Vorlesungsverzeichnis

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Lehrveranstaltungen

»Universität, näher zu bestimmen« (Seminar)

Dozent/in: Manuela Klaut, Max Walther

Termin:
wöchentlich | Dienstag | 16:15 - 17:45 | 06.04.2021 - 09.07.2021 | C 40.254 Seminarraum | Es gibt zusätzlich eine Blockveranstaltung, für die wir in der 1. Sitzung gemeinsam einen Termin festlegen.

Inhalt: Wie ließe sich in den letzten Monaten rückblickend bestimmen, was wir als »Universität« verstehen? Seitdem die Uni-Gebäude im März 2020 Corona-bedingt verschlossen und unbespielt sind, steht der Begriff »Hochschulzugangsberechtigung« auf dem Prüfstand. Wofür erwirbt man den Zugang mit einer Immatrikulationsbestätigung? Zu grenzenloser Bildung, zum Recht auf Bewertung der eigenen Leistung und zu gleichberechtigter Behandlung mit den anderen BildungsnehmerInnen? Die derzeitige virtuelle Universitäts-Umgebung ähnelt Kafkas Schloss: Wir sind berechtigt und beauftragt, aber niemand kann die genaue Wegbeschreibung liefern. Das Schloss bleibt in Worten beschrieben und organisatorisch geträumt, jedoch unerreicht. Blickt man auf die Texte und Bücher zur Theorie und Geschichte der Universitäten zurück, fällt diese Unbestimmtheit der Universität im Realen immer wieder auf. Die Annahme und möglicherweise Ideologie der bestenfalls nahtlosen Übertragung aller Tätigkeiten in digitale Anwendungen scheint Phantasmen aus der Gründerzeit der »neuen Medien« wieder aufleben zu lassen: Erhofft und befürchtet wurde damals die vollkommene Übertragung des realen in den virtuellen Raum, in dem alles stattfinden kann, was unsere (menschliche, westliche, kapitalistische) Wirklichkeit ausmacht, wobei die virtuelle Realität freier, demokratischer, reicher und schöner ist als die »analoge« Welt. Vor ein paar Monaten wären diese Visionen wohl kein müdes Lächeln wert, jetzt können wir (d.h. die Insta, Facebook, WhatsApp etc. NutzerInnen) uns geradezu ins Netz retten. Wir können ebenso wie vor einem Monat online einkaufen, virtuell Museen besuchen und Bücher lesen, Filme oder Opern sehen, Meetings und Konferenzen abhalten, Rechnungen bezahlen und uns mit unseren 857 Freunden auf sozialen Plattformen unterhalten – aber was passiert, wenn der »analoge Rest« wegbricht? Das Forschungsprojekt ist gleichzeitig eine Bestandsaufnahme der verschiedenen Auffassungen, die dieses Jahr Online-Lehre nicht nur begleiten, sondern die Präsenz-Lehrformen an Universitäten generell in Frage stellen. Seit einem Jahr sind Lehrformen zunächst ein digitaler Versuch, der die Angleichung von Inhalten und Lehrzielen verlangte - so befinden wir uns nach wie vor in einer dilettantischen Ausgangssituation, die jedoch vorgibt, eine professionelle zu sein. Das Experiment, das als ideelle Grundform des Lernens und Methodisierens vor allem für das Denken an Universitäten steht, um die disziplinären Verfahren abzusichern und zu hinterfragen, verlässt die Bauwerke und Werkstätten und gerät zur temporären Aufführung in BigBlueButton, Zoom oder ConfTool. Die Formatdiskussion darüber, welches online-tool die beste Lösung ist, kassiert die inhaltliche Auseinandersetzung darüber, was Vermittlung kritisch gelesen überhaupt leisten kann. Der offene Brief, der am 1. Juni 2020 von der Universität Frankfurt aus gesandt wurde (www.praesenzlehre.com) legt fest »(…) Dieses Leben in einer universitären Gemeinschaft kann in virtuellen Formaten nicht nachgestellt werden.« Im Rückblick auf das online-Jahr 2020/21 ist jetzt der perfekte Zeitpunkt um Fragen zu stellen. Der 2010-er Band der Reihe »Unbedingte Universitäten« titelt mit »Was passiert?« - Diese Frage werden wir aufnehmen: Als gegenwärtige Beschreibung (vgl. Jan Diestelmeyer: »Aus dem digitalen Selbstwiderspruch«), als historischen Forschungsstand ausgehend von Kant und Humboldt, als Prinzip (vgl. Plinio Prado »Das Prinzip Universität«) und vor allem als Kritik (vgl. Judith Butler »Kritik Dissens Disziplinarität«). Als Kooperationsveranstaltung findet an der Bauhaus-Universität Weimar, betreut von Max Walther, ein Seminar mit gleichem Zuschnitt statt. Für ein Wochenende, als Blockveranstaltung im Juni, kommen beide Seminargruppen zusammen, um gemeinsam über die verfassten Texte sowie die erarbeiteten Themen zu diskutieren. Ziel dieser Zusammenführung ist es, die Textentwürfe für eine geplante Publikation (online mit ISSN) zu finalisieren.

Literarische Begründungskonstellationen moderner Subjektivität: Goethe, Melville, Sarmiento (Seminar)

Dozent/in: Christian Voller

Termin:
wöchentlich | Montag | 14:15 - 15:45 | 06.04.2021 - 23.05.2021 | C 12.111 Seminarraum | zusätzlich Blockveranstaltung am Ende der Vorlesungszeit

Inhalt: Der konservative Kulturhistoriker Oswald Spengler (1880-1936) bezeichnete die sich von Europa aus entfaltende Moderne als die "faustische" Epoche der Weltgeschichte. Gekennzeichnet sei diese Epoche beispielloser wirtschaftlicher, wissenschaftlicher, kriegerischer und politischer Expansion durch ein spezifisch "faustisches" Seelenleben und Weltbild, sowie durch einen spezifisch "faustischen" Drang zur Grenzüberschreitung und Ausdehnung des eigenen Verfügungsbereiches in die Welt. In diesem Sinn lässt sich das "faustische" Subjekt Spenglers auch als das kolonisierende Subjekt fassen. Dieser Idee soll, ausgehend von Goethes "Faust"(1808/1832), im Medium der Literatur nachgespürt werden. Insbesondere sollen zwei Romane diskutiert werden, die als Gründungsdokumente ihrer jeweiligen Nationalliteraturen gelten dürfen: Herman Melvilles "Moby Dick" (1851) und Domingo Faustino Sarmientos "Barbarei und Zivilisation" (1845). Beide Romane sind noch europäisch und doch schon amerikanisch, in beiden Romanen wird das Faust-Motiv auf bemerkenswerte Weise fortgeschrieben und erscheint zugleich im Lichte einer Welt, die nicht mehr die alte ist, eine neue aber noch nicht werden konnte. Es sind Bücher über die (immanenten) Grenzen der Zivilisation, in denen das kolonisierende Subjekt seine Motive reflektiert und so den Blick auf die "faustischen" Abgründe und irrationalen Latenzen des zivilisatorischen Projekts freigibt. Es sind Bücher, die das souveräne Subjekt beschwören ohne von Herrschsucht und Wahn zu schweigen, Bücher über das Triebschicksal der europäischen Zivilisation, die auf 'Europa' zurückblicken, ohne es hinter sich lassen zu können. Melancholische und ausgesprochen zeitgemäße Bücher also, die es nicht zuletzt im Lichte aktueller Debatten um Post- und Dekolonialität zu diskutieren gilt.