Eröffnung der Konferenzwoche 2025: Gefragte Wissenschaft
28.02.2025 Mit der Konferenzwoche schließen die rund 1500 Erstsemester-Studierenden am College das Leuphana Semester ab und präsentieren ihre Ergebnisse aus dem Modul „Wissenschaft trägt Verantwortung“. Bei der diesjährigen Eröffnung leuchtete der renommierte Philosoph und ehemalige Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin das Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Gerechtigkeit aus.
Julian Nida-Rümelin wendet sich zur Leinwand im Zentralgebäude. Dort ist das Motto der diesjährigen Konferenzwoche angeschlagen: Security or Justice?: „Diese Gegenüberstellung, die der Titel nahelegt, ist abwegig. Das ist allen klar. Aber wenn man genau hinschaut, wo es besonders abwegig ist, dann gibt es tatsächlich diesen Konflikt“, ordnet Julian Nida-Rümelin ein. Er verweist auf Länder mit nicht gut funktionierender Verwaltung, wo etwa Polizist*innen unterbezahlt sind und damit korruptionsanfälliger seien: „Dort kaufen sich die Reichen Sicherheit, wie etwa in den Gated Communies in Brasilien. Die Reichen benötigen nicht die staatlich organisierte Sicherheit.“ Er verwies auf die Ungerechtigkeit: „Die Menschen, die sich das nicht leisten können, sind aber angewiesen auf innere Sicherheit, also auf eine funktionierende Polizei. Sicherheit ist eine Grundvoraussetzung für Gerechtigkeit.“
Julian Nida-Rümelin war bis 2020 Inhaber des Lehrstuhls für Philosophie und politische Theorie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seine Spezialgebiete sind Entscheidungs- und Rationalitätstheorie, theoretische und angewandte Ethik, politische Philosophie und Erkenntnistheorie. Der ehemalige stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrats ist nicht zu ersten Mal in Lüneburg und kennt das Zentralgebäude noch aus dem Rohbau: „Einige Universitäten haben tolle Gebäude, meist aus dem 19. Jahrhundert. Aber das gibt es nirgends; das ist einmalig. Genauso einmalig scheint mir diese Konferenz zu sein. Ich hatte nicht gedacht, dass draußen 1500 Menschen stehen. Ich rechnete mit einem überschaubaren Kreis. Ich bin doppelt und dreifach beeindruckt“, gibt Julian Nida-Rümelin zu.
In diesem Jahr ist es bei der Konferenzwoche besonders voll. Erstmals sind in diesem Jahr auch Studieninteressierte eingeladen, einen Eindruck vom besonderen Studienmodell der Leuphana zu gewinnen.
„Willkommen zur Konferenzwoche 2025, willkommen zu Ihrer Konferenzwoche, denn Sie werden diese Veranstaltung in großen Teilen mitgestalten!“, begrüßt Leuphana-Präsident Sascha Spoun die Erstsemester-Studierenden im Auditorium. Er bezieht sich in seiner Rede auf die Bundestagswahl und das Erstarken der AfD. Gerade jetzt sei die Wissenschaft gefragt: „Wie will man vom Sicherheitsempfinden zu einem robusten Sicherheitsbegriff gelangen, der es erst ermöglicht, besonnen und umsichtig Sicherheit herzustellen? Denn aus angstgetriebener Panik heraus lassen sich keine guten Sicherheitsvorkehrungen treffen. Wenn wir uns also nicht bemühen, faktenbasiert, und das heißt letztlich, wissenschaftlich herauszuarbeiten, wo Gefahren und Risiken bestehen und wo nicht, bleibt es bei Panik und Panikmache“, mahnt Sascha Spoun.
Er stellt die Bedeutung der Transdisziplinarität heraus. „Gerade deshalb ist die Konferenzwoche auch nicht eine rein wissenschaftliche Konferenz. Sie ist entschieden dem Ansinnen gewidmet, das Wissenschaftliche ein Stück weit gesellschaftsfähig zu machen, indem es sich auch am Alltäglichen und Konkreten orientiert.“
Die Rolle übernehmen bei der Konferenzwoche die Studierenden. Großen Applaus erhielt die Performance zum Konflikt zwischen Sicherheit und Gerechtigkeit. Rund 20 Studierende stellten mit Stimme und Körper den Dissens dar und zeigten, wie eine Gesellschaft durch Empfindungen gespalten werden kann. Alle Erstsemester-Studierenden haben sich in 44 Seminaren und 255 Projektgruppen während des Leuphana Semesters wissenschaftlich mit realen Problemen auseinandergesetzt.
Mit dabei sind auch Beeke Kröger, Rieke Neumann, Johanna Bösel-Ded, Emily Riske und Vincent Poersch. Die fünf Erstsemester-Studierenden haben sich in einem Seminar zu partizipativer Forschung mit nachhaltigem Konsum beschäftigt: Gemeinsam mit der Initiative „foodsharing Lüneburg“ und dem Bürgertreff „Commons Zentrum“ haben sie einen Fairteiler entwickelt. Ihr Ergebnis präsentieren sie wie alle anderen Studierenden-Gruppen im Rahmen der Konferenzwoche: „Wir haben zunächst die Literatur studiert und geschaut, was wir beachten müssen, wenn wir die Abholstelle inklusiv gestalten möchten“, erklärt Beeke Kröger. Die 21-Jährige studiert am College Kulturwissenschaften.
In dem Holzschrank sollen Lebensmittelspenden für alle Menschen zugänglich sein. Nach der Literaturrecherche traf sich die Gruppen mit einem gemischten Team der Initiative und dem Bürgertreff. Beim transdisziplinären Ansatz, hier mit der Methode des participatory action research umgesetzt, ermittelten die Studierenden nicht nur den Bedarf des Bürgertreffs und der Initiative, sondern sorgen auch für eine Veränderung im gemeinnützigen Zentrum: „Der Fairteiler wurde von uns so gebaut, dass er sowohl für Rollstuhlfahrende zugänglich ist als auch beleuchtet wird, um gerade Frauen mehr Sicherheit zu gewähren“, erklärt Johanna Bösel-Ded. Sie studiert Umweltwissenschaften.
Beim Gallery Walk im Foyer des Zentralgebäude beantworten die Fünf die Fragen ihrer Kommiliton*innen aus dem Verantwortungsmodul. Überall stehen Studierende an ihren Projektständen, tauschen sich über ihre Ergebnisse aus und ordnen sie in die Sustainable Developement Goals der UN ein. „Es war ein spannendes Semester mit offenem Austausch und einer tollen Gruppe“, sagt Lehramtsstudent Vincent Poersch.