Neu an der Leuphana: Prof. Dr. Lukas Hakelberg – Postkoloniale Steueroasen

18.06.2024 Der Professor für Politikwissenschaften, insbesondere Politische Ökonomie untersucht, wie rassistische Vorurteile die Entstehung von Steueroasen beeinflussen. Mit einem Starting Grant über 1,49 Millionen Euro fördert der Europäische Forschungsrat „The Whiteness of Wealth Management: Colonial Economic Structure, Racism, and the Emergence of Tax Havens in the Global South“.

©Leuphana/ Teresa Halbreiter
"Für vermögende Kolonialeliten sah diese Selbstbestimmung nach Instabilität aus, selbst wenn die postkolonialen Regierungen gar nichts an den Eigentumsrechten änderten", sagt Prof. Dr. Lukas Hakelberg.
Herr Professor Hakelberg, wie sind Steueroasen im globalen Süden entstanden?

In den 1960er Jahren sind viele Länder in Afrika unabhängig geworden. Die Eliten in den sich auflösenden europäischen Kolonialreichen fürchteten um ihr Geld und ihre Vermögenswerte auf dem afrikanischen Kontinent. Es kam zu einer Art Torschlusspanik: Die kolonialen Eliten wollten ihren Besitz zu Geld machen und das Geld so schnell wie möglich außer Landes schaffen.

 

Wohin flossen die Gelder?

Das Vermögen der französischen Kolonialelite floss über Tanger und Monaco in die Schweiz. Die britischen Handels- und Überseebanken empfahlen der britischen Kolonialelite hingegen Überbleibsel des britischen Empires in der Karibik. Einige der Inseln dort erhoben keine Einkommensteuer. Zudem wurden sie weiterhin von weißen Oligarchen regiert. Diese Kombination sah für die Vermögenden nach der stabilen kolonialen Ordnung aus, die sie gewohnt waren. 

Warum entwickelte sich nicht jede britische Kolonie in der Karibik zu einer Steueroase?

Die meisten tatsächlich nicht. Vergleichen wir etwa die Cayman Islands und St. Kitts & Nevis: Auf beiden Inselgruppen gab es Anfang der 1960er Jahre genau zwei Bankfilialen. 1970 waren es auf den Cayman Islands aber schon sieben, auf St. Kitts & Nevis immer noch zwei. Die Cayman Islands wurden während dieses Jahrzehnts konstant von einer weißen Oligarchie aus Kolonialbeamten und Händlern regiert, die britische Expats damit beauftragte, Steuergesetze und Bankenregulierung zu schreiben. Einen demokratischen Gesetzgebungsprozess, der die nicht-weiße Bevölkerung einbezogen hätte, gab es nicht. Auf St. Kitts & Nevis dagegen erkämpfte sich die Schwarze Mehrheit in den 60er Jahren politische Rechte. Ihre Repräsentanten übernahmen die Macht in einem demokratischen System. Für vermögende Kolonialeliten sah diese Selbstbestimmung nach Instabilität aus, selbst wenn die postkolonialen Regierungen gar nichts an den Eigentumsrechten änderten.  

Sie stellen eine neue Theorie über die Entstehung von Steueroasen im globalen Süden auf. Wie überprüfen Sie die Zusammenhänge?

Auf der Makroebene sehen wir uns die Wirtschaftsstruktur, Rassifizierungsprozesse, politischen Systeme und Steuergesetze in den Gebieten an. Wir bauen eine Datenbank über alle tropischen Inselstaaten der Welt auf, um zu sehen, ob sich die ersten Ergebnisse für die britischen Kolonien in der Karibik generalisieren lassen. Hierfür sammeln wir Daten in den Kolonialarchiven europäischer Länder, zum Beispiel in Kew bei London, Aix-en-Provence, Lissabon oder Den Haag. Unsere Zeitreihen beginnen 1842, da das Vereinigte Königreich in diesem Jahr die weltweit erste permanente Einkommensteuer eingeführt hat und wir annehmen, dass andere Länder ab diesem Zeitpunkt nachziehen konnten.

Sie testen auch, ob rassistische Vorurteile Anlageentscheidungen beeinflussen. Wie messen Sie das?

Mein Team und ich planen ein Umfrageexperiment: Investor*innen und Personen aus dem Finanzsektor wählen aus hypothetischen Länderpaaren mit einer Vielzahl an Attributen das Land aus, in dem sie am ehesten Vermögen verwalten würden. Attribute können etwa die Höhe der Einkommenssteuer, Gesetzgebung zu Banken und Stiftungen, aber auch, dass durch ein Foto vermittelte Aussehen der Regierungschef*innen sein. Wir wollen klären, ob unterschiedliche Identitäten einen Effekt auf die Anlageentscheidung haben, rassistische Vorurteile also fortbestehen. Damit wir hier keine Stereotypen reproduzieren, werden alle Fotos im selben Setting aufgenommen und bilden Personen ab, die sich selbst eine bestimmte Identität zuschreiben, ohne dass wir Kategorien vorgeben. 

Profitiert die Bevölkerung der tropischen Steueroasen wenigstens von den ausländischen Geldanlagen?

Also diejenigen, die im Finanzsektor arbeiten, auf jeden Fall. Der Gesamtbevölkerung nützt es zumindest etwas. Vergleicht man Infrastruktur und Bildungssystem der karibischen Länder, stehen die Cayman Islands zum Beispiel gut da. Aber es gibt dennoch eine riesengroße Ungleichheit zwischen denjenigen, die etwas mit dem Finanzsektor zu tun haben und der übrigen Bevölkerung. Und dann besteht natürlich die Frage, wer kann im Finanzsektor überhaupt was werden und wer nicht? Nur Expats oder auch die einheimische Bevölkerung? Und wenn Zweiteres, welche Teile der einheimischen Bevölkerung?

Vielen Dank für das Gespräch!

Lukas Hakelberg absolvierte am Institut d'Études Politiques de Paris (Sciences Po) den Diplomstudiengang Affaires Européennes und schloss zusätzlich den Master Politikwissenschaft des Otto-Suhr-Instituts der Freien Universität Berlin ab. Er war als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungszentrum für Umweltpolitik der Freien Universität Berlin und als Trainee im Referat Mittlerer Osten des Europäischen Auswärtigen Dienstes in Brüssel tätig. Seine Promotion in Politik- und Sozialwissenschaften schloss er 2016 am Europäischen Hochschulinstitut (EHI) in Florenz ab. Von September 2016 bis Oktober 2019 war Lukas Hakelberg im Horizont 2020 Projekt „Combatting Fiscal Fraud and Empowering Regulators (COFFERS)“ an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg beschäftigt. Ende 2019 wurde Lukas Hakelberg wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsbereich für Internationale und Vergleichende Politische Ökonomie des Otto-Suhr-Instituts für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin. Ende 2023 ernannte ihn die Leuphana Universität Lüneburg zum Professor für Politikwissenschaften, insbesondere Politische Ökonomie (W2).

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