FFB-Diskussionspapier Nr. 82

 

Sind Selbständige zeit- und einkommensarm?

Eine Mikroanalyse der Dynamik interdependenter multidimensionaler Armut mit dem Sozio-ökonomischen Panel und den deutschen Zeitbudgeterhebungen


Joachim Merz und Tim Rathjen

Zusammenfassung

Nach herkömmlicher Meinung sind Selbständige – als Freiberufler und Unternehmer (Gewerbetreibende) – nicht nur einkommensreich sondern auch zeitreich, da sie aufgrund ihrer Unabhängigkeit und Zeitsouveränität auch verhältnismäßig viel und disponible Zeit zur Verfügung haben. Unsere Studie untersucht diese These und damit erstmals die Wohlfahrtssituation von Selbständigen indem nicht nur nach der Einkommensarmut gefragt wird, sondern auch Zeitarmut im Rahmen eines neuen interdependenten multidimensionalen Armutskonzepts Berücksichtigung findet. Datenbasis ist einerseits das Sozio-ökonomische Panel für die bevölkerungsrepräsentative Bewertung der Substitutionalität/trade-off zwischen genuiner, persönlicher Freizeit und Einkommen als auch die beiden Zeitbudgeterhebungen 1992/92 und 2001/2 des Statistischen Bundesamtes.

Zentrales Ergebnis: Selbständige sind hinsichtlich alleiniger Einkommensarmut,alleiniger Zeitarmut und interdependenter multidimensionaler Zeit- und Einkommensarmut in beiden Jahren weit stärker betroffen als alle anderen Gruppen der armen Erwerbstätigen, der „working poor“. Ein erheblicher Anteil von nicht-einkommensarmen aber zeitarmen Erwerbstätigen generell, und Selbständige im Besonderen, ist nicht in der Lage, ihr Zeitdefizit durch ihr Einkommen zu kompensieren. Würde man Selbständige bei der Armuts- und Wohlfahrtsdiskussion außen vor lassen, so würde eine bedeutende Gruppe der „working poor“ zu unrecht vernachlässigt.

JEL: D31, D13, J22
Schlagwörter: Selbständige, Freiberufler und Unternehmer, Interdependente multidimensionale Armut, Zeit- und Einkommensarmut, Substitution von Zeit und Einkommen, Schätzung einer CES-Wohlfahrtsfunktion, arme Erwerbstätige (“working poor”), Deutsches Sozio-oekonomisches Panel, Deutsche Zeitbudgeterhebungen 1991/92 und 2001/02

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Abstract

It is common sense that the self-employed – as professions and entrepreneurs – are rich by money and, because of their independence and time sovereignty, are rich by time, too. However, time stress and the variety of small businesses sometimes tell another story. This study tries to shed empirically based light on the issue and its dynamics by asking not only about income poverty but also about time poverty within the framework of a new interdependent multidimensional poverty approach. Database is the German Socio-Economic Panel (GSOEP) for the evaluation of the substitution/trade-off of genuine leisure time and income as well as the German Time Use Surveys (GTUS) 1991/92 and 2001/02 for the actual poverty analyses.
Main result: The self-employed are more often affected by single income poverty, single time poverty as well as interdependent multidimensional time and income poverty than all other poor employees (“working poor”) for both periods of observation. A remarkable percentage of not income poor but time poor employees in general, and the self-employed in particular, is not able to compensate their time deficit by income. Neglecting the self-employed in the poverty and well-being discussion would disregard an important group of the “working poor”.

JEL: D31, D13, J22
Keywords: Self-employed, liberal professions (Freie Berufe), entrepreneurs, interdependent multidimensional time and income poverty, time and income substitution, extended economic well-being, satisfaction/happiness, CES welfare function estimation, working poor, German Socio-Economic Panel, German Time Use Surveys 1991/92 and 2001/02

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