller mehrsprachig aufwachsenden Kinder kommen in der Kita erstmals mit der deutschen Sprache in Kontakt“, sagt Maria von Salisch. Drei Jahre lang forschte sie mit einem interdisziplinären Team der Universitäten Lüneburg, Braunschweig und Hildesheim in fast 20 Kindertagesstätten und entwickelte ein Konzept zu alltagsintegrierten Sprachlernstrategien mit Schwerpunkt auf den Emotionen und der naturwissenschaftlichen Bildung. „Sprachförderung ist zwischen dem dritten und achten Lebensjahr besonders effizient. Danach schließt sich das Fenster. Je früher der Kontakt zur deutschen Sprache erfolgt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Erwerb der Bildungssprache gelingt“, sagt Maria von Salisch. Internationale Studien belegen die Bedeutung von Sprachkenntnissen für den Schulerfolg: Wer die Unterrichtsprache beherrscht, kommt in der Klasse auch mit.

Bisher sollten zusätzliche Angebote wie nachmittäglicher Förderunterricht die Lücke schließen. Studien bescheinigen diesen Formaten indessen nur einen geringen Effekt. Die alltagsintegrierte Sprachförderung ist dagegen vielversprechend: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich die sprachliche Entwicklung der Kinder signifikant verbessert hat und zwar beim Satzverständnis, der Grammatik und dem Satzgedächtnis“, sagt Maria von Salisch. Bei der alltagsintegrierten Sprachbildung ergeben sich in der Kita ständig Lerngelegenheiten, etwa beim Gespräch übers Schuhe binden oder beim Betrachten eines Bilderbuchs. Die speziell geschulten pädagogischen Fachkräfte orientieren sich an den Interessen der Kinder und sprechen mit ihnen über das, was sie gerade tun, korrigieren Fehler beiläufig durch richtiges Wiederholen und fördern so die Sprachkompetenz der Kinder.

Die Anwendung von kinderbezogenen Sprachlernstrategien erleichtert das gemeinsame Gespräch über Gefühle und Beobachtungen in der Außenwelt. Kinder werden dabei unterstützt, ihre Umwelt zu beschreiben und gemeinsam zu erforschen. Dabei lernen sie Teile der Bildungssprache, wie sie später im naturwissenschaftlichen Schulunterricht gebraucht wird. Das Wissen um und Benennen von Emotionen sei aber nicht weniger wichtig, erklärt Maria von Salisch: „Schule ist eine Lerngemeinschaft. Sprache erleichtert es Kindern, eigene und fremde emotionale Erfahrungen zu verstehen, zu reflektieren und mit anderen zu teilen.“ In einer Meta-Studie mit über 6000 Teilnehmer*innen zwischen drei und 12 Jahren konnte die Wissenschaftlerin bereits den positiven Zusammenhang zwischen Emotionswissen und dem akademischen und sozialen Erfolg in der Schule belegen.

Die Fühlen Denken Sprechen Intervention richtet sich an pädagogische Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen. Die Erzieher*innen erhielten zu Beginn der Studie eine Schulung und wurden beim Praxistransfer von einer Mitarbeiterin mit einem Videocoaching begleitet.

Die Studie „Fühlen Denken Sprechen“ wurde unter dem Titel „Professionalisierung alltagsintegrierter sprachlicher Bildung bei ein- und mehrsprachlich aufwachsenden Kindern“ vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen der Bund-Länder-Initiative „Bildung durch Sprache und Schrift“ gefördert. Das Projekt wurde koordiniert und geleitet von Prof. Dr. Maria von Salisch, (Leuphana Universität Lüneburg), Prof. Dr. Claudia Mähler und Prof. Dr. Peter Cloos (Universität Hildesheim) und Prof. Dr. Katja Koch (Technische Universität Braunschweig).

Kontakt

  • Prof. Dr. Maria von Salisch
  • Dr. Katharina Voltmer
  • Prof. Dr. Marcus Pietsch