Tag der Lehre 2025: „KI ist ein Desire Path“

29.01.2025 Wie verändert die breite Verfügbarkeit von generativer Künstlicher Intelligenz (KI) Prüfungen und Lernstandserhebungen an Hochschulen? Die Keynote von Prof. Dr. Marlit Annalena Lindner (EUF - Europa-Universität Flensburg | IPN Kiel - Leibniz Institute for Science and Mathematics Education) widmete sich den weitreichenden Implikationen und Potenzialen.

©Leuphana
„Studierende sollen bestimmte Kompetenzen erwerben, KI gehört von nun an dazu. Sie wird im späteren Berufsalltag eine wichtige Rolle spielen. Studierende dürfen nicht abgehängt werden. KI Literacy fachspezifisch auszubilden, ist deshalb eine gute Idee“, sagt Prof. Dr. Marlit Lindner.

„Chat GTP is now available for everyone to try“, twitterte Gründer Sam Altman am 30. November 2022. Binnen weniger Tage nutzten mehr als 100 Millionen Menschen weltweit das Programm. Studierende gehörten dazu. Einige prophezeiten bereits das Ende der schriftlichen Hausarbeit. Trotz der Möglichkeit mit Künstlicher Intelligenz in Prüfungen zu täuschen, lehnt die Psychologin Marlit Annalena Lindner ein striktes Verbot ab: „Generative KI an Hochschulen zu untersagen ist, wie ein Versuch den Wind mit Netzen einzufangen“, argumentiert die Forscherin. Bei Prüfungsformaten wie Hausarbeiten rät sie deshalb zu einer unterschriebenen Eigenständigkeitserklärung. „Diese Versicherung kann Handhabe in eindeutigen Verdachtsfällen ermöglichen“, rät sie. 

Insgesamt erkennt Marlit Annalena Lindner mehr Chancen als Risiken in der KI: „KI ist ein ,Desire Path‘, erklärt sie. Wie Trampelpfade, die als Abkürzung zwischen Wegen entstehen, kann KI den (kognitiven) Weg zu Ziel beschleunigen, wenn auch teilweise weniger perfekt als die eigene Intelligenz, dafür aber deutlich schneller.

So ließen sich durch KI nicht nur Prüfungsaufgaben und Musterantworten effizienter erstellen. „Auch Studierende können diese Methode zu eigenen Prüfungsvorbereitung nutzen“, sagt Marlit Lindner. 

Prüfungen müssten an die neue Realität angepasst werden. Die Flensburger Forscherin rät, KI in Lehre und Prüfungen einzubinden: „Studierende sollen bestimmte Kompetenzen erwerben, KI gehört von nun an dazu. Sie wird im späteren Berufsalltag eine wichtige Rolle spielen. Studierende dürfen nicht abgehängt werden. KI Literacy fachspezifisch auszubilden, ist deshalb eine gute Idee.“ Zu diesen Kompetenzen gehöre auch ein reflektierter Umgang mit der KI: „Warum und wie habe ich KI genutzt? Was wäre eine bessere Methode gewesen? Wo bleibt der Datenschutz? Wir brauchen kompetenzorientierte Prüfungen“, fasst Marlit Lindner zusammen. 

Um die Eigenständigkeit der Leistungen zu sichern, seien kreative Prüfungsformate essentiell wie Podcasts, Lerntagebücher oder praktische Fragen, die mit Hilfe von theoretischem Wissen beantwortet werden: „In einem Informatik-Seminar etwa mussten Studierende aus einem Kinderbaukasten ein vorgegebenes Modell bauen und dabei grundlegendes Wissen der Informatik anwenden“, berichtet Marlit Lindner.

Fest stehe: Die fortschreitende Integration von KI-Technologien in den Hochschulalltag macht eine Neuausrichtung der Prüfungskultur unumgänglich, um den Herausforderungen der digitalen Transformation gerecht zu werden und zeitgemäße Prüfungsformen zu etablieren, sagt die Psychologin: „Wir werden mit neuen kreativen Ideen an formale Grenzen stoßen, aber Prüfungsordnungen sind nicht unumstößlich.“