Un-vergessbar machen: Memory Lab-Podcast zu Bergen-Belsen

12.02.2025 Im Forschungsprojekt „Musikalische und klangliche Erinnerungsräume in der Post-Witness Ära“ untersuchen Thomas Köhn und Prof. Dr. Monika Schoop vom IKMV die Rollen von Musik und Klang beim Erinnern an die NS-Zeit. In einem Seminar dazu haben Studierende einen Podcast entwickelt, umgesetzt und aufgenommen, der auf Spotify zu hören ist.

©Leuphana/Phillip Bachmann
„Musik hat in der Forschung zu Bergen-Belsen bislang vergleichsweise wenig Beachtung gefunden - dabei hatte sie vielfältige Funktionen", erklärt Prof. Dr. Monika Schoop, hier mit Thomas Köhn im Podcast-Studio.

Wie lässt sich die Zeit des Nationalsozialismus erinnern? Diese Frage wird immer drängender, denn es wird bald keine Zeitzeug*innen mehr geben, die vom Holocaust und dem Nationalsozialismus berichten können. Gleichzeitig nehmen rechtsextreme und geschichtsrevisionistische Tendenzen zu. „Musik und Klang bieten hier besondere Potenziale, die bislang kaum erforscht sind. Darum setzen wir genau hier an“, sagt Thomas Köhn. „Dabei geht es zum einen darum herauszufinden, welche Rolle Musik und Klang bereits jetzt beim Erinnern spielen – etwa die Stimmen von Zeitzeug*innen in Videointerviews, die Musik bei Gedenkveranstaltungen oder die Tonspuren historischer Filme, die in Ausstellungen gezeigt werden. Zum anderen stellt sich die Frage, wie klangliche Elemente künftig gezielt eingesetzt werden können, um Erinnerung emotional erfahrbarer zu machen und Menschen für die Auseinandersetzung mit der Geschichte zu motivieren, sowie für das Thema Rechtsextremismus zu sensibilisieren."

In dem interdisziplinären Seminar „Memory Lab Bergen-Belsen“ haben die Teilnehmer*innen die Gedenkstätte mit der Historikerin Katja Seybold erkundet und sich dabei mit der komplexen Geschichte des historischen Ortes auseinandergesetzt. Der Schwerpunkt der Recherche im Archiv und der Auswertung historischer Dokumente lag dabei auf dem Thema Musik. „Musik hat in der Forschung zu Bergen-Belsen bislang vergleichsweise wenig Beachtung gefunden“, erklärt Monika Schoop, „dabei hatte sie vielfältige Funktionen. Im Konzentrationslager war z.B. gemeinsames Singen für die Gefangenen identitätsstiftend, es gab ihnen Kraft und diente auch als Ausdruck von Widerstand. Gleichzeitig wurde Musik auch von den Nazis instrumentalisiert. Es ist dokumentiert, dass Musikerinnen des Mädchenorchesters Auschwitz nach Bergen-Belsen deportiert wurden und gezwungen wurden für die Lagerleitung zu spielen. Musik war hier eine Form von Zwangsarbeit.“ 

Nach dem Krieg wurde das ehemalige Konzentrationslager von den Alliierten als Displaced Persons Camp genutzt. „Dabei war Musik zentral“, erläutert Schoop, „sie half den Menschen eine Brücke zu der Vorkriegszeit herzustellen und die Erlebnisse in den Lagern zu verarbeiten und zu erinnern. Durch den Fokus auf Musik können wir auch erkennen, dass es sich bei den Überlebenden keineswegs um eine homogene Gruppe handelte. So hat zum Beispiel der Besuch des Geigers Yehudi Menuhin und des Komponisten Benjamin Britten in Bergen-Belsen kontroverse Reaktionen hervorgerufen, da die beiden überwiegend Stücke deutscher Komponisten spielten. Viele hatten sich von Menuhin, der selbst auch Jude war, einen stärkeren Einbezug jüdischer Musik erhofft.“

 „Dass wir uns mit Bergen-Belsen auseinandersetzten, hat für uns als Lüneburger*innen eine besondere Bedeutung“, sagt Schoop, „das liegt zum einen an der räumlichen Nähe: die Gedenkstätte liegt nur eine Autostunde entfernt im Landkreis Celle. Aber es gibt noch weitere Verbindungen: Unmittelbar nach dem Krieg fand in Lüneburg der erste Prozess zu den Kriegsverbrechen in Bergen-Belsen  statt. Und das Konzentrationslager Bergen-Belsen wurde 1935 als Kaserne gebaut – fast gleichzeitig mit der Kaserne in Lüneburg, die heute der Campus ist.“

Aus den wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit Musik in Bergen-Belsen sind vier Podcast-Episoden hervorgegangen, die die Rolle von Musik im Konzentrationslager, im Displaced Persons Camp und in der Erinnerungskultur ergründen. 

Die neuen Episoden des Podcast „Memory Lab“ wurden auf Spotify und Apple Podcast veröffentlicht.

Das Forschungsprojekt „Musikalische und klangliche Erinnerungsräume in der Post-Witness Era: Erinnern an die Zeit des Nationalsozialismus in Niedersachsen“ wird mit 345.000 Euro vom Nieders. Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK) gefördert.