Interdisziplinäre Forschung zur gesetzlichen Regulierung von Lieferketten

Umweltschutz und Einhaltung von Menschenrechten auf ganzer Linie

02.09.2024 Wie kann eine Nachhaltigkeitstransformation globaler Lieferketten durch Politik und Gesetzgebung erreicht werden? Diese Frage erkundet der Wissenschaftsraum „Nachhaltigkeitsgovernance globaler Wertschöpfungsketten“ unter der Leitung von Prof. Dr. Jens Newig.

©Johanna Coenen
Piktografische Darstellung der Nachhaltigkeitsregulierung von Lieferketten

Günstige Kleidung, preiswertes Fleisch – der Zusammenhang zwischen dem Konsumverhalten im globalen Norden und der ökologischen Zerstörung und sozialen Ausbeutung im globalen Süden ist allgemein bekannt. Zum Beispiel verdeutlichte der Gebäudeeinsturz der Rana-Plaza-Textilfabrik in Bangladesch im Jahr 2013, dass Arbeitssicherheitsstandards in vielen produzierenden Ländern oft unzureichend sind. Auch die massive Rodung von artenreichen Regenwäldern zur Deckung des weltweiten Bedarfs an Soja-Futtermitteln für die Tierhaltung wird medial vielfach diskutiert. „An diesen Beispielen sehen wir, dass die Preise deshalb so günstig sind, weil nicht sozial und nicht nachhaltig produziert wird. Die Forschung unseres Wissenschaftsraums setzt an solchen Problemen mit Lieferketten an. Wir versuchen dazu beizutragen, diese Probleme zu lösen“, erklärt Jens Newig.

Der Professor für Governance und Nachhaltigkeit am Institut für Nachhaltigkeitssteuerung betont, dass es dennoch eine ganze Weile gedauert habe, bis die Politik aktiv geworden ist. Verbindliche Regulierungen zur Nachhaltigkeit von Lieferketten, für die sich in der Forschung der Begriff der globalen Wertschöpfungsketten etabliert hat, sind in europäischen Ländern erst in den letzten Jahren in Kraft getreten (z.B. das französische Loi de Vigilance (2017) oder das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) (2023)). Ganz aktuell wurde 2024 die EU-Lieferkettenrichtlinie (Corporate Sustainability Due Diligence Directive) verabschiedet. Diese Regulierungen setzen bei den Unternehmen an, die selbst nachweisen müssen, dass sie in ihren gesamten Lieferketten Nachhaltigkeits-, Menschenrechts- und Umweltstandards einhalten – beginnend bei der Produktion in den Produktionsländern bis hin zu den Zulieferern. Newig führt aus, dass die Folgen dieser Gesetze weitgehend unerforscht sind: „Die Lieferkettenregulierungen sind jetzt gerade da. Das heißt, wir können jetzt die ersten materiellen Auswirkungen sehen. Wie gehen Unternehmen mit den neuen Regelungen um? Wie ändert sich das Nachhaltigkeitsreporting in den Unternehmen? Welche Gruppen machen von ihrem Klagerecht gegen Menschenrechtsverstöße in Produktionsländern Gebrauch, und welche Ergebnisse haben entsprechende Gerichtsverfahren? Wie kontrollieren die Behörden die Einhaltung der Gesetze? Und welche Folgen entstehen am Ende für die Produktionsländer?“ Um diese Fragen beantworten und die Komplexität globaler Wertschöpfungsketten erforschen zu können, ist ein interdisziplinärer Ansatz unabdingbar.

Der Wissenschaftsraum vereint Expertisen aus der Politikwissenschaft, den Rechts- und Wirtschaftswissenschaften und der Geografie. An der Leuphana sind Forschende aus drei Fakultäten mit an Bord, neben der Nachhaltigkeitsfakultät auch aus den Fakultäten Management & Technologie und Staatswissenschaften. Die involvierten Forschenden aus den Universitäten Oldenburg und Osnabrück und dem German Institute for Global and Area Studies (GIGA), Hamburg bringen u.a. die Bereiche der vergleichenden Politikwissenschaft, des nachhaltigen Lieferkettenmanagements, der Geografie sowie der Entwicklungszusammenarbeit und damit explizit die Perspektive des globalen Südens ein. „Wir versuchen, die gesamte Kette der rechtlichen Mechanismen abzubilden, über die Unternehmen bis hin zu dem, was in den Produktionsländern passiert. Und weil das derart komplex ist, ist es großartig, all diese Disziplinen dabei zu haben“, freut sich Jens Newig. Zudem sind Kooperationen mit niedersächsischen Unternehmen und mit NGOs angedacht, um die Praxisperspektive einzubeziehen. Langfristig will der Wissenschaftsraum Grundlagen für politisches und ökonomisches Handeln liefern, beispielsweise in Form von Handlungsempfehlungen für Politik und Wirtschaft oder der Entwicklung von Weiterbildungsangeboten für Unternehmen und Behörden.

Das Förderformat „Wissenschaftsräume“ des Landes Niedersachsen und der VolkswagenStiftung unterstützt die Zusammenarbeit zwischen niedersächsischen Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Der Wissenschaftsraum „Nachhaltigkeitsgovernance globaler Wertschöpfungsketten“ baut ein interdisziplinäres Netzwerk in Niedersachsen auf, in dem Transformationswissen zur Zusammenwirkung von öffentlichen Regulierungen mit Nachhaltigkeitsmanagements in Unternehmen generiert wird – mit dem Ziel, die oft umweltschädlichen und Menschenrechte verletzenden Folgen von Lieferketten einzudämmen.

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  • Prof. Dr. Jens Newig