Narzissmus im Postfordismus. Begriff und Gegenstand zwischen Individual- und Sozialpsychologie – Lutz Eichler

14. Nov

6:15 pm, lecture hall 5

As part of the "Lüneburger Arbeitsgespräche für Kritische Theorie", the social scientist and child therapist Lutz Eichler will give a lecture on narcissism in post-Fordism. Afterwards there will be time for extensive discussion on the topic.

Der globale Zusammenhang war einerseits noch nie so dicht und der Einzelne so intensiv vergesellschaftet wie heute. Er ist durch und durch Produkt einer Weltwirtschaft und Weltkultur. Andererseits ist jeder ökonomisch vereinzelt und die Kultur ist in zentralen Dimensionen individualistisch. Sie betont und belohnt Einzigartigkeit, Genius, Kreativität – solange sie marktgängig sind.

Während der Grad der Vergesellschaftung und damit der Abhängigkeit vom System steigt, steigt das glatte Gegenteil, ein individualistisches Selbstideal ebenso. Kollektivierung und Individualisierung bilden zwei in sich vermittelte Gegenpole, die unreflektiert eine negative dialektische Dynamik aufrechterhalten und befeuern. Allerdings sind die beiden Pole nicht gleichberechtigt. Die Übermacht des Systems ist gewaltig. Jeder Einzelne ist demgegenüber ohnmächtig. Der subjektive Blick auf die soziale Objektivität ist von sozialer Angst gekennzeichnet: Die Angst „nicht voranzukommen“ oder nur geduldet, mitgeschleift oder gar exkludiert zu werden.

In dieser Situation greifen viele auf einen Modus der Konfliktverarbeitung zurück, den man narzisstisch, verstanden als normalpathologischen Idealtyp, nennen kann. Es ist eine Art Schiefheilung, ein verunglückter Reparationsversuch mit Krankheitsgewinn. Dieser Typus verdrängt die Angst und verleugnet seine naturale und/oder weltgesellschaftliche Embeddedness bei unbewusst fortbestehenden Symbiosewünschen. In einer Kompromissbildung zwischen Individualität und Kollektivität wählt er eine identitätsstützende exkludierende Wir-Gruppe-Identität (Ethnie, Nation, Religion).

Dieser Narzissmus ist zur Vergesellschaftung wahlverwandt. Charakteristisch für ihn ist die Gleichzeitigkeit einer Identifikation mit imaginären Kollektiven und einer idealisierten Selbstvorstellung, hinter der verdrängte Angst, Ohnmacht und Wut lauern. Narzissmus kann man so fassen als Karikatur von Autonomie, Nationalismus als Karikatur von Solidarität.

Im Vortrag soll der Begriff des Narzissmus umrissen und die Verbindung zum Autoritarismus diskutiert werden.


Organised by: Heiko Stubenrauch, Christian Voller
Contact: heiko.stubenrauch@leuphana.de