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Lüneburger Forscher entwickeln Fahrtrainer für Trucker

Software soll Brummi-Fahrer besser auf kritische Situationen im Straßenverkehr vorbereiten

Forscher der Leuphana Universität Lüneburg haben ein Simulator-Training entwickelt, das Brummi-Piloten besser auf Risikosituationen im Straßenverkehr vorbereiten soll. Berufskraftfahrer haben den Prototypen getestet. Der TÜV wird die Forschungsergebnisse künftig einsetzen.

Entspannt lenkt Maik Kolbe den Achzehntonner über den schnurgeraden Asphalt. Am Horizont verschwimmen die Berge im Dunst; davor Wiesen, ein paar Bäume, sonst nichts. Die Abendsonne taucht die Szenerie in goldenes Licht. Truckerromantik wie aus dem Bilderbuch.

Es ist nicht viel los heute; Kolbe hat die Straße fast für sich. Im Rückspiegel taucht ein roter Pkw auf, der sich mit hohem Tempo nähert. Das Fahrzeug überholt ihn, schwenkt knapp vor ihm ein und bremst. Kolbe muss mit voller Wucht in die Eisen steigen, um einen Crash zu verhindern. „Was bist du denn für ein Affe?“, schimpft er. Und muss dann selbst ein wenig lachen.

Denn der 31-jährige Berufskraftfahrer befindet sich nicht etwa auf der Landstraße, sondern in einem abgedunkelten Raum im vierten Stock eines Gebäudes der Leuphana Universität Lüneburg. Das Lenkrad, das er in der Hand hält, gehört zu einem Fahrsimulator; der Verkehrsrowdy existiert nur auf dem großen Flachbildschirm vor Kolbes Nase.

Hinter Maik Kolbe sitzt Thomas Rheker, die Augen konzentriert auf einen kleinen LCD-Monitor gerichtet. Der Informatiker hat sich die Gemeinheit mit dem roten Pkw einfallen lassen. Nun registriert er genau, wie der Testpilot auf die Gefahr reagiert. Rhekers Bildschirm meldet ihm dazu die wichtigsten Fahrdaten des virtuellen Brummis: Geschwindigkeit, Lenkwinkel, Bremsdruck. „Wir zeichnen alles auf und analysieren die Werte später im Detail“, sagt er. „So können wir sehen, welche Situationen besonders kritisch waren, und diese eventuell gezielt noch einmal trainieren.“

Thomas Rheker ist Mitarbeiter in einem Projekt, das der Lüneburger Professor Dr. Rainer Höger initiiert hat: Der Verkehrspsychologe an der Leuphana Universität entwickelt zusammen mit seinem Team ein Fahrsimulationstraining, das speziell auf die Bedürfnisse von Berufskraftfahrern zugeschnitten ist. Denn die Anforderungen an diese Berufsgruppe sind immens: Allein in der ersten Jahreshälfte 2011 haben Deutschlands Trucker insgesamt fast 15 Milliarden Kilometer am Steuer gesessen. Deutsche Speditionen haben zudem mit der kostengünstigen Konkurrenz aus dem Ausland zu kämpfen. Sie versuchen daher, ihre Transporter so gut wie möglich auszulasten. Für die Fahrer bedeutet das oft einen erheblichen Termindruck.

Die Folgen bleiben nicht aus: In jeden achten Unfall mit Personenschaden ist heute ein Lkw verwickelt, hat der Deutsche Verkehrssicherheitsrat ermittelt. Und geringer wird der Stress auf bundesdeutschen Straßen mit Sicherheit nicht werden: Der Shell-Konzern schätzt, dass die Güterverkehrsleistung bis 2030 noch einmal um die Hälfte steigen wird. „Wir haben daher ein EDV-Programm entwickelt, um Berufskraftfahrer sowohl für Routinesituationen als auch für besondere Risiken zu schulen“, erklärt die Projektmitarbeiterin Swantje Robelski.

Für das Projekt hat die Doktorandin zusammen mit ihren Kollegen Autobahn-Raststätten im Großraum Lüneburg abgeklappert. „Wir haben dort Lkw-Fahrer interviewt, um einen Eindruck davon zu bekommen, welche Gefahrensituationen besonders häufig sind“, sagt sie. „Oft genannt wurden komplexe Szenarien mit mehreren Verkehrsteilnehmern – wenn etwa ein entgegenkommender Pkw vor dem Lkw links abbiegen möchte, dabei einen querenden Fußgänger zu spät sieht und unverhofft bremsen muss.“

Einige dieser Situationen sind in die drei Strecken mit eingeflossen, die der Testfahrer Maik Kolbe heute absolviert. „Mir fehlt ein wenig das Gefühl dafür, wie breit der Lkw ist und wie nah er sich am Fahrbahnrand befindet“, sagt er. „Ansonsten fühlt sich das schon ziemlich realistisch an. Es ist in jedem Fall etwas ganz anderes, als zuhause am Computer zu daddeln.“ Er ist nach dem Beinahe-Crash wieder ganz relaxt. Eigentlich sei die Route ziemlich eintönig, sagt er. Aber gerade darin bestehe die Gefahr, da man sich mit der Zeit immer leichter ablenken lasse und nicht mehr so konzentriert fahre. „Auf unseren Strecken passiert oft erst einmal eine Weile nichts“, bestätigt Thomas Rheker. „Aber dann kommt es umso dicker.“

Der Fahrsimulator ist Teil des Innovations-Inkubators, eines europaweit einmaligen Projekts zur Förderung der Wirtschaft im ehemaligen Regierungsbezirk Lüneburg. Im Vordergrund stehen dabei die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen in zukunftssicheren Branchen sowie die Stärkung des Forschungs- und Entwicklungspotenzials insbesondere von kleinen und mittleren Unternehmen der Region. Als Partner konnten die Forscher das regionale ADAC Fahrsicherheitszentrum in Embsen sowie die Süderelbe AG gewinnen.

Studien deuten darauf hin, dass „Trockenübungen“ am Simulator auch die Reaktion in tatsächlichen Verkehrssituationen verbessern können, erklärt Swantje Robelski. Ein unbestrittener Vorteil von Fahrsimulationen sind zudem die Kosten. Schließlich steht bei einem Fehler nicht gleich der teure Truck auf dem Spiel. Da im Simulator riskante Situationen am Fließband produziert werden können, ist auch der Zeitaufwand für ein solches Training vergleichsweise gering – und damit die Kosten für den Spediteur, der seinen Fahrer bezahlen muss.

Maik Kolbe arbeitet seit 2003 als Kraftfahrer. Der Stress macht ihm mitunter zu schaffen; das Verhalten der „Zivilisten“, wie er die Pkw-Fahrer nennt, auch. Vor kurzem hat er den Arbeitgeber gewechselt und muss künftig noch größere Brummis als bisher steuern. Um sicher zu fahren, brauche man vor allem jede Menge Praxis, sagt er. „Ein Simulator kann da schon sehr hilfreich sein“, sagt er. „Oder alternativ ein echtes Fahrsicherheitstraining.“


Kontakt:
Swantje Robelski
Team Entwicklung Fahrsimulationszentrum
Innovations-Inkubator
Leuphana Universität Lüneburg
Telefon: 04131/677‐7846
E-Mail: swantje.robelski@inkubator.leuphana.de