Fulbright-Gastprofessor Dr. Jonathon Reinhardt: Spielend Sprachen lernen
14.06.2023 Grammatik dominiert oft den Sprachunterricht. Doch Sprachen ließen sich besser lernen, würde mehr auf die Lebenswirklichkeit der Lernenden eingegangen, sagt der amerikanische Sprachwissenschaftler. Videospiele, soziale Medien oder Popmusik könnten Lernende motivieren.
„Überraschenderweise gibt es Millionen von Menschen auf der ganzen Welt, die Englisch lernen, während sie allein Videospiele spielen“, berichtet Fulbright-Gastprofessor Dr. Jonathon Reinhardt. Der Linguist befasst sich mit technologiegestütztem Zweit- und Fremdsprachenunterricht, wobei er besonderes Augenmerk auf digitale Tools und Spiele legt. „In Spielen müssen Entscheidungen getroffen werden. Die Spieler nehmen eine aktive Rolle ein. Im klassischen Sprachunterricht wird das Lernen oft passiv erlebt".
Der Inhalt ist weniger wichtig als die Sprache selbst: Japanische Spiele könnten genauso gut zum Englischlernen geeignet sein wie amerikanische Spiele. „Beim affinitätsbasierten Lernen ist es wichtig, herauszufinden, wofür sich die Schüler interessieren“, erklärt Jonathon Reinhardt. Comics, Songtexte und sogar Escape Rooms könnten in den traditionellen Unterricht integriert werden. Vor allem der Wortschatz wird beim Spielen erweitert. Das gemeinsame Spielen schult zusätzlich die Kommunikationsfähigkeit. Allerdings erschweren Spiele oder nicht-traditionelle Texte im Unterricht die Beurteilung: „In der Grammatik gibt es richtig und falsch. Diese Aufgaben sind leichter zu korrigieren als zum Beispiel ein Social-Media-Post oder der sprachliche Austausch bei Spielen.“
In diesem Semester unterrichtet der Amerikaner, mit dem Schwerpunkt Angewandte Linguistik, am Institut für Anglistik. Mit dem Seminar „Understanding and Teaching Texts: From the Traditional to the Digital“ will er angehende Lehrer*innen motivieren, nah an der Lebenswelt ihrer Schüler*innen zu unterrichten. In seinem Seminar, das er gemeinsam mit Prof. Dr. Torben Schmidt und der Doktorandin Jonna Kaßner durchführt, stehen nicht-traditionelle Texte wie Fan Fiction oder Interactive Fiction im Mittelpunkt. Obwohl sie einige Merkmale mit traditionellen Texten gemeinsam haben, sind diese neuen Genres tendenziell informeller, multimodaler, dynamischer und sozialer; das macht sie sehr motivierend und zugänglich, ähnlich wie Spiele, aber auch intrinsisch lohnender in der Nutzung. Sprachlern-Apps gehen noch einen Schritt weiter: „Die Programme loben die Nutzer und geben ihnen nie eine schlechte Note. Das hat auch eine motivierende Wirkung“, sagt Jonathon Reinhardt.
Er hat mehrere Studien zum technologiegestützten Lehren und Lernen durchgeführt. Der Forscher hat zu Themen wie Korpuslinguistik, sozialen Netzwerken, sozialen Medien und Sprachenlernen sowie zu digitaler Alphabetisierung mit Spielen publiziert. Die Arbeit von Torben Schmidt, Professor für Englischdidaktik, und seinen ehemaligen und aktuellen Studierenden war ein wichtiger Grund für Reinhardt, an die Leuphana Universität Lüneburg zu kommen. Die beiden Forscher hatten bereits in den vergangenen Jahren zusammengearbeitet: „Das Thema ,Spiele in der Sprachdidaktik' ist an traditionellen Universitäten weniger verbreitet. Ich habe mich für die Leuphana entschieden, weil das Institut für Anglistik mir viele Freiheiten lässt und der Raum für die Förderung von Innovationen in der Lehre groß ist“, sagt Jonathon Reinhardt.
Reinhardt und Schmidt werden gemeinsam einen Sammelband zum spielbasierten Sprachenlernen herausgeben. Mit dem Buch wollen sie zeigen, wie sich Forscher*innen und Lehrer*innen aus aller Welt dem Thema aus unterschiedlichen, aber sich ergänzenden Blickwinkeln nähern.
Prof. Dr. Jonathon Reinhardt erwarb 1989 seinen Bachelor-Abschluss in Deutsch an der University of Illinois in Urbana-Champaign. Im Jahr 1992 schloss er sein Studium an der University of Illinois in Chicago mit einem Master in Angewandter Linguistik/TESOL ab. Er unterrichtete Englisch als Fremdsprache in Japan und Englisch als Zweitsprache in den Vereinigten Staaten. Im Jahr 2007 promovierte er in Angewandter Linguistik an der Pennsylvania State University. Seit 2008 ist er ordentlicher Professor für Angewandte Linguistik und Zweitsprachenerwerb und -unterricht an der Universität von Arizona. Er hat weltweit Vorträge gehalten und über 40 Artikel, Kapitel und Bücher über technologiegestütztes Sprachenlernen und -lehren, insbesondere mit sozialen Medien und digitalen Spielen, veröffentlicht. Derzeit ist er Präsident von CALICO (Computer Assisted Language Instructional Consortium), der führenden Fach- und Forschungsorganisation auf dem Gebiet des digital angereicherten ergänzenden Sprachenlernens in Nordamerika.