„Das muss sie abkönnen“ oder: Stabilität ist die Ausnahme

„Ethik im Gespräch“-Diskussion über Demokratie

15.01.2025 Was ist mit der Demokratie? Momentan schaut man dabei zu, wie Menschen in Deutschland und Europa – aber eben auch in der ganzen westlichen Welt – ihre demokratischen Rechte für fragwürdige politische Entscheidungen nutzen. Die Demokratie scheint fragil, angegriffen und missbraucht zu werden – vielleicht wird aber auch gerade jetzt deutlich, dass sie schützenswert ist. Bei dem „Ethik im Gespräch“-Event Anfang Januar diskutierten dazu der Theologe Prof. Dr. Thomas Kück und der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Michael Koß, dessen Fachgebiet das politische System der Bundesrepublik Deutschland ist.

©Leuphana
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„Angesichts der gefährlichen Phase der Weltgeschichte, in der wir uns befinden“, zitierte Thomas Kück den Historiker Heinrich August Winkler, „war es uns wichtig, den Fokus der Veranstaltung zu weiten: von der Macht der Demokratie hin zu ihren aktuellen Ohnmachtserfahrungen.“ Darum ging es also in den gut 60 Minuten des Gesprächs: über Macht und Ohnmacht der Demokratie. 

Voraussetzungen für Freiheit

Im einleitenden Vortrag skizzierte Kück die zentrale These: Die westliche Demokratie, wie sie viele Jahrzehnte stabil und scheinbar alternativlos erschien, sei durch globale Krisen vielfach erschüttert worden. Geopolitische Abhängigkeiten von günstigen Rohstoffen und sicherheitspolitische Garantien hätten eine trügerische Stabilität erzeugt. „Die Kombination aus billiger Wärme durch russisches Gas, in China billig produzierten Waren und einer durch die USA billig garantierten Sicherheit ist Geschichte. Aus und vorbei“, pointierte  Kück. Michael Koß griff diesen Gedanken auf und betonte in seiner These die Notwendigkeit, die aktuellen Herausforderungen nicht nur als Krise zu verstehen: „Die Demokratie ist von Natur aus umkämpft. Ihre Stabilität in den letzten Jahrzehnten war eher die Ausnahme. Jetzt erleben wir die Rückkehr zur Normalität.“

Ein zentrales Thema der Diskussion war der Umgang mit Wahrheit in der demokratischen Öffentlichkeit, auch in der Universität. Thomas Kück kritisierte die zunehmende Akzeptanz von Unwahrheiten: „Die Tugend der Wahrhaftigkeit – sie war ein Common Sense, der zunehmend infrage gestellt wird.“ Der Theologe  verwies auf das achte Gebot: „Das Gebot fordert nicht, immer die Wahrheit zu sagen, aber es untersagt die bewusste Unwahrheit in der Kommunikation.“ Dass Marc Zuckerberg nur wenige Tage zuvor angekündigt hatte, in seinen Meta-Medien künftig auf Faktenchecks verzichten zu wollen und damit Hass und Lügen ungefiltert zu ermöglichen, wirkte in der Diskussion wie eine düstere Prophezeiung und wurde durch mehrere Wortmeldungen aus dem Plenum untermauert. Ergänzt wurde dieser Abschnitt der Diskussion von einer weiteren Wortmeldung, mit einem Zitat des ehemaligen Verfassungsrichters Ernst-Wolfgang Böckenförde, der in seinem berühmten Diktum auswies: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Was aber, wenn diese Voraussetzungen zunehmend untergraben werden?

Demokratische Resilienz

Trotz der kritischen Diagnose fand die Diskussion auch optimistische Töne. Koß argumentierte in Anlehnung an ein Zitat aus dem Wolfgang Petersen-Film „Das Boot“. Dort gäbe es eine Szene, in der das Boot abtaucht, weil es angegriffen wird. Es taucht immer tiefer. Der Stahlrumpf quietscht und ächzt unter dem hohen Druck. Sie Stimmung ist zum Zerreißen gespannt, und der Kapitän beruhigt seine Mannschaft: „Das muss das Boot abkönnen!“ Übertragen auf die gegenwärtigen Erschütterungen der Demokratie: Das muss sie abkönnen.

Kück schlug vor, dass diese Resilienz durch das Festhalten an ethischen Werten gestärkt werden könne. „Wenn wir in den erfahrenen Unsicherheiten gerade die Rückkehr zu einer Normalität erleben, dann gehört als die Rückseite der Medaille möglicherweise die Rückkehr zu einer Tugendethik dazu.“ Da gäbe es aktuelle Veröffentlichungen, die das zumindest nahelegen. 

In der anschließenden Publikumsrunde diskutierten die Teilnehmenden über Wege, wie demokratische Werte in einer polarisierten Gesellschaft bewahrt werden können. Ein Teilnehmer brachte es auf den Punkt: „Demokratie lebt vom Dialog.“ So endete die Veranstaltung mit vielen Denkanstößen, beispielsweise über den Mut zur Entscheidung und zu politischem Handeln. Zugleich blieben auch Fragen offen, die einer weiteren Aussprache bedürfen: Cui bono? Wem nützen die Erschütterungen demokratischer Strukturen, politisch, wirtschaftlich und finanziell?

Kontakt

  • Prof. Dr. Thomas Kück