Nachlese zur Bundestagswahl: „Eine Analyse unserer Zeit“
30.04.2025 Seit 20 Jahren bündelt das Zentrum für Demokratieforschung (ZDEMO) die Forschungsaktivitäten der Mitglieder des Instituts für Politikwissenschaft (IPW) unter einem Dach. Jetzt trafen sich fünf Professorinnen und Professoren der Leuphana zur Wahl-Nachlese – und regten eine lebendige Fragerunde an.
Über 20 Prozent für die AfD: Für Professor Sarah Engler war das Ergebnis der Bundestagswahl wenig überraschend. „Ähnliche Ergebnisse sehen wir überall in Europa“, sagt die Politikwissenschaftlerin und plädierte für „eine Analyse unserer Zeit“: „Es reicht nicht, allein die Ampel-Regierung für den Erfolg der Rechtspopulisten verantwortlich zu machen.“ Die AfD sei vor allem in deindustrialisierten Gebieten wie in Ostdeutschland und dem Ruhrgebiet erfolgreich. Mit den Protesten der vergangenen Monate setze Deutschland aber immer noch ein „klares Zeichen gegen rechts.“
Die Experten-Runde blickte auch auf den Koalitionsvertrag: „Friedrich Merz bringt bei der Migration keine große Veränderung“, urteilte Natascha Zaun. Viele seiner Ideen seien schlicht rechtlich und praktisch nicht umsetzbar. „Gleiches gilt für die Migrationspläne der AfD“, ergänzte die Professorin für Public Policy und Recht.
Tobias Lenz analysierte die veränderte Lage in der Außenpolitik, die auch die Bundestagswahl prägte: „Die West-Bindung nach Amerika bricht weg und damit auch der nukleare Schutzschirm. Die Entspannung nach Osten gehört der Vergangenheit an. Allein die europäische Integration und die Freundschaft zu Frankreich bleibt als verlässliche Säule übrig“, erklärte der Professor für Internationale Beziehungen. In Bezug auf die Ukraine sagte er: „In der Außenpolitik haben die Menschen Kontinuität gewählt.“
Zur den neu aufgenommen Schulden äußerte sich Lukas Hakelberg „Ohne Geld kein Programm. Deswegen ist die Haushaltspolitik so hart umkämpft“, fasste der Professor für Politische Ökonomie zusammen. Entscheidend sei nun, wie das Geld ausgegeben werde, um alle Bevölkerungsgruppen in Zeiten großer Umbrüche zu erreichen: „Das deutsche Exportmodell ist tot. China ist bei Autos mittlerweile besser und die USA ziehen die Zollschranke hoch“, resümierte er.
Die neue Direktorin des ZDEMO Professor Astrid Séville leitete die Diskussion und führte ein: „Das ZDEMO bündelt verschiedene Forschungsperspektiven. Wir untersuchen, wie sich Demokratie als resilient erweisen kann“, so die Professorin für Politische Theorie. Zum Abschluss der Diskussion sammelte sie zahlreiche Fragen im gut besuchten Plenum ein: „Warum hören Politikerinnen und Politiker nicht auf die Wissenschaft?“, wollte ein Studierender wissen. Natascha Zaun bezog sich in ihrer Antwort auf Olaf Scholz. Der geschäftsführende Bundeskanzler sagte sinngemäß: Ja, er kenne die Studienlage, aber die Wissenschaft hätte keine Ahnung vom politischen Tagesgeschäft. „Oft liegt der Fokus bei Entscheidungen auf dem Wählerwillen nicht auf evidenzbasierten Erkenntnissen“, fasste die Politikwissenschaftlerin zusammen.
„Inwieweit spielt die Vermögensungleichheit beim Aufstieg der Rechten eine Rolle?“, wollte ein anderer Student wissen. Lukas Hakelberg antwortete: „Es entsteht eine Klasse von Superreichen, die sich in der Offshore-Welt bewegen und sich vom Rechtsrahmen des Nationalstaats entkoppeln. Das ist für die Demokratie ein Problem, vor allem, wenn die Superreichen anfangen, politische Kräfte zu unterstützen, die den Rechtsstaat und die Demokratie unterminieren.“
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- Prof. Dr. Astrid Séville