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Lehrveranstaltungen

Politiken des Ästhetischen zwischen Unterwerfung und Ermächtigung (Seminar)

Dozent/in: Christoph Brunner

Termin:
wöchentlich | Dienstag | 16:15 - 17:45 | 05.04.2022 - 05.07.2022 | C 5.325 Seminarraum

Inhalt: Wahrnehmung ist keine persönliche „Ansichtssache“, sondern ein komplexer Prozess der Sinnerzeugung durch sinnliche Erfahrung. Das Seminar befasst sich mit Ästhetik bzw. dem Verhältnis von Wahrnehmung und Form (Ausdruck) als politische Dimension kultureller Praxis. Mit Ästhetik werden in diesem Zusammenhang weniger die Künste oder künstlerische Praktiken, sondern Arten und Weisen, wie und unter welchen Bedingungen sich Wahrnehmung konstituiert, beschrieben. Ästhetik ist dabei alles andere als nur eine Lehre des "Schönen und Guten" oder des Geschmacks, sondern bezieht sich auf die Relevanz der Wahrnehmung und ihrer Anordnung als zentrales Terrain gegenwärtiger Politiken des Sinnlichen. Diese Wahrnehmungspolitiken sind, anders als politische Kunst, in alltäglichen Wahrnehmungszusammenhägen omnipräsent, sei es im öffentlichen Raum, in den Medien, der Sprache oder auf digitalen Plattformen. Ihre Herstellung bzw. Aufrechterhaltung oder Unterwanderung und Zersetzung ist immer auch ein Prozess von Unterwerfung und Ermächtigung. Politische Ästhetik befasst sich dementsprechend mit Ordnungen des Wahrnehmens, sprich, was und wie unter bestimmten Bedingungen wahrgenommen werden kann und was nicht; für wen Wahrnehmung ermöglicht und wem sie verweigert wird; wie Wahrnehmung und Gefühle zu Handlungen verleiten. Da diese Ordnungen keine Allgemeingültigkeit haben und zugleich Ein- und Ausschlüsse vornehmen, werden sie zu zentralen Elementen von Politiken des Sinnlichen. Konkrete Beispiele wären u.a. die Medienberichterstattung während des G20-Gipfels in Hamburg, das insbesondere ein Narrativ der Zerstörung in den Vordergrund rückte; oder aber die Aneignungsstrategien rechter Bewegungen wie Pepe the Frog (eigentlich eine friedliche Comic-Figur) durch die Alt-Right. Zum einen vermittelt das Seminar eine philosophisch-historische Grundlage der westlichen ästhetischen Philosophie und eröffnet im Anschluss eine breite Perspektive auf Politiken des Sinnlichen in konkreten soziokulturellen und medialen Zusammenhängen. Hierzu gehören auch gegenwärtige und historische kritische Befragungen ästhetischer Grundbegriffe in ihrem eurozentrischen Selbstverständnis, wie sie in den Black Aesthetics, Feministischen Ästhetiken oder dekolonialer Aisthesis zu finden sind. Zum anderen fokussiert das Seminar in Praxisgruppen auf bestimmte Politiken des Ästhetischen, indem diese die Herstellung von Sinn durch die Ordnung des Sinnlichen untersuchen. Hierzu gehören klassischere Beispiele medialer Darstellung, z.B. von Krieg, Protesten oder Katastrophen (Medienanalyse der Darstellung von Inhalten); digitale Medienplattformen und ihre Funktionsweisen (Analyse von Operationalitäten digitaler Medien); künstlerische experimentelle Praktiken (Analysen künstlerischer Arbeiten und Diskurse); oder politische Praktiken und ihre Verwendung spezifischer Darstellungsweisen für konkrete Ziele (Analyse der Verwendung von ästhetischen Elementen für politische Ziele). Das Seminar gliedert sich in zwei Teile: der erste Teil dient zur Erlangung eines Grundverständnisses ästhetischer Begriffe und der Unterscheidung von Ästhetik als Kunst und Ästhetik als Prozess der Wahrnehmung (Aisthesis). Im zweiten Teil werden Fokusgruppen gebildet, die sich jeweils auf ein oben genanntes Analyseverfahren beziehen und mit einem konkreten Beispiel arbeiten. Angeleitet durch die Lehrenden werden hier jeweils angemessene Formate der kritischen Auseinandersetzung erarbeitet, die sich in einem experimentellen Kontext erproben lassen (Teil 1 der kombinierten Prüfungsleistung). Das Seminar greift die Idee eines kollaborativen Forschungslabs auf, in dem eigene Ideen, Recherchen und experimentelle Formate der Präsentation erprobt werden können, um so die politische Ästhetik unserer Arbeitsweisen kritisch zu befragen und zu erkunden. Daher findet der zweite Teil im ArchipelagoLab für transversale Praktiken statt und erlaubt dadurch eine Arbeitsstruktur, die gemeinsamen Denk- und Forschungsprozessen eher entspricht als dem klassischen Unterrichtsformat. Am 29.6.2022 werden Sofia Bempeza und Fabian Schäfer zu Gast sein mit einem Workshop zu Ästhetiken der (neuen) Rechten.