LIAS Alumnus Dr. Gary Hussey: Betonierte Ideologien

05.05.2025 Zwischen monumentalen Statuen und scheinbar harmloser Stadtarchitektur durchziehen unsichtbare Machtlinien unsere Städte. LIAS Alumnus Gary Hussey, Politikwissenschaftler und Urbanismusforscher, wirft einen kritischen Blick auf die Art und Weise, wie politische Ideologien buchstäblich betoniert werden – von den rekonstruierten Nationalmythen in Budapest bis hin zu den subtilen Alltagsformen des Widerstands in unserer Nachbarschaft. Im Interview spricht Hussey über die Rolle rechtsextremer populistischer Kräfte im städtischen Wandel, über produktive Formen des politischen Antagonismus und die Grenzen liberaler Friedensnarrative.

©Julia Knop
„Was mich besonders interessiert, ist die Reaktion auf bestimmte Formen der Stadtentwicklung, die nach dem Fall des Sozialismus stattfanden, und wie diese Entwicklungen die demokratischen Hoffnungen in diesen Gesellschaften zunichte machten, was wiederum zum Aufstieg des Rechtspopulismus beiträgt“, sagt LIAS Alumnus Gary Hussey.

Ihre Recherche zeigt, wie sich politische Ideologien im urbanen Raum materialisieren. Inwieweit sind Denkmäler und Architektur aktive Instrumente politischer Macht?

Gary Hussey: Die städtischen Umgebungen spiegeln die politische Macht wider; Denkmäler, die oft an die großen Siege erinnern, durch die eine politische Ordnung errichtet oder verteidigt wurde, z.B. im Falle von Militärstatuen und ähnlichem. Solche materiellen Objekte machen die Gründungsmythen einer sozio-politischen Ordnung in gewisser Weise ‘real’ und greifbar. Sie sind materielle ‘Knotenpunkte’ oder Ankerpunkte im politischen Diskurs, die dem Raum eine ideologische Konsistenz verleihen. Sie dienen dazu, ein politisches Regime zu ‘naturalisieren’. 

Die Neugestaltung Budapests durch rechtspopulistische Kräfte ist ein zentrales Thema Ihrer Forschung. Sehen Sie Parallelen zu anderen europäischen Städten, in denen rechtspopulistische Regierungen den öffentlichen Raum für ihre Ideologien beanspruchen? 

Diese Arbeit über die Materialität des Populismus in Budapest ist ein sehr neues Gebiet für mich, und ich muss noch tiefer gehende vergleichende Arbeiten durchführen, um Budapest mit anderen zeitgenössischen europäischen Städten zu vergleichen. Aber ich bin daran interessiert, eine solche Arbeit im breiteren postsozialistischen Raum zu machen, von Belgrad bis Sarajewo. Was mich hier besonders interessiert, ist die Reaktion auf bestimmte Formen der Stadtentwicklung, die nach dem Fall des Sozialismus stattfanden, und wie diese Entwicklungen die demokratischen Hoffnungen in diesen Gesellschaften zunichte machten. Was wiederum zum Aufstieg des Rechtspopulismus beiträgt.

Sie untersuchen, wie illiberale Kräfte Budapest umgestalten. Welche Formen des Widerstands entstehen gegen diese Veränderungen und welche Akteure spielen dabei eine zentrale Rolle?

Meine bisherige Forschung über Budapest war in Bezug auf ihren räumlichen Fokus sehr eng begrenzt. Anstatt die gesamte Stadt als Fallstudie zu nehmen, habe ich einen Bezirk genauer untersucht - den Bezirk IX, um genau zu sein. Ich habe diesen Bezirk als Fallstudie gewählt, weil er so etwas wie ein oppositioneller Raum ist. Die Widerstandspraktiken, die ich untersuche, sind meist auf kultureller Ebene angesiedelt und Formen des alltäglichen Widerstands. Die Hauptakteur*innen sind ‚normale‘ Menschen, die sich mobilisieren, um ihre eigenen Viertel zurückzuerobern und ihre eigene politische Handlungsfähigkeit auszuüben. Damit will ich nicht die gute Arbeit vieler politischer Persönlichkeiten und Aktivisten vernachlässigen.

Kritiker der post-fundationalen Theorie werfen ihr vor, keine klare normative Grundlage zu bieten. Wie begegnen Sie diesem Einwand, insbesondere in Bezug auf Ihre Forschung zur politischen Polarisierung?

Diese Kritik ist Teil der umfassenderen Kritik am Poststrukturalismus oder dem, was regelmäßig fälschlicherweise als ‚postmoderne‘ Theorie bezeichnet wird. Es dürfte kaum überraschen, dass ich mit solchen Behauptungen nicht einverstanden bin. Wenn es in meiner Arbeit eine ethische ‚Grundlage‘ oder einen Imperativ gibt, dann liegt dieser genau in ihrem ‚Nichts‘ – dem Fehlen jeglicher ultimativer Grundlagen. Stattdessen hinterfragen Ansätze wie der meine, wie sich solche normativen Grundlagen etablieren und als selbstverständlich angesehen werden. Das Fehlen einer endgültigen Grundlage oder eines Fundaments ist genau der Punkt, an dem die politische Möglichkeit im radikalen Sinne der Politik liegt. 

Politische Polarisierung wird oft als eine Bedrohung für liberale Demokratien beschrieben. Ihr Forschungsansatz betont jedoch den Antagonismus als ein konstitutives Element des Politischen. Gibt es Ihrer Meinung nach ‚produktive‘ Formen des Antagonismus?

Ich sehe die Polarisierung nicht als Bedrohung für die Demokratie an – tatsächlich ist ihre relative Abwesenheit oft eine Funktion der technokratischen Anti-Politik. Eine produktive Mobilisierung des Antagonismus könnte darin bestehen, die Wut der Menschen über ihre soziale Situation zu lenken und die Grenze gegen diejenigen neu zu ziehen, die ein System tiefgreifender Ungleichheit aufrechterhalten und davon profitieren. Dies könnte die Demokratie auf radikalere Weise wiederbeleben. 

Viele politische Prozesse finden in digitalen Räumen statt. Könnte Ihre Methodik, wie z.B. Archivrecherche und diskursanalytische Ansätze, auf digitale Architektur und virtuelle Öffentlichkeiten übertragen werden?

Mit Sicherheit. Der Ansatz, in dem ich mich bewege, die politische oder postfundamentale Diskurstheorie (PDT), hat sich, soweit es um den politischen Diskurs geht, für die politischen Diskussionen interessiert, die in verschiedenen Online-Räumen stattfinden. Tatsächlich hat es in den letzten zehn Jahren eine Reihe von Entwicklungen gegeben, um die eher abstrakten Kategorien in empirische Forschung umzusetzen. All dies ist gut geeignet, um die politische Dynamik des Online-Raums zu erfassen. Dennoch befinden wir uns mit dem Aufstieg der künstlichen Intelligenz und ihrer verbreiteten Nutzung in einem sich wandelnden Terrain. Wir werden unsere Methoden und Werkzeuge entsprechend anpassen müssen.

Sie haben auch über Nordirland geforscht. Welche Lehren lassen sich aus den dortigen Konfliktlösungsmechanismen für andere geteilte Gesellschaften ziehen?

Ich denke, es ist schwierig, aus einem bestimmten Kontext allgemeingültige Lehren zu ziehen, da es entscheidend ist, die Besonderheiten eines jeden Konflikts wirklich zu verstehen. Eine Sache, die ich sagen könnte, ist, dass diese Friedensprozesse im Fall von Nordirland und, nehmen wir das Dayton-Abkommen im ehemaligen Jugoslawienkrieg, den Antagonismus nicht beendet haben – sie haben ihn lediglich gebändigt. Es bedarf eines enormen politischen und gesellschaftlichen Engagements, um den Frieden aufrechtzuerhalten. Die zugrunde liegende strukturelle Gewalt muss angegangen werden, wie etwa Formen der Ausgrenzung und Armut.

Vielen Dank für das Gespräch!

Gary Hussey ist Sozialtheoretiker, der derzeit an post-fundamentalistischen Analysen der räumlichen Aspekte von Gewalt arbeitet. Er promovierte an der School of Political Science and Sociology der National University of Ireland in Galway und forscht zu zeitgenössischen sozialen, politischen und räumlichen Theorien. In seinen Veröffentlichungen konzentriert er sich auf die räumlichen Aspekte der Gewalt in Nordirland im 19. und 20. Jahrhundert. Darüber hinaus forscht der zur Geschichte des Populismus der zu verschiedenen historischen Zeitpunkten Demokratien bedrohte, während er sich umgekehrt in seinen egalitäreren Ausprägungen als demokratisierende Kraft erwiesen hat.

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  • Dr. Christine Kramer