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Ziele der Projektarbeit

Das Ziel des Forschungsvorhabens besteht zunächst darin, die unterschiedlichen Demokratiemuster (patterns of democracy) sowie die Leistungsbilanzen von politischen Systemen (policy performance) in 10 mittel- und osteuropäischen Ländern im Zeitraum von 1995 bis 2005 empirisch zu identifizieren.
In einem zweiten Schritt soll der Einfluss der Demokratiemuster auf die Leistungsbilanz von politischen Systemen vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung (legacies) und der internationalen Einbindung der einzelnen mittel- und osteuropäischen Länder erklärt werden.

Die Bearbeitung dieser Zielsetzung erfolgt in vier Schritten (Teilziele A-D):

Teilziel A:
Identifikation von Demokratiemustern (patterns of democracy)

In einem ersten Schritt sollen die unterschiedlichen Muster von Demokratien in Mittel- und Osteuropa empirisch erfasst werden. Gefragt ist nach den Unterschieden und Gemeinsamkeiten in der demokratischen Ausrichtung dieser Länder. Konzeptionell basiert dieser Teil des Forschungsvorhabens weitestgehend auf den Arbeiten von Arend Lijphart (1984, 1999). Allerdings werden Lijpharts Variablenbündel für die Staaten in Mittel- und Osteuropa teilweise modifiziert. Ähnlich wie Lijphart unterscheiden wir konzeptionell zwischen zwei Demokratiedimensionen: der "Akteure-Prozesse-Politics-Dimension" (D1) und der "Institutionen-Struktur-Polity-Dimension" (D2). Für beide Demokratiedimensionen werden systematisch aktuelle Daten gesammelt, welche die Grundlage für eine empirisch fundierte Typologie der Ausprägung von Demokratie in den Ländern Mittel- und Osteuropas bildet (vgl. im Einzelnen 3.2.1).

Teilziel B:
Identifikation von Leistungsbilanzen politischer Systeme (policy performance)

In diesem Teilbereich soll die Leistungsbilanz der demokratischen Systeme in drei Politikfeldern auf der Basis von jährlich zusammengestellten Datensätzen identifiziert und typologisiert werden. Neben der wirtschaftlichen Performanz werden auch die soziale und die ökologische Performanz politischer Systeme in die Untersuchung einfließen. Die Begründung für die Auswahl dieser drei Politikfelder liegt in der Nachhaltigkeitsdebatte, die nach dem "Umweltgipfel in Rio" neue Forschungsimpulse auslöste. Hiernach ist es zwingend erforderlich von der eindimensionalen Politikfeldanalyse abzuweichen und die systematische Analyse von ökonomischer, ökologischer und sozialer Regierungspolitik voranzutreiben (Brand 2002). Die Erfassung der länderspezifischen Zeitreihen über die Leistungsbilanz von Regierungspolitiken (outputs) und Politikergebnissen (outcomes) werden die außerordentlich geringen Kenntnisse über die materielle Politikproduktion von Regierungen in Mittel- und Osteuropa deutlich erweitern (vgl. 3.2.1). Das Ergebnis dieser empirischen Bestandsaufnahme mündet in eine Typologie, die Auskunft erteilt über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Politikperformanz von mittel- und osteuropäischen Ländern. Durch diesen Analyseschritt werden die bereits seit den siebziger Jahren berechneten Daten über Politikperformanz in OECD-Ländern um die Länder Mittel- und Osteuropas ergänzt (siehe für die OECD-Länder: Hibbs 1977, Olson 1982, Garrett 1998 und Boix 1998 für den Bereich der Wirtschaft; Esping-Andersen 1990, Castles 1998, Hicks 1998 und Huber/Stephens 2001 für den Bereich des Sozialstaats; Crepaz 1995, Jahn 1998 und Jänicke u.a. 1992 für den Bereich der Umwelt).

Teilziel C:
Demokratisierungsdimensionen und Politikperformanz

In einem weiteren Schritt sollen nunmehr die empirischen Befunde der Teilbereiche A und B empirisch miteinander verbunden werden. Theoretisch gehen wir dabei von der "institutions do matter"-Annahme aus, wie sie für die OECD-Staaten formuliert und empirisch belegt wurde (vgl. zusammenfassend Keman 2002). Gefragt wird nach dem Effekt der unterschiedlichen Demokratiemuster auf die Leistungsbilanz von politischen Systemen. Konkret werden mittels statistischer Analysen die beiden Demokratiedimensionen mit den output- und outcome-Variablen der drei Politikfelder korreliert. Die Ergebnisse werden einerseits Schlussfolgerungen über unterschiedliche Demokratietypen und Leistungsbilanz von politischen Systemen in Mittel- und Osteuropa zulassen. Andererseits werden sie auch aufzeigen, ob und inwieweit sich die mittel- und osteuropäischen Länder von den OECD-Ländern unterscheiden. Insofern zielt dieser Teil des Projektes auch darauf ab, unser Wissen über den Zusammenhang von Regierungspolitik und Institutionen in westlichen Demokratien um die östliche Dimension zu erweitern bzw. zu ergänzen.

Teilziel D:
Historische Kontextvariablen und die Kontrolle weiterer externer Effekte

In Anlehnung an die Untersuchungen von Kitschelt u.a. (1999), Kitschelt (2001) und Merkel (1999) werden zunächst die unterschiedlichen Transformationsphasen und jene Hinterlassenschaften der kommunistischen Länder, die einen nachhaltigen Einfluss auf die Demokratisierung dieser Länder hatten, empirisch operationalisiert und mittels quantitativer Messverfahren mit den beiden Demokratiedimensionen sowie mit den Leistungsbilanzen in den drei Politikfeldern in Verbindung gebracht. Des Weiteren werden die Globalisierungseffekte und die relative politische und ökonomische Nähe der einzelnen Staaten zur Europäischen Union (Internationaler Kontext) empirisch messbar gemacht und mit den beiden Demokratiedimensionen sowie den Variablen der Politikperformanz theoretisch und empirisch vernetzt. Insofern werden die traditionellen Analysen über Politikperformanz in westlichen Ländern um die für Mittel- und Osteuropa bedeutenden Fragen "does history matter" bzw. "does globalization matter" ergänzt.

Arbeitsprogramm

Bearbeitung der Forschungsziele

Teilziel A: Identifikation der Demokratiemuster

Die Konsolidierung der politischen Systeme in den 16 mittel-osteuropäischen Staaten wird anhand von Variablenbündeln in den Dimensionen Institutionen/Strukturen/Polity und Akteure/Prozesse/Politics erfasst. In Anlehnung an Lijpharts (1999) Arbeiten, jedoch mit weit reichenden Modifikationen, die insbesondere auf die Spezifika der Länder Mittel-Osteuropas eingehen, werden dazu systematisch für alle Länder Daten gesammelt. Die Reliabilität der Materialsammlung ist gesichert durch die Zusammenarbeit mit Experten aus mittel- und osteuropäischen Ländern, mit denen ein Antragsteller (Ferdinand Müller-Rommel) schon seit Jahren wissenschaftlich kooperiert (vgl. ausführlich 3.2.2 sowie 5.3). In vorbereitenden Treffen ist das Forscherteam aus Düsseldorf und Greifswald übereingekommen, die folgenden Variablen für den Zeitraum der Gründungswahl bis zum Jahr 2003 in 16 mittel- und osteuropäischen Ländern zu erheben.

Dimension 1: Akteure/Prozesse/Politics. Operationalisierung:
Parteiensystem; Regierungstypen; Regierungsstabilität; Regierungszusammensetzung; Repräsentationsqualität

Dimension 2: Institutionen/Struktur/Polity. Operationalisierung:
Zentralisierung; Parlamentsform; Verfassungsrigidität; Wahlsystem; Regierungssystem

Die auf der Datensammlung aufbauenden Datenanalysen dienen dazu, systematische Zusammenhänge zwischen den oben genannten Variablen zu identifizieren. Methodisch geschieht dies in Anlehnung an Lijphart (1999). Dabei gehen wir von folgender Hypothese aus:

Hypothese I: Demokratiemuster in Mittel-Osteuropa
Die politischen Systeme in mittel- und osteuropäischen Staaten unterscheiden sich untereinander bezüglich ihrer Demokratiemuster.

Teilziel B: Erfassung von Leistungsbilanzen politischer Systeme in Mittel- und Osteuropa

Die Leistungsbilanzen politischer Systeme sollen in unserem Projekt systematischer erfasst werden als bei Lijphart. Ausgangspunkt ist die Unterteilung der Leistungsbilanz in die Dimensionen output und outcome. Eingang in die Untersuchung finden die Politikbereiche Ökonomie, Umwelt und Soziales. Für eine diachrone ländervergleichende Analyse wird die Information zu diesen Politikbereichen in jährlichen Datenkränzen von 1995 bis 2003 erfasst. Diese Zeitspanne ist begründet durch die Validität der internationalen Datensätze, welche erst ab 1995 garantiert ist.
Die output-Variablen beziehen sich im wirtschaftlichen Bereich vor allem auf den Grad der umgesetzten Reformen, die in Anlehnung an der EBRD und den Untersuchungen von Fish (1998) und Kitschelt (2001) als weiche und harte Reformen betrachtet werden können. Für die output-Variablen im umweltpolitischen Bereich erstellen wir einen Index, der Informationen zu spezifischen Aspekten wie Ökoaudit (Zertifizierung), Umweltberichterstattung, nationale Umweltpläne, internationale Abkommen (Ozonvertrag), CITES (Schutz von Tieren und Natur) zusammenträgt. Daneben wird, in Anlehnung an Jörgens (1996), ein Index zur Institutionalisierung von Umweltpolitik in 16 mittel- und osteuropäischen Ländern entwickelt. In diesem Teilbereich wurden bereits erste vorbereitende Analysen von der Greifswalder und der Düsseldorfer Arbeitsgruppe durchgeführt. Im Bereich Soziales werden sozialstaatliche Transferleistungen erfasst.
Für die outcome-Variablen benutzen wir vornehmlich den Datensatz der Vereinten Nationen. Ökonomische Daten in diesem Gebiet betreffen das BIP und die Inflationsrate. Im Umweltbereich werden Daten zu Emissionen (Luft, Wasser, Boden) sowie zum Abfallaufkommen, Energieverbrauch und Transport analysiert. Vorarbeiten in diesem Bereich wurden bereits von der Düsseldorfer Arbeitsgruppe erbracht. Zu den wesentlichen Indikatoren für die outcome-Variablen zählen die Arbeitslosenrate, Versorgung mit medizinischen Dienstleistungen, Lebenserwartung, Säuglingssterblichkeit, Analphabetenrate, die u.a. aus dem regelmäßig erscheinenden Human Development Report entnommen werden können. Besondere Aufmerksamkeit erhält in diesem Zusammenhang auch die Gleichstellung von Frauen in der Gesellschaft (Arbeitsmarktpartizipation, Mitgliedschaft im Parlament, leitende Positionen in der Wirtschaft).
Die empirischen Aggregatdatenanalysen zielen zum einen auf die Beantwortung der Frage, inwieweit sich staatliche Performanzmuster in den Bereichen Wirtschaft, Umwelt und Soziales identifizieren lassen. Diese Analyse geht insofern über vergleichbare Analysen zu westlichen Wohlfahrtsstaaten hinaus, da nicht nur sozialstaatliche Ausgaben berücksichtigt werden, sondern auch die Staatstätigkeit im Bereich der Wirtschaft und Umweltpolitik. Zum anderen wird die Verbindung zwischen output und outcome untersucht. Hypothetisch lassen sich die Forschungsbereiche wie folgt zusammenfassen:

    Hypothese II: Muster von Leistungsbilanz (output)
    In den Staaten Mittel-Osteuropas lassen sich in Bezug auf die Regierungspolitiken unterschiedliche Muster innerhalb der Bereiche Wirtschaft, Umwelt und Soziales erkennen.

    Hypothese III: Muster von Leistungsbilanz (outcome)
    In den Staaten Mittel-Osteuropas sind in Bezug auf die Politikergebnisse in den Bereichen Wirtschaft, Ökologie und Soziales deutliche Unterschiede zu erkennen.

    Hypothese IV: Zusammenhang von output und outcome-Variablen
    Es besteht ein Zusammenhang zwischen der output- und outcome-Dimension in den Bereichen Wirtschaft, Umwelt und Soziales.

    Hypothese V: "Kinder and gentler democracies"
    Es bestehen ländervergleichend gemeinsame Leistungsbilanzmuster in der output- und der outcome-Dimension im Bereich von Wirtschaft, Umwelt und Soziales. Dabei sind Länder mit besseren und mit schlechteren Leistungsbilanzen zu erkennen.

Teilziel C: Demokratisierungsdimensionen und Politikperformanz

Im Teilziel C wird der systematische Zusammenhang zwischen den Demokratiemustern und den Leistungsbilanzen der mittel- und osteuropäischen Länder identifiziert und erklärt. Dabei muss die leitende Forschungshypothese an dieser Stelle noch relativ offen formuliert werden, da zunächst präzisere Erkenntnisse über die einzelnen Dimensionen der Demokratiemuster vorliegen müssen. Ferner müssen die einzelnen output- und outcome-Variablen in den Bereichen Wirtschaft, Soziales und Ökologie in disaggregierter Form analysiert werden, um zu einer theoretisch gehaltvollen Hypothese zu gelangen. Aus der Forschung über westliche Demokratien lässt sich eine Hypothese ableiten:

    Hypothese VI: Zusammenhang von Demokratiemustern und Leistungsbilanzen
    Es besteht ein systematischer Zusammenhang zwischen den verschiedenen Demokratiemustern und der wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Leistungsbilanz in den Ländern Mittel-Osteuropas.

Diese Hypothese kann mehrere Formen annehmen. Zum einen können bestimmte Demokratiemuster durchweg in allen drei Politikbereichen zu positiven Leistungsbilanzen führen (höheres Wachstum, geringe Umweltbelastung, soziale Sicherheit und Gleichheit zwischen den Geschlechtern). Dieses kann beispielsweise zutreffen in demokratischen Systemen mit weniger Vetospielern (vgl. Tsebelis 2002). Allerdings ist es auch möglich, dass gewisse trade-offs zwischen den Demokratiemustern und den Leistungsbilanzen bestehen. In Anlehnung an die Untersuchungsergebnisse in westlichen Demokratien bleibt zu prüfen, ob auch in Mittel- und Osteuropa ausgewiesene Mehrheitsdemokratien ökonomisch eine effektivere Politikperformanz haben, während Konsensusdemokratien diese positive Performanz insbesondere in ökologischen und/oder sozialen Politikfeldern erzielen. Insofern wird die systematische Bearbeitung der Hypothese VI fundamentale, neue Einsichten in die hochkomplexen Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Demokratiemustern und Leistungsbilanzen der politischen Systeme in Mittel- und Osteuropa liefern.

Teilziel D: Historische Kontextvariablen und die Kontrolle weiterer externer Effekte

Im Teilziel D werden jene Kontextvariablen untersucht, die ebenfalls in unterschiedlicher Intensität einen eigenständigen Einfluss auf die Performanz nehmen und damit in der Erklärungskraft in Konkurrenz zu den institutionellen Variablen stehen. In der Literatur werden insbesondere historische Kontextvariablen benannt, die sowohl auf die Demokratiemuster als auch auf die politische Leistungsbilanz einen bedeutenden Einfluss haben. Prägend sind in diesem Zusammenhang vor allem die vorkommunistische Vergangenheit, der Transitionstyp und die gesellschaftliche Segmentierung in den mittel- und osteuropäischen Ländern. Die vorkommunistische Vergangenheit ist insofern von Bedeutung, als verschiedene Länder eine unterschiedlich lange Erfahrung mit der Demokratie gemacht haben. Länder mit demokratischen Erfahrungen neigen zu anderen Demokratiemustern als Länder, die keine oder nur eine kurze Erfahrung mit demokratischen Strukturen gemacht haben. Ähnlich verhält es sich mit den Transitionstypen, die wiederum nicht unabhängig von der vorkommunistischen Vergangenheit betrachtet werden können. Auch die gesellschaftliche Segmentierung spielt in vielen Ländern Mittel-Osteuropas eine große Rolle. Diese kann insofern bedeutende Einflüsse auf die Demokratiemuster erzielen, als segregierte Gesellschaften zu föderalen politischen Systemen mit Vielparteiensystemen tendieren, was wiederum die Voraussetzung für die Bildung von Konsensdemokratien bedeuten kann. In Mittel- und Osteuropa wurde eine deutliche Verbindung zwischen der ethnischen Komposition eines Landes und den Demokratiemustern im Allgemeinen sowie den Regierungsformen im Speziellen gefunden (Sekelj 2001). Zusammengefasst lassen sich demnach folgende Hypothesen formulieren:

    Hypothese VII: Einfluss des historischen Kontexts (I)
    Historische Variablen beeinflussen die Entstehung unterschiedlicher Demokratiemuster in den Ländern Mittel-Osteuropas.

Diese Hypothese steht im Einklang mit unserer Grundthese, dass institutionelle Faktoren entscheidend die Leistungsbilanz der Regierungen in den mittel- und osteuropäischen Ländern determinieren. Bei der Bestätigung der Hypothese VII würde sich ein Pfadmodell erkennen lassen. Historische Faktoren würden zu bestimmten Demokratiemustern führen, die wiederum systematisch variierende Leistungsbilanzen zeigen. Es lässt sich jedoch auch plausibel argumentieren, dass historischer Einfluss direkt auf die Leistungsbilanzen einwirkt, ohne durch die Demokratiemuster gefiltert zu werden. Eine solche Alternativhypothese würde unserer Grundthese ("institutions matter") zuwiderlaufen.

    Hypothese VIII: Einfluss des historischen Kontexts (II)
    Historische Variablen haben einen direkten Einfluss auf die Leistungsbilanz von Regierungen in Mittelosteuropa. Damit erklären historische Variablen stärker die Leistungsbilanz von Regierungen als spezifische Demokratiemuster.

Schließlich wirken auch internationale Aspekte, wie beispielsweise internationale Investitionshilfen oder Nähe zur Europäischen Union und NATO, entscheidend auf die Leistungsbilanz von politischen Systemen in Mittel- und Osteuropa (Berglund u.a. 2001; Nello/Smith 1998; Fischer et.al.1998; Gabrisch/ Pohl 1999). Wenngleich Untersuchungen zu westlichen Gesellschaften diesen Einfluss als eher gering einschätzen (Garrett 1998; Boix 1998; Huber/Stephens 2001), so können sich diese Faktoren in den neuen Demokratien als ausschlaggebender erweisen, da diese Länder den Globalisierungstendenzen in einer formativen (noch nicht vollständig gefestigten) Entwicklungsphase unterliegen (Hirschhausen/Bitzer 2000; Marinov 2002). Auch diese Überlegung stellt eine Alternativhypothese zu unserer Grundhypothese dar.

    Hypothese IX: Einfluss internationaler Faktoren
    Internationale Kontextvariablen haben eine direkte Wirkung auf die Leistungsbilanz politischer Systeme in Mittelosteuropa und besitzen damit einen stärkeren Erklärungswert als die Demokratiemuster.

Insgesamt ermöglicht uns die Bearbeitung der genannten Hypothesen, den Grad des Einflusses von Demokratiemustern auf die Leistungsbilanz der Länder in Mittel- und Osteuropa unter analytischer Abgrenzung der historischen Kontext- und der internationalen Kontrollvariablen einzuschätzen.

3.2.2 Datenbasis und Datenbearbeitung

Die Datenbasis besteht aus bereits erhobenen Datensätzen von internationalen Organisationen und individuellen Forschern, die in Publikationen vorliegen bzw. auf CD-Rom erhältlich sind. Im Projektzusammenhang werden zunächst diese Datenquellen identifiziert und für die vorliegende Untersuchung nutzbar gemacht. Zu diesem Zweck müssen die vorhandenen Daten auf Vollständigkeit und Vergleichbarkeit untersucht, sowie hinsichtlich ihrer Validität geprüft werden. Für die durchgeführten Analysetechniken ist es notwendig, dass zu allen Ländern und zu möglichst vielen Zeitpunkten die benötigten Daten zur Verfügung stehen. Kleinere Datenlücken werden durch Schätzverfahren ergänzt. Im Einzelnen werden die folgenden drei Datenquellen in der Untersuchung Berücksichtigung finden:

    Daten zu Demokratiemustern werden aus dem Keesing's Archive (diverse Jahrgänge), Woldendorp u.a. (2000), Berglund u.a (1998) sowie Berglund u.a. (2001) erhoben. Für die Leistungsbilanzdaten (Performanz) im wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Bereich wird auf Daten der Weltbank, UN, OECD, Eurostat, EMEP sowie FAO zurückgegriffen. Die Informationen über die Kontroll- und Kontextdaten basieren auf dem Freedom House Index sowie auf Kitschelt u.a. (1999), Kitschelt (2001), Merkel (1999), Fish (1998) und Beichelt (2001).

Da die Datenlage zu manchen, im Projektentwurf vorgeschlagenen Untersuchungsvariablen nicht immer eindeutig und unmittelbar vergleichbar für alle Länder Mittel- und Osteuropas vorliegen, setzen wir unterschiedliche Verfahren zur Validierung der Daten ein. Zunächst werden Länderexperten (siehe 5.3) gebeten, die gesammelten Daten systematisch und kritisch zu begutachten. Darüber hinaus sind Experteninterviews geplant, die zu bestimmten ideosynchratischen Problembereichen, welche sich aus der Datenerhebung und -analyse ergeben, Auskunft erteilen sollen. Schließlich soll eine Expertenkonferenz mit Blick auf die Vergleichbarkeit der Daten und die Validierung der Interpretation durchgeführt werden. Flankierend ist die aktive Teilnahme an einschlägigen internationalen Konferenzen geplant, auf denen projektbegleitend Forschungsergebnisse vorgestellt und weitere Informationen zusammengetragen werden. Insbesondere unter dem Aspekt der Validierung der erhobenen Daten ist die umfangreiche Konferenzteilnahme begründet, die für den erfolgreichen Projektablauf unabdingbar notwendig sind.

3.2.3 Methoden

Zur Anwendung kommt die Methode des makro-quantitativen Vielländervergleichs, die auch unter dem Begriff Aggregatdatenanalyse oder vergleichende Methode firmiert (Schmidt 1995; Widmaier 1997). Die Weiterentwicklung der vergleichenden Methode hat in den letzten 15 Jahren in der US-amerikanischen Politikwissenschaft enorme Fortschritte gemacht, die in der Politikwissenschaft der Bundesrepublik nur bedingt reflektiert wurden (vgl. zu den öknometrischen Grundlagen Wooldridge 2000). Eine etablierte Form der vergleichenden Methode ist das most similar systems design, welches "vergleichbare Fälle" untersucht (Lijphart 1971: 687; Lijphart 1975). Wesentlich für den Erfolg einer Untersuchung in der Tradition des most similar systems designs ist die bewusste und begründete Auswahl der Fälle (Länder), die einerseits auf die Identifikation einer homogenen Ländergruppe (most similar systems) und andererseits auf die möglichst vollständige Aufnahme aller Länder dieser Gruppe begründet ist, um die Repräsentativität der Ergebnisse zu gewährleisten.

3.2.3.1 Länderauswahl im Kontext der vergleichenden Methode

Das most similar systems design konzentriert sich auf ein relativ homogenes Untersuchungsfeld (hier: ähnliche Länder), um dadurch die Anzahl der zu behandelnden Variablen zu reduzieren. Durch eine solche Untersuchungsanordnung kann die Anzahl der zu berücksichtigenden Faktoren überschaubar gehalten werden. Die in die Untersuchung aufgenommenen Länder müssen Kriterien der "Ähnlichkeit" erfüllen. In vorliegendem Forschungsprojekt werden jene Staaten einbezogen, die in den 90er Jahre einen Transitionsprozess von kommunistischen Systemen zu demokratischen Systemen durchlaufen haben. Damit fallen zunächst alle post-kommunistischen Staaten in die Grundgesamtheit der zu untersuchenden Länder. Für unsere Untersuchung ist es des Weiteren notwendig, dass die Ausbildung des gouvernementalen Institutionengefüges und die Staatstätigkeit der untersuchten Staaten auf politische Aktivitäten der jeweiligen nationalen Akteure zurückzuführen sind. Ausgeschlossen werden allerdings jene Länder, die sich im Verlauf der vergangenen zehn Jahre im Kriegszustand befunden haben. Dies betrifft die Bundesrepublik Jugoslawien und Bosnien-Herzegowina, die nicht in die Untersuchung aufgenommen werden. Schließlich sollen lediglich jene Länder in die Analyse einbezogen werden, die eine gewisse kulturelle Homogenität haben. Aus diesem Grund sollen nicht - wie etwa bei Fish (1998) und Kitschelt (2001) - alle post-kommunistischen Länder untersucht werden, sondern lediglich jene Staaten mit einer europäischen politischen und kulturellen Tradition. Vergleichsgrundlage des beantragten Projekts sind deshalb die folgenden Länder: Albanien, Bulgarien, Estland, Kroatien, Lettland, Litauen, Mazedonien, Moldawien, Polen, Rumänien, die Russische Föderation, Slowakei, Slowenien, die Tschechische Republik, die Ukraine und Ungarn. Der Vergleichszeitraum ist auf die Jahre der Transformation bis 2003 festgelegt. Die Datenerhebung in den einzelnen Ländern beginnt mit dem Zeitpunkt der Gründungswahl von demokratischen politischen Systemen. Das Ende des Erhebungszeitraums muss für das Jahr 2003 festgelegt werden, da die Daten zur politischen Performanz in der Regel erst nach Ablauf von weiteren zwei Jahren publiziert werden. Daher ist geplant, während des Projektverlaufs eine Aktualisierung der Aggregatdaten vorzunehmen (vgl. 3.2.4.1).

3.2.3.2 Analyseverfahren

Im Forschungsprojekt werden unterschiedliche Analysetechniken der Aggregatdatenforschung angewandt, die auch in ähnlichen Untersuchungen zur Wirtschafts- und Sozialstaatspolitik in westlichen OECD-Ländern etabliert sind (Schmidt 1996, Garrett 1998, Boix 1998, Hicks 1998, Huber/ Stephens 2001; Wilensky 2002). Überwiegend werden bivariate Analyseverfahren und multiple Regressionsanalysen durchgeführt. Allerdings ist in zahlreichen wissenschaftlichen Debatten darauf hingewiesen worden, dass Analysen mit kleinen Fallzahlen und begrenzter Variablenzahl besondere Verfahren benötigen, um zu abgesicherten Ergebnissen zu gelangen (Lange/Garrett 1985, 1987; Jackmann 1987; Granato u.a. 1996; Bernhard 1998). Mit diesen Verfahren (Regressionsdiagnostik und sensitivity-Analyse) kann auch eine fallsensible Regressionsanalyse durchgeführt werden. Um konfigurative Zusammenhänge zu erfassen, für welche die Regressionsanalyse weniger sensibel ist, werden wir auch Analysen mit der von Charles Ragin (1987) entwickelten Qualitative Comparative Analyses (QCA) sowie die neuerliche Weiterentwicklung von Fuzzy Sets (Ragin 2000) durchführen. Erfahrungen bestehen bereits mit dieser Analysetechnik (Jahn 1993b, 1999a). Die Kombination von Regressionsanalysen und der QCA findet sich auch in neusten Studien zu westlichen Wohlfahrtsstaaten (Hicks 1998).
Um das Defizit der geringen Fallzahl auszugleichen und auch die Veränderungen in der zeitlichen Dimension besser zu erfassen, wird schließlich die pooled time series analysis Anwendung finden. Die Verwundbarkeit der Regressionsanalyse in small-N-Studien wurde sichtbar durch den Disput zwischen Lange/Garrett (1985; 1987), Hicks (1988) und Jackmann (1987). Nur ein Fall kann - beim leider häufig oberflächlichen Einsatz makro-quantitativer Verfahren - dafür verantwortlich sein, ob ein signifikanter empirischer Zusammenhang bestätigt oder verworfen wird. Die Flucht nach vorn, d.h. eine Ausdehnung der Fälle, wurde durch so genannte pooled time series angetreten (vgl. Schmidt 1996).
In der Diskussion zwischen makro-qualitativen und makro-quantitativen Analysen wird der Regressionsanalyse die Fallsensibilität abgesprochen. US-amerikanische Entwicklungen haben jedoch gezeigt, dass dies durchaus nicht der Fall sein muss (Granato u.a. 1996; Bernhard 1998). Die Regressionsanalyse wurde durch die Regressionsdiagnostik und sensitivity-Analyse ergänzt (Jackman 1987; Granato u.a. 1996; Bernhard 1998). Bei dieser Analyse soll ein Kompromiss zwischen einer variablen- und einer fallorientierten Herangehensweise gefunden werden. Regressionsmodelle werden hierbei daraufhin untersucht, ob die Ergebnisse durch wenige "einflussreiche Fälle" bedingt sind (Belsley u.a. 1980; Bollen/Jackman 1990). Ebenso wurden robuste Regressionsanalysen (Western/Jackman 1994; Western 1995) und Möglichkeiten entwickelt, das Konfidenzintervall der Schätzparameter jeder unabhängigen Variable zu bestimmen (Mooney 1996; Mooney/Duval 1993). Dieses Instrumentarium gehört gegenwärtig zum Standard der US-amerikanischen vergleichenden Politikwissenschaft und soll im vorgeschlagenen Projekt implementiert und weiterentwickelt werden. Dieser Aspekt ist in der deutschen Politikwissenschaft noch weitgehend unbeachtet geblieben.
Allerdings trägt die pooled time series-Analyse auch neue Problempotenziale bei der statistischen Auswertung der Daten ein: Insbesondere muss inhaltlich und statistisch informiert geprüft werden, ob die Unabhängigkeit der einzelnen Beobachtungen, eine zentrale Annahme linearer Regressionsmodelle, verletzt wurde. Für diesen Fall stehen statistische Korrekturverfahren bereit, die insbesondere in den Arbeiten von Nathaniel Beck für die politikwissenschaftliche Datenanalyse fruchtbar gemacht und weiterentwickelt wurden (Beck/Katz 1995; Kittel 1999; Peters 1998: 206-208; Pennings/Keman/Kleinnijenhuis 1999: 212-217).

3.2.3.3 Weitere methodologische Aspekte

Wenngleich die vorgeschlagene Methode über einen weitaus höheren Repräsentativitätsgrad und eine höhere Validität der empirischen Befunde verfügt als etwa Einzelfallstudien oder Untersuchungen weniger Länder, soll nicht verschwiegen werden, dass auch diese Methode ihre Grenzen hat. Durch den globalen Blick verschwinden oftmals länderspezifische Details. Auch ist die Aggregatebene, die als Analyseeinheit ganze Länder (the whole nation bias) benutzt, gerade für Mittel- und Osteuropa nicht unproblematisch, sie ist aber unvermeidbar, um länderübergreifende, generalisierende Aussagen treffen zu können. Wenngleich also die vergleichende Methode wegweisend in der vergleichenden Politikwissenschaft ist, ist sie keine perfekte Methode. Deshalb ist es dringend notwendig, die Validierung der Ergebnisse durch die Einbindung von Länderexperten und Expertentagungen zu komplementieren (vgl. ausführlich 5.3).