Eng Fellows Sommersemester 2020

Suzana Alpsancar

Vom Fahr-Zeug zum Fahr-Ding?

Was es heißt, etwas autonom zu tun, wird am Paradigma des Werkzeuggebrauchs sinnfällig. Beim Schreiben mit einem Stift auf Papier, mit Kreide auf einer Tafel, beim Hämmern und Sägen, zeichnet sich der Gebrauch des jeweiligen Werkzeugs dadurch aus, dass wir dieses unter der Maßgabe des jeweils verfolgten Zwecks unseres Tuns — Ideen notieren, Stämme in Feuerholz verwandeln — unmittelbar Steuern können. Im Schreib- oder Sägefluss passen wir die Haltung des Werkzeugs an. Erzielt man nicht den gewünschten Effekt, verstärkt man den Druck oder löst ihn usw. Diesem Tun kommt idealtypisch Autonomie im dreifachen Sinne zu (Hubig): der Anerkennung der gesetzten Zwecke, einer Entscheidung über Strategien der Zweckverfolgung sowie eine freie Wahl der Mittel. Anders sieht es beim Gebrauch von Maschinen oder beim Agieren in Systemen aus.

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Christoph Borbach

Die Geburt der Computergrafik aus dem Geist des Radars

Die aktuelle Omnipräsenz digitaler und das heißt adressierbarer Bildschirme ist (buchstäblich) evident. Diskutiert wird für diese (in der deutschsprachigen Medienwissenschaft) die Frage, ob digitale Bildschirme überhaupt Bilder statt vielmehr Datengebilde visualisieren und es folglich das digitale Bild schlichtweg nicht gäbe. Demgegenüber bleibt zunächst festzustellen, dass der Digitalbildschirm klassische Medien wie das Buch (als eBook), aber auch Formate wie den physischen (Bahn-)Fahrplan aus Papier zu verdrängen scheint. Auch ist ein bidirektionales Agieren mit mobilen Medien ohne digitale (Touch-)Screens für viele MediennutzerInnen unvorstellbar (exemplarisch verwiesen sei auf das ubiquitäre Smartphone oder Laptops, deren grafisches Interface quasi zum Inbegriff intuitiver Mensch-Maschine-Kommunikation avancierte). Eine medienkulturwissenschaftliche Erforschung digitaler Bildschirme scheint darum nicht nur angebracht, sondern umso dringlicher. Bei aller praxeologischer bzw. medienanthropologischer Untersuchungen der situierten Nutzungs-, Interaktions- und Rezeptionsweisen digitaler Bildschirme harrt ein Aspekt dabei meist in der Latenz: Ihre Mediengeschichte und konkret der historische Ursprung der Genese der Computergrafik. Blieben das analoge Fernsehen und die klassische Fotografie die längste Zeit ihrer Geschichte auf physikalische/indexikalische Abbildung von Realität (was auch immer „Realität“ sein oder meinen mag) beschränkt, eröffnet die Computergrafik einen symbolischen Raum der gezielten und konsequenten Manipulationen am und im Bild, welches keine Ab-Bildungfunktion mehr erfüllen muss, sondern Ergebnis von Berechnung ist.

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Gabriele Grammelsberger

Machine Learning Infrastructures in Science

Neben der Computersimulation verändert das Machine Learning (ML) gerade die Forschungslogik zahlreicher Wissenschaftsdisziplinen. Um Machine Learning zu etablieren, bedarf es neuer und diffiziler Forschungsinfrastrukturen, die Zugang zu großen Datenmengen und Rechenressourcen, aber auch neuen Algorithmen erfordern. Das Projektvorhaben untersucht die Entwicklung dieser ML-Forschungsinfrastrukturen, ihren Einsatz in verschiedenen Disziplinen (Meteorologie, Materialwissenschaften, Elementarteilchenphysik). Darüber hinaus wird aus forschungsmethodischer und epistemischer Perspektive das Verhältnis der beiden computerbasierten Forschungsmethoden – Computersimulation und Machine Learning – sowie ihre zunehmende Verwebung untersucht.

Hans De Readt

A quantum theory lego set

The long-term aim of the MECS fellowship is to write a book that describes the physics of fundamental quantum physics experiments, the epistemological questions that these experiments pose, the role of the simulation as a metaphor for perfected, idealized experiments, and the simulations themselves. In the first phase of the project, we will focus of developing the simulation platform and a first version of a graphical interface that allows non-programmers to perform simulations and visualize the results.

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Katharina Rein

From performance magic to augmented reality

„Pepper's Ghost“, der paradigmatische „Spiegeltrick“, wurde 1862 in der Royal Polytechnic Institution in London vorgestellt. Die Illusion erzeugte eine großformatige Glasplatte, die vor der Bühne installiert und zum Publikum hin geneigt war. Sie reflektierte mit einem Scheinwerfer angestrahlte Darstellende, die sich schräg unter der Bühne, parallel dazu befanden, blieb aber selbst für das Publikum unsichtbar. Wurde bei der Phantasmagorie um 1800 auf semi-transparente Leinwände oder Rauch projiziert, so nutzte „Pepper’s Ghost“ ein Trägermedium, das nunmehr ganz unsichtbar war. Spiegelungen lassen nämlich nicht nur etwas da erscheinen, wo es nicht ist, sie lassen zugleich etwas anderes verschwinden – sich selbst. Diese Erkenntnis konnte aus „Pepper’s Ghost“ extrapoliert werden und inspirierte ihrerseits eine ganze Reihe von Bühnenillusionen, die maßgeblich das illusionistische Repertoire der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts veränderten. Im Bereich der optischen Effekte markiert „Pepper’s Ghost“ den Beginn eines technisierten Illusionismus der Moderne, der wissenschaftliche Erkenntnisse und neueste Technik mit einer Ästhetik des Okkultismus und des Mystizismus vereinte.

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Raphael Rosenberg

Wir sehen mit den Augen, aber nicht alles. Dass sich Augen bewegen, dass ihre Ausrichtung mit Aufmerksamkeit korreliert, war bereits in der Antike aufgefallen. Erst seit dem späten 19. Jahrhundert versteht man allerdings, dass Sehen auf dem Wechsel von Fixationen und Sakkaden beruht (Wade & Tatler, 2005). Mit dem Bau von Geräten zur Messung von Augenbewegungen (erstmals Erdmann & Dodge, 1898) öffnete sich ein neues Forschungsfeld mit zahllosen Anwendungen. Stratton (1902), Buswell (1935) und Yarbus (1967) waren die ersten, die versucht haben, das Verhalten des Auges bei der Betrachtung von Bildern zu erkunden. Der Stand der Technik schränkte allerdings die Dauer und Genauigkeit von Aufzeichnungen ein. Mit der Digitalisierung hat die Blickbewegungsforschung einen enormen Aufschwung erlebt. Er beruht auf elektronische Aufzeichnungsverfahren und auf computergestützte Verarbeitung der gewonnenen Daten. Moderne Eye Tracker sind nicht mehr invasiv, sie können im Labor ohne Berührung der Versuchspersonen oder mobil in „ökologisch validen“ Umgebungen als Brille getragen werden. Damit sind die Anwendungsbereiche rasch gewachsen und vielfältig geworden: von der allgemeinen Verhaltensforschung mit Menschen und Tieren zur Kunstgeschichte, vom Marketing zur lebensrettenden Verhinderung von Sekundenschlaf in Automobilen.

Mein MECS Projekt untersucht die Geschichte der Saliency Maps, ein Nebenzweig der Blickbewegungsforschung. Diese werden seit zwei Jahrzehnte zur Vorhersage von Blickbewegungen in der Computer Vision eingesetzt. Ziel dieses Forschungszweiges ist, Algorithmen zu entwickeln, die das Verhalten des menschlichen Auges vorhersagen, bzw. reproduzieren, um im Sinne der künstlichen Intelligenz Maschinen zu bauen, die menschliche Wahrnehmung reproduzieren. Ausgangspunkt der Saliency Maps ist die Idee, dass das Auge und den ihn steuernden Cortex sich nach den elementaren Merkmalen wie Helligkeit- und Farbkontraste oder Kantenorientierung orientieren und diese elementaren Eigenschaften von Bildern können mit Algorithmen analysiert werden.

 

Mario Schulze

Forschungsprojekt - Datenfilme. Zur digitalen Reanalyse analoger Strömungsfilme

Anhand eines konkreten Beispiels aus der Strömungsforschung möchte im Rahmen meiner Fellowship am MECS der Frage nachgehen, was die Mathematisierung und Computerisierung wissenschaftlicher Bilder verspricht und antreibt. Seit den 1920er Jahren entwickelte Ludwig Prandtl kinematographische Verfahren zur Strömungserforschung in Wasserkanälen. Im Rahmen eines Forschungsprojekts zum wissenschaftlichen Film an der ZHdK beforsche ich die Geschichte eines der Filme von Prandtl (gemeinsam mit meiner Kollegin Sarine Waltenspül): von den ersten Versuchen seiner Produktion über seinen Einsatz als Evidenz auf den weltweiten Konferenzreisen Prandtls bis zu seiner Verwendung als Lehrfilm im Nationalsozialismus sowie später in den USA im Kontext des Space Race mit den Sowjets (Abb. 1). Am MECS beschäftige ich mich mit den bisher letzten Episoden dieser „Filmbiographie“. 2007 wurde eine digitalisierte Version des Films durch Wissenschaftler des DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt) mithilfe von particle image velocimetry (PIV) und dann erneut 2019 unter unserer Mitarbeit mit particle tracking velocimetry (PTV) neu ausgewertet (Abb. 2 & 3).

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Lisa Schüttler

Wissenschaftsphilosophische Analyse des Wissenschaftsverhältnis von Robert K. Merton

Im Rahmen des MECS-Fellowships möchte ich das Wissenschaftsverständnis von Robert K. Merton (1910–2003) und die Rezension dieses Verständnisses aus wissenschaftsphilosophischer Perspektive analysieren. Merton gilt als einer der Gründer der Wissenschaftssoziologie („sociology of scientific knowledge“) und forschte zu verschiedenen Themen im Bereich der Wissenschaftstheorie und –geschichte. Der Ausgangspunkt meiner Analyse ist die Aufsatzsammlung The Sociology of Science (1973). Der in diesen Aufsätzen entwickelte wissenschaftstheoretische Ansatz zeichnet sich durch eine scharfe Trennung zwischen „Anti-Wissenschaft“ einerseits und „echter Wissenschaft“ andererseits aus. Letzte lässt sich anhand von vier Charakteristika (den sog. CUDOS-Prinzipien) beschreiben. Das Ziel meiner Analyse soll ein vertieftes Verständnis dieses Ansatzes und der Prinzipien sein. Außerdem soll die Rezeption in den verschiedenen Disziplinen (z.B. Wissenschaftssoziologie und Wissenschaftsphilosophie) untersucht und verglichen werden. Da es sich um einen wissenschaftssoziologischen Ansatz handelt, soll ein Aspekt der Analyse auch die besondere Betrachtung der wissenschaftsphilosophischen Weiterentwicklung des Ansatzes sein, um zu prüfen, ob und in wie weit dieser für philosophische Fragestellungen nutzbar gemacht wer-den kann.

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