Forschungsprogramm

Untersuchungsgegenstand: Kunst-, Medien- und Sozialkritik

Das Kolleg widmet sich markanten Fällen aus den Forschungsbereichen Kunst-, Medien- und Sozialkritik. Untersucht werden deren Formen, Medien und Effekte, um in historisch und kulturell differenzierender Perspektive die Voraussetzungen und Bedingungen, die Funktionen und die Geltungsansprüche kritischer Praxis zu reflektieren.

Drei Forschungshypothesen konturieren die Untersuchung der jeweiligen kritischen Praktiken:

  1. Kritik impliziert auf eine unhintergehbare Weise Prozeduren und Operationen zur Darstellung ihres Gegenstandes, die als Kulturtechniken beschrieben werden können.
  2. Konkrete kritische Darstellungspraktiken wiederum geben ihre jeweilige Rahmung, z.B. Institutionen oder Medien, in Szenen zu erkennen, die ihrerseits historisch, gesellschaftlich und kulturell je spezifisch gebunden sind.
  3. Bei kritischer Praxis handelt es sich um ein prinzipiell situiertes und insofern partikulares Phänomen, das dennoch auf Verallgemeinerbarkeit orientiert ist. Kritische Praktiken sind also bestimmt von einer konstitutiven Spannung zwischen der partikularen Erscheinungsweise und einem gleichwohl umfassenden Geltungspotenzial.

Die Promotionsprojekte werden in der Regel den drei Forschungsbereichen entsprechend disziplinär verortet sein. Die disziplinäre Situierung ist jedoch nicht als Grenzziehung zu verstehen, sondern als konturierter und fundierter Ausgangspunkt interdisziplinären Arbeitens. Denn die Fragehorizonte (Formen, Medien, Effekte) und die Forschungshypothesen (Kulturtechnik, Szene, Situiertheit) sind disziplinübergreifend angelegt. Sie kommen auf jeweils unterschiedliche Weise in den Disziplinen zum Tragen und stellen eine gemeinsame interdisziplinäre Diskussionsbasis sicher.

Leitfragen des Kollegs

Mit Nachdruck ist die Frage der Kritik in gesellschaftliche und akademische Debatten zurückgekehrt. Was jedoch unter Kritik zu verstehen ist, wird mit derselben Vehemenz diskutiert. Wie heterogene Formen und Diskurse von Kritik vergleich- und damit diskutierbar werden, ist eine Leitfrage des Kollegs. Programmatischer Ausgangspunkt sind kritische Praktiken, um aus der Fülle konkreter Fälle ein kulturwissenschaftlich fundiertes Kritikverständnis zu entwickeln. Kritik wird dabei als ein kulturell situiertes Phänomen verstanden. Die formale und materielle Gestalt von kritischen Praktiken, ihre mediale wie technologische Bedingtheit, die Voraussetzungen eines kritischen Aktes, Wahrnehmungsweisen wie Erwartungshorizonte, sowie die Funktionen, Wirkweisen und Bestimmungen von Kritik werden mit historisch sich wandelnden Bestimmungen von Kritik konfrontiert.

Allen Formen von Kritik gemeinsam ist ihre Gebundenheit an Darstellung. Kritik ist nicht ablösbar von den Formen und Medien der Darstellung, deren sie sich bedient und in die sie eingebettet ist. Dies tritt prägnant in kritischen Praktiken bereits zu Beginn der Moderne, etwa bei Denis Diderot, hervor. Neue Medien – Blogs, Social-Media, das sogenannte Web 2.0 – heben die eminente Rolle der Darstellung in kritischen Praktiken nahezu plakativ hervor. Die Auswirkungen dieser Darstellungsgebundenheit auf Gegenstand und Wirkweise von Kritik erforscht das Kolleg in einer programmatisch gewählten Konstellation von drei Bereichen: Kunstkritik, Medienkritik und Sozialkritik.

Kunst- und Medienkritik operieren meist darstellungsreflexiv und machen die Bedingungen ihrer eigenen Erscheinungsweise, ihre Formen und Medien zum Gegenstand ihrer Reflexion – bis hin zu einer selbstreflexiven Obsession, der die gesellschaftliche oder soziale Relevanz ihres Gegenstandes aus dem Blick fällt. In der Sozialkritik herrscht umgekehrt die Orientierung auf gesellschaftliche Veränderung, auf Engagement und Einmischung vor; ein Fokus, der meist vergessen lässt, was z.B. Femen deutlich vor Augen führt: dass die Kritik sozialer Phänomene darstellungsabhängig operiert und ohne ihre Formen und Medien nicht zu denken ist.

Im Bereich der Kunst wird eine Vielfalt von Kritikformen integriert, transformiert, diskutiert und ihrerseits kritisiert. Kunstkritik greift in gesellschaftliche Prozesse ein, z.B. als Medium bürgerlicher Öffentlichkeit in der frühen Moderne oder als vermittelndes Sprachrohr kritischer Agenden in zeitgenössischer künstlerischer Praxis, sei es postfordistische Kapitalismuskritik, Repräsentationskritik oder feministische Intervention. Kunstkritik ist also ein exemplarisches und ein breites Feld der Verhandlung von Kritik. Offensiv mit Fragen des Darstellens in seiner Materialität und Medialität befasst, ist sie zugleich mit einem Gegenstand konfrontiert, der subjektkonstituierende, soziale, transzendentale und ökonomische Aspekte einschließt. Gleichursprünglich mit der Ausprägung des modernen Kritikbegriffs in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, ist Kunstkritik ein darstellungsreflexives Instrument subjektiver und gesellschaftlicher Selbstverständigung: Im Blick auf einen ästhetisch verfassten Gegenstand erfährt sich, so die in der Moderne entwickelte Vorstellung, das kritische Subjekt als solches, in seinen sinnlichen, emotionalen und reflexiven Vermögen, die es selbst zu beobachten und darzustellen vermag.

Beide Aspekte, die Welt erschließende Dimension des Darstellens und die subjektkonstituierende Funktion des kritischen Aktes, stehen wiederum in der Medienkritik zur Disposition und werden oft verbunden mit kulturkritischen Argumenten. Medien stehen in Verdacht, den Zugang zu den Phänomenen zu verstellen, und sie bedrohen im Zuge von Kybernetisierung und Digitalisierung moderne transzendentale Begründungsformen von Subjektivität ebenso wie etablierte Techniken ihrer Konstitution. Kritische Subjektivität scheint heute weniger an die klassischen Kulturtechniken des Schreibens, Lesens und Betrachtens gebunden zu sein. Stattdessen operiert sie mit Diagrammen, Graphen, Algorithmen oder Software. Hier werden neue oder erweiterte Formen kritischer Subjektivität hervorgebracht, die nicht einfach im modernen, in der Aufklärung konturierten Subjektbegriff aufgehen.

Auch im Bereich der Sozialkritik stellt sich angesichts von kollektiven und vernetzten Versammlungsformen des Protestes und der Kritik die Frage nach dem Subjekt der Kritik, ihren Ästhetiken, Infrastrukturen und Herstellungsweisen auf neuartige Weise. Über die Formen und Medien der Darstellung lassen sich kritische Akte also pointiert in ihren sozialen, gesellschaftlichen und subjekttheoretischen Dimensionen adressieren.

Während in den Dissertationsprojekten konkrete Fälle kritischer Praxis bearbeitet werden, bietet die gemeinsame Kollegarbeit ein Forum für interdisziplinären, methodisch differenzierten Austausch, der eine Revision des Phänomens Kritik und seiner theoretisch-systematischen Bestimmungenermöglicht. In dieser Form bleibt das Verhältnis von konkreten Praktiken und theoretischem Zugriff auf Kritik stets als Forschungsfrage präsent.