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Lehrveranstaltungen

Produktion / Produktivität in Kultur-, Kunst- und Medientheorie (Seminar)

Dozent/in: Erich Hörl, Susanne Leeb

Termin:
wöchentlich | Dienstag | 12:15 - 13:45 | 17.10.2016 - 03.02.2017 | C 14.103 Seminarraum

Inhalt: Das Seminar befragt den Begriff der Produktion als einen der Zentralbegriffe sowohl historischer als auch aktueller kunst-, kultur- und medienwissenschaftlicher Theoriebildung. Dabei geht es zunächst prinzipiell um die Untersuchung der Reichweite des Begriffs, d.h. um die Frage, welche Formen des Hervorbringens damit bislang gefasst wurden bzw. überhaupt zu erfassen sind. Karl Marx hat Produktion als Kern der anthropologischen Differenz sowie als ontologischen Schlüsselmoment eingeführt und seither wurde der Begriff zur Chiffre dafür, daß Hervorbringung grundsätzlich als gesellschaftliches Phänomen zu begreifen ist und dabei seinerseits die gesellschaftlichen Verhältnisse selbst determiniert. Als dergestalt zentraler Begriff marxistischer Theorie reicht er über ökonomische Verhältnisse im engeren Sinn weit hinaus und tief in andere gesellschaftliche Felder hinein. Kunst- und Kulturtheorie sowie Theorien der Subjektivität haben dies immer wieder reflektiert. Beispielsweise hat Walter Benjamin den Begriff des Produzenten als Konzept von Autorschaft prominent gemacht, oder die Russischen Avantgarden gründeten eine eigene Strömung des Produktivismus. Félix Guattari und Maurizio Lazzerato wiederum haben die „Produktion von Subjektivität“ als entscheidenden Faktor insbesondere der Analyse der gegenwärtigen Kondition hervorgehoben. Bis heute wurde und wird der Begriff insbesondere von marxistischen TheoretikerInnen als analytisches Schlüsselkonzept verteidigt, wenngleich an seinen Rändern fortwährend Fragwürdigkeiten auftauchen, die es im Seminar zu diskutieren gilt. Eine der strittigen Fragen betrifft beispielsweise die Totalität des Begriffs als solche: Ist es tatsächlich möglich, gesellschaftliche Verhältnisse ausschließlich von den Produktionsverhältnissen her zu denken? Und spielt dieser Begriff nicht womöglich einem kapitalistischen Produktivitätsideal in die Hände und trägt sich hier vielleicht sogar ein Urphantasma des Industrialismus, eben das der Produktion, noch tief in den konzeptuellen Apparat seiner Kritik selbst ein? Was ist mit Anti-Produktion, Passivität und Faulheit? Ist Produktion in einer finanzkapitalistischen Situation überhaupt noch relevant, in der sie angeblich verschwindet – oder anders gefragt, inwieweit ist der Begriff an die spezifische Ökonomie des Industriekapitalismus gebunden, in der er entstand? Wie steht es unter digitalen Bedingungen um die Zukunft der Produktion? Angesichts der Priorisierung von Produktion vor der Reproduktion wurde der Begriff auch immer wieder von feministischen Theoretikerinnen attackiert und seitens der Postcolonial Studies wurde das mit der Produktion priorisierte Gesellschaftsverständnis problematisiert. Das Seminar erarbeitet zunächst die Bedeutung des Produktionsbergriffs in Ökonomie-, Kunst- und Kulturtheorie von Karl Marx, über Joseph Schumpeter, Louis Althusser bis Gilles Deleuze/Félix Guattari und Gérard Granel, um im zweiten Semesterteil den Begriff aus diversen Richtungen kritisch zu befragen, z.B. aus feministischer Sicht mit Silvia Frederici oder anthropologischer mit Eduardo Viveiros de Castro. Literatur (Auswahl): Althusser, Louis: Über die Reproduktion. Hamburg: VSA, 2012. Althusser, Louis/Balibar, Étienne/Establet, Roger/Macherey, Pierre/Rancière, Jacques: Das Kapital lesen. Cox, Robert: Production, Power, and World Order. Social Forces in the Making of History. New York: Columbia University Press, 1987. Deleuze, Gilles / Félix Guattari: Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie 1. Frankfurt/Main 1974. Silvia Frederici, Aufstand aus der Küche – Reproduktionsarbeit im globalen Kapitalismus und die unvollendete feministische Revolution. Reihe: Kitchen Politics, Band 1, Edition Assambleage, Münster 2012 Gorsen, Peter, Proletkult, 2 Bände. Bd. 1: System einer proletarischen Kultur. Bd. 2: Zur Praxis und Theorie einer proletarischen Kulturrevolution in Sowjetrußland 1917-1925, Stuttgart-Bad Cannstatt : Frommann-Holzboog, 1975 Maria Gough, The Artist as Producer: Russian Constructivism in Revolution, Berkely: University of California Press 2005 Guattari, Félix: „Über die Produktion der Subjektivität“, in: ders.: Chaosmose. Wien: Turia+Kant, 2014, S. 7-46. Lazzarato, Maurizio: Signs and Machines. Capitalism and the Production of Subjectivity. Los Angeles: Semiotext(e), 2014. Marx, Karl: „Ökonomisch-philosphische Manuskripte“ (1844), in: MEW, Ergänzungsband Erster Teil, Berlin 1968. Viveiros de Castro, Eduardo: Cannibal Metaphysics. For a Post-Structuralist Anthropology. Minneapolis: Univocal Publishing 2014.

Substanz und Relation - zwei Grundbegriffe der Metaphysik und ihre Diskussion in der aktuellen Kulturtheorie (Seminar)

Dozent/in: Kerstin Andermann

Termin:
wöchentlich | Dienstag | 12:15 - 13:45 | 17.10.2016 - 03.02.2017 | C 5.019 Seminarraum

Inhalt: Zum Ende seiner Auseinandersetzung mit Kants Beantwortung der Frage „Was ist Aufklärung?“ von 1984 macht Foucault eine hellsichtige Bemerkung, in der er er zwei Formen kritischer Philosophie unterscheidet. Die eine gibt sich als eine „analytische Philosophie der Wahrheit im Allgemeinen“ und die andere steht für ein kritisches Denken, das „die Form einer Ontologie unserer selbst, einer Ontologie der Aktualität“ annimmt. Wie weitreichend diese programmatische Unterscheidung ist, sehen wir an der gegenwärtigen Konjunktur von Debatten, die in ihrem kritischen Kern letztlich an der Revision ontologischer Strukturmodelle arbeiten. Sie stellen die traditionelle ontologische Privilegierung von Substanz auf eine Vorrangigkeit der Relationen um und durchdenken auf diese Weise ganz unterschiedliche Felder kulturtheoretischer Analyse von einer relationalen Ontologie her. Dabei wird nicht der deduktive Weg eines vorausgesetzten ontologischen Modells gewählt, anhand dessen die Strukturen und Zusammenhänge der Entitäten vom Ganzen bis ins Einzelne durchbestimmt werden. Vielmehr weist das empirische Feld heute selbst eine so massive Destabilisierung der Gliederungen von Subjekt und Objekt, Natur und Kultur, Wissen und Welt, Individualität und Sozialität, Mensch und Technik auf, dass relationale Beschreibungen sich zwangsläufig aus der empirischen Erfahrung ergeben. Um zu verstehen, ob und inwiefern wir es tatsächlich mit einer Transformation ontologischen Denkens zu tun haben, werden wir uns zuerst mit einigen Texten zur traditionellen Ontologie und zum Begriff der Substanz als Grundbegriff der Metaphysik befassen. Im Anschluss wird es um einige programmatische Texte zur Figur der Relationalität und zur realistischen Ontologie und Metaphysik, also zum Neuen Realismus gehen, und von hier aus werden wir dann Ausschnitte aktueller Debatten untersuchen, die sich, trotz ganz unterschiedlicher thematischer Ausrichtungen, im Kern um die Figur der Relationalität drehen und deren konsequente, (aber zumeist implizit bleibende) Umstellung auf eine relationale Ontologie ihren gemeinsamen Nenner ausmacht. Wir beschränken uns dabei auf drei Felder, in denen die Privilegierung der Relationalität als ursprünglicher Einheit besonders deutlich wird: Erstens die Akteur-Netzwerk Theorie (Latour), zweitens die feministische Wissenschaftsforschung (Barad) und drittens die aktuelle Kulturanthropologie (Descola/Hornborg/de Castro).