Verabschiedung: Prof. Dr. Dr. h.c. Horst Kowalewski

02.08.2023 Der Sozialwissenschaftler und Stadt- und Regionalplaner forschte, lehrte und arbeitete ein Dritteljahrhundert in Lüneburg – und reformierte parallel Einrichtungen und Organisationen im In- und Ausland, zuletzt die „Business School“ der mongolischen Nationaluniversität (NUM) in Ulan Bator sowie weitere Hochschuleinrichtungen in der Mongolei und in China. Aktuell erschien sein Opus Magnum „Hochschulentwicklung in der dynamischen Übergangsgesellschaft. Hochschulpolitische Reformprojekte in der Mongolei und in China“.

Ich habe  meine wissenschaftlichen Tätigkeiten in der Forschung, der Lehre, der Beratung und der Fortbildung immer unter dem Blickwinkel der Verbesserung von Lebensverhältnissen gesehen ©Leuphana/Ciara Burgess
„Ich habe meine wissenschaftlichen Tätigkeiten in der Forschung, der Lehre, der Beratung und der Fortbildung immer unter dem Blickwinkel der Verbesserung von konkreten Lebens- und Arbeitsbedingungen gesehen“, sagt Horst Kowalewski, Professor für Public und Non-Profit Management sowie Social Sustainability.

Horst Kowalewski steigt aus dem Flugzeug. Der Flughafen, der einzige internationale in der ganzen Mongolei, heißt zu dem Zeitpunkt noch nicht  „Chinggis Khaan International Airport“, sondern schlicht und nach dem anliegenden Vorort benannt „Bujant-Uchaa“, geschrieben Буянт-Ухаа und mit kehligem „ch“ gesprochen. Ein kleiner Flughafen, von deutschen Firmen gebaut und relativ modern, was tröstlich wirkt, nachdem die Passagiere vor der Landung minutenlang über die Slums der mongolischen Hauptstadt Ulan Bator geflogen sind. Auf der kurzen Landebahn sieht man am Ende des Rollfeldes bereits die Berge. Die Mongolei ist viermal so groß wie Deutschland und hat drei Millionen Einwohner*innen. Im Winter fällt die Temperatur  manchmal deutlich unter minus 25 Grad, aber davon merkt man jetzt im Sommer nichts. Es ist 2002. „Wir sind sehr gespannt, was uns in dieser völlig fremden Welt erwartet“, denkt Horst Kowalewski.

Wie reformiert man ein Institut, eine Fakultät, ein Zentrum, eine ganze Hochschule oder sogar die Hochschulpolitik eines ganzen Landes? Die Mongolei befand sich seit der friedlichen Revolution in den neunziger Jahren auf dem Weg zu einer demokratischen und marktorientierten Gesellschaft. Vor dem Beginn des 21. Jahrhunderts erreichte dieser Prozess auch die mongolischen Hochschulen. Es wurde Zeit für eine tragfähige Hochschulpolitik und ein leistungsfähiges Hochschulsystem. Was musste dafür getan werden? Wenn man sich Transformationsprozesse anschaut, kann man schnell den Eindruck gewinnen, dass so etwas nur gelingen kann, wenn man als Berater*in bereits mit einem finalisierten Masterplan ankommt und die betreffenden Einrichtungen „auf links“ dreht. Kowalewski tat das Gegenteil: „Wir kamen in Ulan Bator nicht an, um den  Partner*innen zu sagen, was sie machen sollten. Wir haben uns lange Zeit alles angeschaut, wir haben viele Gespräche geführt, die allgemeinen Lebensbedingungen, die Ökonomie, die Politik, die Ökologie, die Kultur und das Sozialsystem des Landes erfasst und uns mit den Arbeitsbedingungen in den Hochschulen intensiv beschäftigt. Es hat mehrere Jahre gebraucht, um  unsere mongolischen Partner*innen wirklich zu verstehen.“ Da die Reformprojekte, die in fast zwei Jahrzehnten durchgeführt wurden, so groß waren und nur gelingen konnten, wenn viele Beteiligte (Lehrende, Studierende, Hochschulmitarbeiter*innen, Ministeriale, Hochschulpolitiker*innen) engagiert und gerne mitmachten, war dies genau der richtige Ansatz.
 

„Lüneburg war für mich ein Glücksfall“

Diese sichere Intuition, dass intensives Zuhören und vollständiges sich-Einlassen entscheidend sind, wenn man Dinge verbessern möchte, brachte Kowalewski aus seiner langen Zeit als ehrenamtlicher Jugendarbeiter in Nordrhein-Westfalen mit. Das ist vielleicht zunächst etwas überraschend, aber der Professor für „Public und Non-Profit Management“ sowie „Social Sustainability“, dessen Schriften man seine Begeisterung für Reformen, Handlungsforschung (action research) und qualitative Anlaysen deutlich anliest, arbeitete einen nicht unerheblichen Teil seines Lebens im sozialen Bereich: Ganz konkret und direkt mit prekär und mit in Armut lebenden Familien, Kindern, Jugendlichen, unter anderem mit soziokulturellen Methoden (u. a. Rockmusik, Kunst und Theaterpädagogik). Er brachte gegen den Widerstand der Kommunalpolitik mit einer Initiative die Stadt Dortmund dazu, ein weiteres Jugendzentrum mit einem innovativen Selbstverwaltungskonzept in der hochverdichteten Innenstadt zu eröffnen und zu finanzieren. Er arbeitete während seines Studiensemesters an der University of California, Los Angeles (UCLA) in den Bereichen „Social Work“ und „Education“ von zwei Stämmen der „native Americans“ (Hopi und Navajo) in Arizona/Utah (USA) mit. In seiner Heimatstadt Schwerte verhinderte er mit einer Bürgerinitiative die Privatisierung und den Abriss des alten Wasserwerkes und beteiligte sich als geschäftsführender Vorsitzender des Trägervereins an der Umnutzung des Gebäudekomplexes und der Einrichtung eines soziokulturellen Zentrums in der „Alten Rohrmeisterei“. Gemeinsam mit Prof. Dr. Rita Süßmuth und Prof. Dr. Joachim Schulze entwickelte er das Konzept der „Kinderstadt“ – als stadtentwicklungspolitisches und städtebauliches Modell eines kinder-, jugend- und familienfreundlichen Gemeinwesens. Nach einem Jahr der Tätigkeit als Leiter der Abteilung „Sozialpolitik“ übernahm er die Geschäftsführung des Paritätischen Landesverbandes Bayern in München. Gemeinsam mit anderen Expert*innen gründete er das „Münchener Wohnforum“ zur Schaffung von Wohnraum für benachteiligte Gruppen - finanziert durch die Landeshauptstadt München und die EU.

Die sozialwissenschaftlichen, raumplanerischen und ökologische Zugänge griffen bei Kowalewski von Anfang an ineinander. Zur Mitarbeit an den mongolischen Hochschulreformen wurde er als Experte für Public Management eingeladen, gleichzeitig war er in Lüneburg Dekan, Prodeken und Studiendekan des Fachbereichs Sozialwesen. „Diese relativ seltene fachliche Kombination hat auch zur Teilung meiner Professur geführt und zu meinem Umzug in das Nachhaltigkeitsgebäude der neu gegründeten Fakultät der Leuphana, in der ich in den letzten Jahren für 'soziale Nachhaltigkeit' zuständig war. Ich habe meine wissenschaftlichen Tätigkeiten in der Forschung, der Lehre, der Beratung und der Fortbildung immer unter dem Blickwinkel der Verbesserung von konkreten Lebens- und Arbeitsbedingungen gesehen - in der Stadt, im Wohnen, im Gemeinwesen, in der Nachbarschaft, in der Schule, in der sozialen Einrichtung, in der Universität und zuletzt in der mongolischen Hochschule.“

Der gebürtige Westfale Kowalewski findet: „Der Ruf aus Lüneburg war für mich ein Glücksfall.“ Hier traf er ein qualifiziertes akademisches Umfeld an, das ihm sowohl den nötigen Freiraum als auch die inhaltliche, infrastrukturelle und personelle Unterstützung für seine zahlreichen Reformprojekte in Deutschland, Estland und Russland bot und sammelte die Erfahrungen, die er später in die Mongolei und nach China mitnahm: Vor allem die Umsetzung eines wirkungsvollen Hochschulmanagements sowie innovative Studiengangsentwicklungen (u.a. Wirtschaftspsychologie, Wirtschaftsrecht, Public und Non-Profit Management sowie Kulturmanagement).
 

Wirtschaftspsychologie, Wirtschaftsrecht und Qualitätsmanagement

Lüneburg war einer der ersten Standorte, an denen man Wirtschaftspsychologie studieren konnte. Die Einführung dieses Studiengangs an der ersten Partnerhochschule in Ulan Bator stieß auf breites Interesse. Die liberalisierte mongolische Wirtschaft hatte sich so dynamisch entwickelt, dass wirtschaftspsychologische Kompetenzen kaum vorhanden und deshalb stark nachgefragt waren. Auch das in Lüneburg entwickelte Studienprogramm Wirtschaftsrecht war so einmalig und ungewöhnlich, dass das dahinterstehende Konzept als „Lüneburger Modell“ international bekannt wurde. In der Mongolei trafen die Lüneburger Berater (neben Prof. Horst Kowalewski u.a. Prof. Ullrich Günther, Prof. Thomas Schomerus, Prof. Jürgen Deters, Prof. Horst Meyer-Wachsmuth, Dr. Maik Thieme) bereits ein erstes wirtschaftsjuristisches Studiengangsprojekt an - das Modell wurde aber deutlich weiterentwickelt und auf die konkreten Bedarfe vor Ort adaptiert. Vorher, und das war in Deutschland nicht anders als in der Mongolei, gab es auf der einen Seite Jurist*innen, die nur wenig von Buchführung und Kostenrechnung verstanden und auf der anderen Seite Betriebswirtschaftler*innen, die rechtliche Risiken nur unzureichend einschätzen konnten. Das Fach Wirtschaftsrecht konnte diese Lücke schließen. Bei beiden Studiengangsentwicklungen in Ulan Bator wurden die Lüneburger Experten vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) in Bonn, vom Mongolischen Wissenschafts- und Bildungsministerium und vom Nationalen Akkreditierungsrat für Bildung in Ulan Bator unterstützt.

Ein besonderes Anliegen war für Prof. Kowalewski in der Mongolei die Einführung eines ganzheitlichen (systemischen) Qualitätsmanagements im Hochschulwesen. Heute betreibt, auch international, jedes größere Unternehmen und jede größere Organisation Qualitätsmanagement (QM), doch das war nicht immer so. Horst Kowalewskis luzide Überzeugung war, dass ein  umfassendes QM mit  allen notwendigen Instrumenten (u.a. Akkreditierung, Evaluation, Monitoring und Ranking) entscheidend für eine moderne Hochschulentwicklung ist und dass es sich lohnt, darin Ressourcen zu investieren. „Eine umfassende Kultur der Qualität als Grundlage für eine ständige Qualitätsverbesserung sollte im mongolischen Hochschulwesen entwickelt werden.“ Diese Überzeugung teilte auch die Generaldirektion für Bildung und Kultur der EU in Brüssel und förderte Kowalewskis Engagement aus Mitteln des TEMPUS-Hochschulprogramms.

Kowalewskis getting things done-Energie wirkt ansteckend und motivierend. Was empfiehlt er Menschen, die sich jetzt engagieren oder vor größeren Projekten stehen? „Mit den Menschen sprechen und nicht über sie. Nicht mit einem fertigen Konzept in die Projekte gehen. Verbindliche, klare Absprachen. Ein freundlicher Umgang untereinander, ein positives Projektklima. Offenheit, keine Heimlichkeiten, vollständige Transparenz. Alle einbeziehen, Partizipation, mit den Partner*innen mit Respekt und auf Augenhöhe kommunizieren und viel Zeit."

Dass er in die Mongolei  kam lag daran, dass ihn auf der Internationalen Münchener Friedenskonferenz 1999 eine Mongolin ansprach, die seinen Vortrag gehört hatte. Überhaupt schien er nie Schwierigkeiten  zu haben, mit Menschen in Kontakt zu kommen oder für seine, durchaus arbeitsintensiven und auf langfristige Wirkungen und Nachhaltigkeit ausgelegten Projekte zu gewinnen. Das Vorwort zu seinem Buch schrieb der ehemalige Wissenschaftsminister der Mongolei Yondon Otgonbayar, und wie auch bei den anderen Gastbeiträgen des Buches liest man der Ko-Begeisterung von Kowalewskis mongolischen, chinesischen, finnischen, indischen und deutschen Mitstreiter*innen gerne zu. Otgonbayar zitiert in seinem Vorwort Verse des mongolischen National-Dichters Daschdorj Natsagdorj, der u.a. in Berlin und Leipzig studiert hatte, und es pointiert auch etwas Horst Kowalewskis eigenes Anliegen (unterwegs sein, Bildung, Ferne, Bewegung und Veränderung):

[…] Weges hin,
zu lernen in der Ferne,
weht Herbstes frischer Wind herein, [...]

[…] in der Ferne fliegen
nicht erreichbar Steppengänse,
ist’s Menschenkind,
Wissen bergend,
Weges heim [...]

Kontakt

  • Prof. Dr. phil. Dr. h.c. Horst Kowalewski