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Andreas Voßkuhle zu Eurokrise und Demokratie

Lüneburg. Mit Prof. Dr. Andreas Voßkuhle besuchte am 28. November einer der höchsten Verfassungsrichter Deutschlands die Leuphana Universität Lüneburg. In einem öffentlichen Vortrag beschäftigte sich der Bundesverfassungsgerichtspräsident mit der Herausforderung des Demokratieprinzips durch die Eurokrise. Rund 600 Zuhörer wollten wissen, was der prominente Redner zu dem hochaktuellen Thema zu sagen hatte.

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Erst im September dieses Jahres hatte das Bundesverfassungsgericht über den Europäischen Stabilitätsmechanismus zu befinden und die Entscheidung war in ganz Europa mit Spannung erwartet worden. Daran erinnerte Universitätspräsident Sascha Spoun in seiner Begrüßungsrede. Damals hatte das Gericht den ESM für verfassungskonform erklärt, aber mit einer Haftungsbegrenzung belegt.

Zuvor spannte Spoun einen Bogen vom antiken Griechenland zur europäischen Gegenwart und ging auf die unzähligen Vorteile des geeinten Europa ein, das zugleich ein Europa der finanziellen Unsicherheit geworden ist. Unter dem Eindruck, Deutschland sei angesichts des immensen Kapitalbedarfs des ESM erpressbar geworden, so Spoun, sei der Ruf nach einer Institution laut geworden, die einem anscheinenden Verlust von Souveränität und immer weiter in die Höhe schnellenden finanziellen Zusagen Einhalt gebieten kann. Durch diese Entwicklung habe das Bundesverfassungsgericht nicht nur eine hohe Aufmerksamkeit gewonnen, sondern sei auch zu einer Institution geworden, von der letztgültige Antworten erwartet werden.

In seiner Einführung zum Thema des Vortrags wies Prof. Dr. Jörg Philipp Terhechte, Leiter  des "Forums Staatswissenschaften" an der Leuphana und Organisator des Vortrags, darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht die demokratische Absicherung des europäischen Integrationsprozesses sowie die klare Verteilung von Verantwortlichkeiten in seiner Rechtsprechung der letzten Jahre betont habe. Wo immer der weitere Integrationsprozess auch hinführe, ohne das Bewusstsein für diese Grundsätze, werde jeder Weg aus der Warte des Grundgesetzes schwierig, so Terhechte.

In seinem Vortrag ging Bundesverfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle auf die These vom „Zerfall der Demokratie“ angesichts der Euro- und Finanzkrise ein. Schlagworte wie Expertokratie, Machtverlust der nationalen Parlamente oder Preisgabe nationaler Verfassungstraditionen prägen weite Teile der Diskussion um eine Aushöhlung nationaler Demokratien durch den europäischen Einigungsprozess. Dazu bezog Voßkuhle mit fünf Thesen Stellung.

Expertokratie könne die demokratische Herrschaft nicht ersetzen, ist Voßkuhle überzeugt. Es gebe Anlass zu Zweifeln an Expertenwissen, schon wegen der Einsicht in die Begrenztheit menschlicher Erkenntnisfähigkeit.
Auch sei der demokratische Wahlakt in seiner Legitimationskraft unerreicht. Die Diskussion über plebiszitäre Elemente etwa im Zusammenhang mit der öffentlichen Auseinandersetzung um Stuttgart 21 sollte immer vor dem Hintergrund geführt werden, dass die Leistungsfähigkeit des parlamentarisch-repräsentativen Systems nicht unterschätzt werden darf.

Anhand von Thesen zum Erhalt des Einflusses des Volkes auf den politischen Prozess und der Bewahrung des Bundestages vor einem Machtverlust ordnete Voßkuhle die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung der vergangenen zwei Jahre zu den Griechenland- und Euro-Rettungsmaßnahmen ein. Dabei machte er deutlich: Der Bundestag müsse seiner Integrationsverantwortung gegenüber dem Wähler gerecht werden, damit der nationale Wahlakt nicht an Bedeutung verliert. Zugleich sei aber auch die Mitwirkung an der Europäischen Union Bestandteil dieser Verantwortung.

In zwei abschließenden Thesen äußerte sich der Bundesverfassungsgerichtspräsident zur Absicherung des grundgesetzlichen Demokratieprinzips vor Substanzverlust und zur Rolle des Bundesverfassungsgerichts. Das Demokratieprinzip wird nach Voßkuhles Meinung von der Euro-Krise herausgefordert. Aus Sicht des Verfassungsgerichts dürfen Sachzwänge in einer demokratisch verfassten Gesellschaft aber nicht leitend sein. Das Parlament müsse also beteiligt werden. Vor diesem Hintergrund wäre es aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts tragisch, wenn auf dem Weg zur Eurorettung die Demokratie verloren ginge. Schließlich habe Europa nur als demokratisch legitimierte Rechtsgemeinschaft eine Zukunft.