Prof. Dr. Harald Hantke: „Demokratie als Problemlöser erleben“
26.02.2025 „In der Schule begegnet sich die Gesellschaft in ihrer ganzen Vielfalt“, so Harald Hantke, Professor für sozialwissenschaftliche Bildung und Mitglied des Zentrums für Demokratieforschung (ZDEMO) an der Leuphana. Deswegen haben Lehrkräfte und Schüler*innen dort auf vielen Ebenen die Chancen, Demokratie als Problemlöser zu erleben. Im Interview skizziert er Ansätze zur ganzheitlichen Realisierung von Demokratiebildung, die er in dieser Woche auch beim Communitytreffen der Leuphana Innovation Community Schulentwicklung und Leadership in Wolfsburg vor Schulvertreter*innen als Impuls formulierte.

Warum ist Demokratiebildung in der Schule so wichtig?
Wir werden nicht als Demokrat*innen geboren, sondern werden idealerweise durch Erfahrungen dazu. Demokratie müssen wir also erst lernen. Dafür braucht es jedoch entsprechende Erfahrungsräume. Und es gibt keinen besseren Erfahrungsraum als die Schule. Denn hier begegnet sich die Gesellschaft in ihrer ganzen Vielfalt.
Schule muss sich dieser Verantwortung jedoch auch aktiv stellen. Was heißt es also, Demokrat*in zu sein? Im Kern geht es darum, die Gesellschaft mündig mitgestalten zu können – und zwar inklusiv-partizipativ. Dieser Anspruch schlägt sich übrigens auch im Bildungsauftrag nieder. So gesehen ist Demokratiebildung keine freie Entscheidung von Schulen oder Lehrkräften, sondern ihre Verpflichtung!
Auf dieser Basis: Wie können Schüler*innen und Lehrkräfte denn Demokratie in der Schule erleben?
Idealerweise ganzheitlich. Das heißt: Demokratiebildung ist nicht nur eine Frage des Politikunterrichts. Vielmehr ist Demokratie eine sogenannte didaktische Querschnittsaufgabe und damit zum Beispiel auch Teil des Mathematik- oder Deutschunterrichts.
Außerdem ist Demokratie auch eine Frage des schulischen Lebens jenseits des Unterrichts. Inwiefern wird die Schule inklusiv-partizipativ geleitet? Pflegt die Schule lebendige Netzwerke zu beispielsweise politischen Institutionen, NGOs oder Medien? Welche Haltung zeigen die Lehrkräfte und wie frei sind sie zum Beispiel in der Wahl ihrer Fortbildungen? Kurzum: Schüler*innen und Lehrkräfte können Demokratie in der Schule auf vielen Ebenen erleben und leben, wenn Demokratie und Demokratiebildung in Breite und Tiefe als Aufgabe der Schulentwicklung ernstgenommen wird.
Wie kann das konkret im Schulalltag funktionieren?
Die Frage lässt sich hier nur exemplarisch beantworten. Demokratiebildung kann zum Beispiel realisiert werden, indem die Lehrkräfte auf Basis der Rahmenlehrpläne schulinterne Lehrpläne entwickeln, die Demokratiebildung im Querschnitt ermöglichen – auch über das Fach Politik hinaus. Denn der übergeordnete Bildungsauftrag fordert ja die Auseinandersetzung mit Demokratie im Querschnitt aller schulischen Bildungsprozesse ein. Dabei stellt sich dann beispielsweise die Frage, wie sich die Förderung von Kompetenzen der Demokratiebildung in den Mathematik- oder Deutschunterricht integrieren lassen. Dieser Prozess der Entwicklung schulinterner Lehrpläne kann in seiner Form auch selbst demokratisch ausgelegt werden oder eben nicht. Im besten Fall entwickelt die Schule dann einen demokratisch unter den Lehrkräften legitimierten Lehrplan, mit dem sich Demokratiebildung im gesamten Bildungsspektrum der Schule realisieren lässt.
Laut einer aktuellen Umfrage der Umweltorganisation Greenpeace sehen nur 22 Prozent der jungen Menschen zwischen 16 und 25 Jahren die Demokratie als wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Problemlöser. Was muss sich ändern, damit diese Zahl in Zukunft wieder steigt?
Ich kann mir vorstellen, dass junge Menschen zu dieser Einschätzung kommen, weil sie die Demokratie bislang selbst nicht als effizienten Problemlöser erfahren haben. Wenn sie etwa feststellen, dass Probleme schneller gelöst werden, wenn eine Person einfach autokratisch entscheidet und „schneller“ dann als „besser“ angesehen wird, dann hat es die Demokratie bzw. der demokratische Prozess nicht leicht.
An dieser Stelle möchte ich den Wert des Politikunterrichts betonen. Mit Blick auf die Einschätzung von Demokratie als Problemlöser können Schüler*innen darin etwa den Unterschied zwischen Output und Outcome in demokratischen Entscheidungsprozessen kennenlernen. Was den Output angeht, also etwa die Anzahl an unmittelbaren Entscheidungen, haben Demokratien gegenüber Autokratien tatsächlich eher einen Nachteil. Vom Outcome her, also den gesellschaftlichen Auswirkungen, liegt der Vorteil jedoch auf der Seite der Demokratien. Denn der Outcome genießt dann in der Gesellschaft eine breitere Legitimation, was ihn noch verstärken kann.
Ein Ansatz, damit wieder mehr junge Menschen die Demokratie als Problemlöser wahrnehmen, ist also auch der quantitative und qualitative Ausbau von politischer Bildung. Quantitativ, indem das Fach Politik ein höheres Stundenkontingent erhält und qualitativ, indem das Fach Politik von entsprechend professionalisierten Politiklehrkräften unterrichtet wird. Denn Politik wird leider nach wie vor viel zu oft fachfremd unterrichtet. Letztlich möchte ich aber betonen, dass der von mir hier skizzierte Ansatz nur ein Teil einer größeren Lösung sein kann.
Vielen Dank für das Gespräch!