Promovierende
Die Doktorand*innen der interdisziplinären Forschungsinitiative befassen sich mit der sozio-historischen Erfahrung von Disruption, die globalisierte Gesellschaften in ihrer polykrisenhaften Verfasstheit insgesamt charakterisiert. Wenn diese auf unterschiedlichsten Ebenen und in je lokalen Formen und Intensitäten mehr und mehr mit Brüchen und drohenden Zusammenbrüchen konfrontiert sind, so sind auch deren Weisen des Agierens, Reagierens und Produzierens selbst zunehmend durch Logiken des Bruchs bestimmt. Die Stipendiaten-Gruppe der insgesamt sechs Doktorand*innen speist sich aus dem Fächerspektrum der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften.
Promovierende
Hiba Naeem
Doctoral project "Floods, Debris, and Mangroves: Ecological Warfare in South Asian Anglophone Literature"
This doctoral project explores the ambivalent experiences of indigenous communities against the backdrop of ever-emerging development projects. Through ethnography, I investigate how an indigenous Sindhi community experiences, makes sense of, and questions the everyday realities of changing local ecologies and microclimates resulting from the onslaught of neoliberal imaginations. How do these transformations redefine the dynamics of local and non-local, human and non-human relations through shifting temporalities and disruptions for the Sindhi community in Malir? How is the everyday shaped amid new, abandoned, or contested housing and construction projects placed under stay orders or conservation efforts due to environmental concerns?
Konstantin Mitrokhov
Promotionsprojekt "Machine Play: On deep learning and autonomy in computational thought"
Current deep learning (DL) systems and their concrete effects on life, society, and technology are posing challenges to the established critique in the philosophy of artificial intellience as well as recent perspectives in critical data, algorithm, and software studies. Furthermore, through the uptake of these systems in cultural production, political decision-making, and scientific and engineering practices, DL is reshaping the dominant paradigm of computing and the notion of computation itself. This doctoral project seeks an account of general purpose computing that gives rise to a distinct, socio-technically constructed logos. Drawing on empirical research in artificial intelligence and machine learning (AI/ML), it synthesises emerging positions in the philosophy of computation, media theory, and the sociology of technology.
Here, the core theoretical problem is computational worlding, that is, the ways in which computation figures the world and reconfigures itself in its own image. I approach the problematic through the notion of the ludic, encompassing the use of games, game engines, and game theory that is fundamental to the DL field. The ludic enables a bottom-up mode of inquiry that reaches beyond the instrumental and speculative views, allowing me to trace the emergence (and the failure to emerge) of general purpose computing in the age of DL. At the same time, this ludic epistemology yields a frame for thinking about computation on DL-native terms: as interactive, based on artificial neural networks, and increasingly reliant on synthetic data. My contribution to the critical discourse on AI/ML will include an elaboration of the emerging registers of this kind of computation and exploring the intersections of DL with theoretical positions on computation.
Benedikt Kuhn
Promotionsprojekt "Imputation. Technik und Sinnlichkeit bei Kant, Marx und Stiegler"
Das Dissertationsprojekt geht aus von der These, dass die Frage nach dem Konnex von Technik und Sinnlichkeit ein zentrales Problem einer kritischen Theorie der Gegenwart darstellt. Im Rahmen einer wechselseitig transformativen Rekonstruktion zentraler Aspekte der Philosophien von Immanuel Kant, Karl Marx und Bernard Stiegler soll der Frage nachgegangen werden, in welcher Weise zwei zentrale Dispositive – technische Medien und die Lebensform des Kapitalismus – die ästhetischen Grundformen zeitgenössischer Subjektivität präformieren. Mit besonderem Blick auf Konstitution und Transformation des Zeitbewusstseins, sowie imaginativen und praktischen Fähigkeiten in den ubiquitären Medienökologien der Gegenwart, besteht das Ziel des Projekts in der Erarbeitung kritisch-analytischer Grundbegriffe eines Verständnisses davon, wie autonome Formen des Selbst- und Fremdbezugs heute mediiert werden. Als Titel jener primordialen Beziehung von ästhetischer Rezeptivität und technischer Handlung, die im Kern der Untersuchungen des Promotionsprojekts steht, fungiert hier tentativ Werner Hamachers metaphorische Beschreibung des Verhältnisses von Technik zu innerer und äußerer Natur als „Imputation“. Für das Projekt zentral ist ein sich daraus ergebender Typ der Handlung, der fundamental von der Vorläufigkeit und Kontingenz empirischer Erfahrung geprägt ist und vor dem Horizont der Endlichkeit als absoluter Bedingung lebendiger Wesen stattfindet. Ausgehend von Kants Theorie des Verhältnisses von sinnlicher Erfahrung und begrifflicher Abstraktion, Marx’ Theorie der sozialen Abstraktion des Werts und Stieglers Exteriorisierung als Begriff einer technischen Dialektik innerer und äußerer Vollzüge, soll gezeigt werden, inwiefern die Imputation der Sinnlichkeit grundlegende Ressource einer Kritik zeitgenössischer Formen der Herrschaft und Befreiung sein kann.
Julian Jestadt
Promotionsprojekt "Eine Politische Ökonomie der Depolitisierung: Neoliberalismus, Post-Politik und Notwendigkeit"
In den letzten Dekaden wird westlichen Demokratien zunehmend eine Tendenz zur Depolitisierung attestiert. Diese post-politische Entwicklung wird der neoliberalen Wende zugeschrieben, die in den 1970er-Jahren begann und heute in zahlreichen Phänomenen der Anti-Politik kulminiert. Vor dem Hintergrund dieser Diagnose eröffnen radikale Demokratietheorien und ihr Konzept der politischen Differenz eine kritische Perspektive auf eine Politik zweiter Ordnung. Politik ist nicht nur ein Streit um bestimmte Politiken, sondern auch ein vorgelagerter Streit darüber, was überhaupt als Objekt politischer Auseinandersetzung gelten kann. Insbesondere im ökonomischen Kontext jedoch scheint die Politik zweiter Ordnung von einer Politik der Notwendigkeit stillgelegt worden zu sein, die damit einer Schlüsseleinsicht radikaler Demokratietheorien widerspricht: der Kontingenz jeder sozialen Ordnung. Auf der Folie demokratischer Kontingenz würde eine politische Ökonomie der Depolitisierung ein analytisches Vokabular zur Verfügung stellen, mit dem die Politik der Notwendigkeit im Feld der Politik zweiter Ordnung dekonstruiert werden kann. Indem sie die diskursiven und institutionellen Mechanismen der Depolitisierung freilegt sowie vermeintliche ökonomische Notwendigkeiten mit Alternativen konfrontiert, trägt eine politische Ökonomie der Depolitisierung zur Revitalisierung des demokratisch Imaginären bei und öffnet dadurch den Horizont politischer Möglichkeit und Veränderung in der neoliberalen Ära.
Maxi Wallenhorst
Promotionsprojekt "Freie Dissoziation. Figuren der Negativität in zeitgenössischer trans Poetik"
Dissoziation – ein Gefühl von Depersonalisierung, Derealisation, das Gefühl, nichts zu fühlen – ist ein wiederkehrendes Motiv in zeitgenössischer trans kultureller Produktion. Dieses Dissertationsprojekt untersucht es in drei Registern: als Symptom, als konzeptuelle Ressource und als formalen Cue. Während Mainstream-Psychiatrie und kritische Theorie Dissoziation oft als pathologische Bindungsstörung darstellen, wird sie in der aktuellen Transliteratur und -kunst anders mobilisiert: um dominante Vorstellungen von Geschlecht als entweder innere Wahrheit oder universelle Fluidität zu stören. Vielmehr kann Dissoziation Geschlecht – negativ – innerhalb von Infrastrukturen des Gefühls verorten, im uncanny valley zwischen persönlicher Dysphorie und politischer Entfremdung, das sich weder auf Identität noch auf materielle Bedingungen reduzieren lässt. Anhand der Analyse von Werken wie Jackie Ess' Darryl, den Bewegtbildarbeiten von P. Staff und Juliana Huxtables Ketamin-Poesie entwickle ich Dissoziation als ästhetische Form. In Verbindung mit Registern wie Camp, Deadpan, Ironie und Noise bietet diese „dissoziative Poetik“ Möglichkeiten, Trans-Form in ihren eigenen Begriffen zu erfassen. Ausgehend von der Theorie des Unbewussten des Psychoanalytikers Jean Laplanche und marxistisch-feministischen Darstellungen der sozialen Reproduktion theoretisiere ich Dissoziation als eine gewöhnliche Infrastruktur des Geschlechts: eine Möglichkeit, die Antagonismen von Reproduktion, Intimität und Überleben unter dem rassistischen Kapitalismus zu verstoffwechseln. In Anlehnung an psychoanalytische Technik frage ich schließlich: Was wäre freie Dissoziation?
Freya Häberlein
Promotionsprojekt "Technics and Tragedy: Axiologies of Excess and Disruption“
Dieses Projekt stellt die Frage nach einer Axiologie der Disruption, indem es das tragische Denken im Werk Bernard Stieglers erforscht und dabei auf seine Referenzen zu Nietzsche, Simondon und Heidegger zurückgreift. Wie Nietzsche in seinen frühen Betrachtungen zur vorsokratischen Philosophie zeigt, handelt die Tragödie von der Zyklizität von Leben und Tod, sowie vom ständigen Wandeln, Verfallen und Erneuern des Individuums. Im Anschluss an Nietzsche fand die Tragödie im 20. Jahrhundert auch Eingang in die Technikphilosophie. Während zum Beispiel Heidegger verdeutlicht, dass der Wert der technologischen Errungenschaft, sowie ihre Wiederspiegelung der Realität, letztlich vergänglich sind, argumentiert etwa Simondon, dass das technische Objekt nicht als Substanz verstanden werden sollte, die sich scharf vom Individuum und dem Kollektiv abgrenzt, sondern in eine dynamische Unbestimmtheit eingebettet ist. Das (technische) Individuum ist somit stets von Exzessen gekennzeichnet; solch ein Exzess wird hier als Gegenbegriff definiert, der Kontinuität bietet, wo Disruption, so Stiegler, die Abwesenheit eines Epochen-Imaginären markiert. Laut Stiegler ist im ‚Zeitalter der Disruption‘, jener Ära des ‚automatischen Nihilismus‘, Nietzsches tragische Philosophie notwendig, um die Bedingungen der Gegenwart umzuwerten. Eine Gegenwart, die der dynamischen Definition der ontologischen Ambiguität pharmakologischer technischer Objekte (insbesondere digitaler Objekte) bedarf, die zugleich auch eine axiologische Ambiguität ist. Disruption beschreibt für Stiegler einen Verlust von Wissen und Normativität durch die Automatisierung von Begierde, Erwartung und Wille. Indem er auf politischer Ebene die Tragödie einbringt, beruft sich Stiegler auf Sophokles’ Antigone als eine Ikone der ethisch-affektiven Autonomie für einen zeitgenössischen Aktivismus, welcher die Realität als operativ und über dessen Struktur hinausweisend begreift.
Abgeschlossene Promotionsprojekte:
Milan Stürmer
Promotionsprojekt "Schulden erben"
Schulden sind eine Technik der Übertragbarkeit und Übertragung verbindlicher und verbindender Beziehungen. Die Übertragung der Schulden von einem Moment auf den nächsten, von einer Lebensphase auf die nächste, oder von Generation zu Generation, produziert Kontinuität in zunehmend diskontinuierlichen und bruchhaften Biografien und Gesellschaften. Über prekäre und intermittierende Arbeits- und Einkommensverhältnisse, unsichere und unstete politische Bedingungen, ja über die ganze Logik des permanenten Bruchs hinweg, werden durch die Schulden (vermeintlich) verbindende Beziehungen übertragen.
Vor dem Hintergrund der Proliferation der Formen der Schulden seit dem de facto Ende des Bretton-Woods-Systems und dem Aufstieg neoliberaler Wirtschaftsordnungen sowie, und das ist entscheidend, über ihr Ende hinaus, verhandelt meine Arbeit die Möglichkeit einer explizit medienphilosophischen Kritik zeitgenössischer politischer Ökonomie. Nicht erst seit John Maynard Keynes, so hat Geoff Mann jüngst gezeigt, ist der Erhalt des modernen Zivilisationszusammenhangs in vollster Anerkennung seiner Bruch- und Krisenhaftigkeit die Raison d’Être der politischen Ökonomie als Staatswissenschaft. Stellt man die Frage der Schulden und ihrer Übertragung, in ihrer gleichsam kontinuitätsstiftenden und jede Kohärenz suspendierenden Funktion, als philosophische Frage, lässt sich ein genuin medienphilosophischer Zugriff auf die politische Ökonomie entwickeln. Dies ist das Kernargument, das meine Arbeit avancieren möchte.