Startwoche 2023: Parliament for Nature

10.10.2023 Johannes Vogel, Generaldirektor des Museums für Naturkunde in Berlin sprach über digitale Sammlungen, den Verlust von Biodiversität und die Letzte Generation. Die Diskussion leiteten Dr. Sylvia Haider, Professorin für Vegetationsökologie und Biodiversität und Dr. Lynn Rother, Lichtenberg-Professorin für Provenienzstudien. Rund 1000 Erstsemester-Studierende hörten zu.

Johannes Vogel, Generaldirektor des Museums für Naturkunde in Berlin, im Gespräch mit Prof. Dr. Sylvia Haider und Prof. Dr. Lynn Rother ©Leuphana / Ciara Charlotte Burgess
Johannes Vogel, Generaldirektor des Museums für Naturkunde in Berlin, im Gespräch mit Prof. Dr. Sylvia Haider und Prof. Dr. Lynn Rother

„How we will deal with climate change defines how we are going to live on earth. How we deal with biodiversity will define wether we live on the earth“, pointierte Dr. Johannes Vogel. Der Generaldirektor des Museums für Naturkunde in Berlin war Gast bei der Startwoche mit dem diesjährigen Thema „Collecting“. Das einzigartige Studienmodell der Leuphana sieht vor, dass alle Erstsemesterstudierenden sich zu ihrem Studienbeginn intensiv mit einem gesellschaftlich relevanten Thema auseinandersetzen.

Die Sammlung des Museums für Naturkunde in Berlin umfasst mehr als 30 Millionen Objekte aus Zoologie, Paläontologie, Geologie und Mineralogie. In einem Pilotprojekt werden zunächst 500 000 Insekten-Präparate digitalisiert. Damit soll die Sammlung weltweit zugänglich gemacht werden. „We need to continiue collecting because we know to little. But we need to do it in a modern digital way“, erklärte Johannes Vogel. Die Algorithmen seien mittlerweile so effizient, dass sie sogar innerartliche Merkmale unterscheiden können - ähnlich wie wir Menschen es unter einander tun. DNA-Analysen, die auch zur Artbestimmungen genutzt werden können, seien dagegen zu langsam und zu teuer.

Museen würden durch die Digitalisierung aber keineswegs überflüssig: Noch immer seien physische Objekte für die Forschung nötig. Johannes Vogel zeigte beispielhaft Falkeneier mit hauchdünnen Schalen. Der britische Wissenschaftler Derek Ratcliffe war der erste, der in den 60er Jahren den Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Pestiziden wie DDT und dem Rückgang der britischen Raubvogel-Populationen, insbesondere des Wanderfalken, entdeckte. Die schweren Vögel konnten ihre Eier nicht mehr ausbrüten. Die Schalen waren durch das DDT zu dünn geworden.

Johannes Vogel betonte aber auch die politische Dimension eines Museums: Im vergangenem Herbst hatten sich zwei Klimaaktivistinnen der Letzten Generation an die Haltstangen eines Dinosaurier-Skeletts geklebt. Der Museumsdirektor verurteilte die Aktion und erstattete Anzeige wegen Sachbeschädigung, aber: „We should talk about the subject and not about the grief of a museums director.“ Johannes Vogel lud deshalb zur Diskussionsrunde ins Museum ein. Gleich bei den Dinosaurier-Skeletten wurde ein kleines Fernsehstudio aufgebaut und die Aktivistinnen sprachen gemeinsam mit Vertreter*innen unter anderem von Polizei, Politik, Medizin und Handwerk: „We tranformed the museum into a parliament for nature.“

Wissensbasierter Dialog steht für Johannes Vogel im Vordergrund. Nach der Diskussion wurde eine kleine Ausstellung aufgebaut, die heute noch zu besichtigen ist. Dazu gehört auch der Sekundenkleber auf den Haltestangen, der als Zeitzeugnis erhalten wurde. „We are not the biggest natural history museum, but we are by far the most political natural history museum I know. Politically in the sense that we are willing to allow debate on nature and democracy.“