Course Schedule


Lehrveranstaltungen

Kulturgeschichte der Melancholie (Seminar)

Dozent/in: Christian Voller

Termin:
14-täglich | Mittwoch | 10:15 - 13:45 | 25.10.2023 - 24.01.2024 | C 12.010 Seminarraum

Inhalt: Wir leben in einer Zeit, die uns keine Ruhe lässt. Beständig ist das Subjekt gezwungen, Stellung zu beziehen, sich einzumischen, aktiv oder gar aktivistisch zu agieren und sich klar zu positionieren. Zugleich ist unübersehbar, dass dem Individuum im Zeitalter seiner virtuellen Überflüssigkeit kaum Handlungsspielraum bleibt, von seinen Handlungen zudem nur wenig abhängt, und der blinde Lauf der Dinge übermächtig wirkt. Alexandra Schauer sprach in diesem Zusammenhang unlängst von einem unvermittelten – und unvermittelbaren – Nebeneinander von "Allzuständigkeit und Ohnmacht" in der Spätmoderne, Martin Jay diagnostizierte schon vor vielen Jahren ein "manic-depressive temperament of postmodernism", und Enzo Traverso gab die Formel einer "linken Melancholie" aus und hat damit einen ganzen 'Diskurs' losgetreten. Und tatsächlich: 'melancholische' Gehemmtheit ist – auch auf das Individuum bezogen – die vielgestaltige Ausfallerscheinung der Stunde. Diagnosen der Rubrik F32 ICD (depressive Episode) - F33 ICD (rezidivierende depressive Störung) trenden klassenübergreifend seit vielen Jahren, Erschöpfung und Lebensüberdruss drücken die Stimmung und das Brutto-Inlandsprodukt, "mutlose Mädchen" (Michael Schulte-Markwork) zucken wortlos mit den Schultern, während Jungs für Jahre hinter Bildschirmen verschwinden, und wer seine Geschlechtsidentität in Frage stellt, hat rein statistisch ohnehin die besten Chancen eine klinische Depression zu entwickeln. Aber: die Melancholie und ihr politisches Pendant, der Defätismus, sind nicht immer psychologisch und nicht immer als Ausfallerscheinung in Betracht gezogen worden; an den Begriffen hat sich vielmehr ein reichhaltige und faszinierende Wissens- und Kulturgeschichte abgelagert, mit der wir uns in diesem Seminar eingehend beschäftigen wollen.