VHB-Keynote von Ann-Kristin Achleitner - „Dem Zufall eine Chance geben“
07.03.2024 Die Welt befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Unternehmen suchen nach ertragreichen Geschäftsmodellen und Märkten. Gesellschaften streben nach stabilen Rahmenbedingungen. Beides ist aktuell nur schwer zu bekommen. Unter dieser Großwetterlage nimmt die Betriebswirtschaft ihre Verantwortung wahr – sie kann sogar zu einem Koordinator von Perspektiven werden.
Die BWL bezieht bereits heute verschiedene wissenschaftliche Disziplinen wie die Psychologie, Philosophie, Informatik, Rechts- und Politikwissenschaften sowie die Ingenieurwissenschaften in ihre Forschung ein. Das erhöht die Wirkung ihrer Erkenntnisse zur Lösung praktischer Probleme in Unternehmen und Organisationen. Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit soll künftig noch weiter ausgebaut werden. Das ist die Botschaft, die die 84. Jahrestagung des Verbandes der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer für Betriebswirtschaft aus Lüneburg sendet.
Sascha Spoun, Präsident der Leuphana, sagte zur Eröffnung: „Es ist erforderlich, den unternehmerischen Blick auf die Gesellschaft zu weiten – und den gesellschaftlichen Blick für die Bedarfe der Firmen zu öffnen.“ Die Lüneburger Diskussionen, die die gut 500 Teilnehmenden führten, gehen auch an die kritischen Fragen heran. Welche Antworten kann die BWL wirklich geben – so Spoun weiter – und wie sieht ihr künftiger Beitrag für die Gesellschaft aus? Warum seien die unternehmerischen Sorgen im Land nie wirklich in der öffentlichen Wahrnehmung verankert? Was habe hier die Betriebswirtschaft selbst versäumt? Der Leuphana Präsident fragte schließlich: „War die BWL zu weltfremd?“
Die Keynote hielt Ann-Kristin Achleitner, School of Management der Technischen Universität München. Sie bot eine ähnliche Analyse und entwarf ein positives Szenario. Achleitner ist auf beiden Seiten aktiv, sowohl als Wissenschaftlerin als auch als Praktikerin in und mit Unternehmen. „Es ist richtig, dass die BWL einen hohen praktischen Gestaltungsanspruch hat“, formulierte sie, „die Frage ist nur, welchen Beitrag in der Transformation wird sie leisten?“ Anzuerkennen sei, dass die Welt komplexer und die geopolitischen Herausforderungen größer geworden seien. Das enge vielfach die politischen und wirtschaftlichen Handlungsspielräume ein.
Achleitner blieb insgesamt zukunftsgewandt. Denn die treibenden Kräfte hinter der Transformation von Unternehmen und Organisationen hin zu einer neuen, auch nachhaltigen Handlungsweise seien identifizierbar und könnten innovativ genutzt werden. Sie sieht zum Beispiel in den Entwicklungen rund um mehr Transparenz der Nachhaltigkeit, einer Verbreitung der Künstlichen Intelligenz und auch im Quanten-Computing große wirtschaftliche und gesellschaftliche Chancen. Angesichts der damit verbundenen umfassenden Veränderungen im privaten und öffentlichen Leben sei es aber rechtens zu fragen: „Disrupiert hier gerade die Disruption selbst?“
Zum Ausblick baute die TUM-Forscherin eine Brücke: „Der technologische Wandel bietet Ansporn, die eigenen Produkte, Dienstleistungen – das Geschäftsmodell insgesamt – weiterzuentwickeln.“ Hier sei die BWL koordinierend eingebunden in das Dreieck der Forschung, der staatlichen Rahmensetzung und der aktiven Unternehmen.
Für die Universitäten und Firmen formulierte Ann-Kristin Achleitner zwei Anregungen. „Die Kernfrage der Zukunft lautet für Unternehmen, wie Räume und Formate geschaffen werden können, in denen Wissen neu kombiniert werden kann. Wie kann ich dem Zufall strukturell eine Chance geben?“ Und Universitäten müssten geschützte Räume für kontroverse Debatten bleiben. Im Sinne des Leuphana Studienmodells schloss sie mit einem Wunsch, künftig eine Qualifikation an Universitäten anzubieten, „die immer wieder den Perspektivwechsel“ ermögliche, ohne in den jeweiligen Disziplinen fachlich untreu zu werden.