Forschungsprogramm

LEITBILD

Das übergeordnete Leitbild des Promotionsprogramms besteht in der systematischen Untersuchung der „Überlebenschancen“ von Demokratie unter „Stressbedingungen“. Kann man von der Demokratie sprechen oder gibt es ein „Life and Death of Democracy“ (Keane 2010). Kann es vielleicht ein „Leben und Tod“ der repräsentativen Demokratie geben? Die globalen und nationalen Herausforderungen werden im Promotionsprogramm als „Stressfaktoren“ für moderne Demokratien definiert, die theoretisch drei unterschiedliche Wirkungen erzielen können: Erstens können extreme Herausforderungen bei unzureichender demokratischer Problembearbeitung zum Ende der Demokratie führen (‚Exitus durch Stress’). Zweitens können exogene und endogene Herausforderungen bestehende Demokratien nachhaltig gefährden (‚negativer Stress’). Drittens können exogene und endogene Herausforderungen die Demokratie positiv verändern und stabilisieren (‚positiver Stress’). Die Frage, welche der drei Wirkungen faktisch eintrifft ist abhängig davon, wie die politischen Akteure in modernen Demokratien die aktuellen Herausforderungen vor dem Hintergrund der Frage nach der Legitimität und der Leistungsfähigkeit von Demokratie wahrnehmen, bearbeiten und lösen.

ZIELSETZUNGEN

Das zentrale Ziel des Promotionsprogramms besteht darin, zusammen mit den Promovendinnen und Promovenden, in den drei genannten Forschungsfeldern die inneren Kernfunktionen von Demokratie (Partizipation, Repräsentation, Inklusion) vor dem Hintergrund der vielfältigen ‚Stressfaktoren’ systematisch zu bearbeiten.

GRUNDIDEE UND FORSCHUNGSPROFIL

Der Ausgangspunkt des Promotionsprogramms liegt in der zunehmenden Polarisierung zwischen einer optimistischen und einer pessimistischen Sicht auf die Zukunftsfähigkeit des westlichen Demokratiemodells. Auf der optimistischen Seite ist zu verbuchen, dass weltweit die Anzahl demokratischer Länder in den vergangenen Jahrzehnten zunächst dramatisch gestiegen und danach – trotz einiger aufsehenerregenden autokratischen Erfolge – nicht wieder gefallen ist. Dieses belegen alle einschlägigen Demokratiemessungen (Bertelsmann Stiftung 2014; Levitsky/Way 2015; Marshall/Jaggers 2008; Moller/Skanning 2013; Vanhanen 2003; Welzel 2013). Folgt man zudem der „Theorie des demokratischen Friedens“, dann sind die Zukunftsaussichten moderner Demokratien perspektivisch noch günstiger als in den vergangenen Jahrzehnten, denn Demokratien haben bislang – so die empirischen Befunde - untereinander keine Kriege geführt, sondern aufkommende Konflikte friedlich geregelt. Ferner besagen verschiedene Varianten der „Modernisierungstheorie“, dass ökonomischer Aufstieg und soziale Differenzierung, die zunehmend auch außerhalb der westlichen Welt voranschreitet, demokratieförderliche Effekte haben (Boix/Stokes 2000; Inglehart/Welzel 2005; Teorell 2010). Vertreter der ‚Diffusionstheorie’ haben darüber hinaus gezeigt, dass die wachsende Zahl an Demokratien einen positiven Effekt auf neue „Demokratisierungswellen“ des 20. Jahrhunderts hatte und damit den weiteren Aufstieg der Demokratie als dominante Regierungsform ermöglichte (Gleditsch/Ward 2006; Wejnert 2005). Weiterhin werden autokratische ‚Revivals’ durch internationale Verflechtungen mit der westlichen Welt erschwert (Levitsky/Way 2010). Diese Verflechtungen haben im Zuge der Globalisierung zugenommen (Anheier et al. 2006; Dreher et.al 2009). Nicht zuletzt werden die Zukunftsaussichten für moderne Demokratien auch deshalb als günstig eingestuft, weil sie nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Länder in Osteuropa ‚feindlos’ geworden sind (Beck 1995).

Dieser optimistischen Sichtweise stehen jedoch zahlreiche pessimistische Argumente über die Zukunft moderner Demokratien entgegen. So wird vermehrt behauptet, dass moderne Demokratien zunehmend „unter Stress“ stehen (van Beek/ Wnuk-Lipinski 2012) und „verletzbar“ geworden sind (Rüb 2012). Die Globalisierung nationalstaatlichen, demokratischen Regierens (Merkel 2015, Zürn 1998), der steigende Einfluss digitaler Medien auf politische Prozesse (Kriesi et al. 2013; Meyer 2002), die Übertragung politischer Entscheidungungskompetenzen auf internationale Organisationen (Majone 2001; Genschel/Jachtenfuchs 2014), die wachsende Macht internationaler Finanzmärkte (Dorn 2014; Nullmeier et al. 2014), die Bedrohung durch terroristische Aktivitäten (Wilkinson 2011) aber auch die transnationalen Migrationsströme (Rother et.al. 2015; Solimano 2010) entziehen sich ihrer nationalen Spielart. Zudem führen die vielfältigen Individualisierungsprozesse in der Gesellschaft zu einer Erosion des sozialen Kapitals der Demokratie (Putnam 2000). Zwischen der Globalisierung auf der Makroebene und der Individualisierung auf der Mikroebene schrumpft der Wirkungsbereich demokratischen Regierens zunehmend. In der Konsequenz kommt es zu migrationsinduzierten Kulturkonflikten und steigenden sozioökonomischen Ungleichheiten (Ansell/Samuels 2014; Merkel 2015; Schäfer/Streeck 2013), zu Repräsentationsdefiziten traditioneller politischer Institutionen (Crouch 2004; Mair 2013) zu umstrittenen Problemlösungskompetenzen der nationalen Regierungen (Schmidt 2008; Strom et al. 2006), zu neuen Partizipationsformen (Steffek et al. 2008; Zittel/Fuchs 2007) und zu verändertem Medienverhalten (Guther/Mughan 2000; Marcinkowski/Pfetsch 2009).

Der wachende Kontrast zwischen der optimistischen und der pessimistischen Sichtweise auf die moderne Demokratie  bildet den zentralen Ausgangspunkt des Promotionsprogramms. Dabei gehen wir von der Grundannahme aus, dass die Forschung innerhalb beider Sichtweisen auf legitimatorische Zusammenhänge im Kontext einer begrenzten Leistungsfähigkeit von Demokratien abzielt und dass die, in den beiden Sichtweisen thematisierte Entwicklungen unbedingt in Relation zueinander untersucht werden müssen. Vor diesem Hintergrund setzt das Promotionsprogramm  einen theoretischen und empirischen Fokus auf die analytische Verknüpfung des Wechselverhältnisses von neuen politischen Herausforderungen und der institutionellen Beständigkeit moderner Demokratien. Konkret besteht das übergeordnete Forschungsinteresse des Promotionsprogramms in der Beantwortung folgender Fragen:

-   Wie werden die unterschiedlichen gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen und ökologischen Herausforderungen („Stressfaktoren“) von den zentralen politischen Akteuren (d.h. den Bürgern, den politischen Vermittlungsorganisationen sowie den nationalen und internationalen Institutionen) wahrgenommen, bearbeitet und gelöst?

-    Welche Implikationen hat die unterschiedliche Problemlösungsbearbeitung für die Beständigkeit von Demokratie?

 

Der analytische Bezugsrahmen zur Untersuchung dieser und weiterer Fragen basiert auf dem Spannungsverhältnis zwischen demokratischer Legitimität und der Leistungsfähigkeit moderner Demokratien (Offe 2003). Dieser Analysebereich gehört nicht nur zum Kernbestand der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Demokratie, er gewinnt auch vor dem Hintergrund der beschriebenen neuen Herausforderungen an demokratische Strukturen sowie der aktuellen Wandlungsprozesse demokratisch organisierter Gesellschaften zunehmend an Bedeutung.

 

Das Spannungsverhältnis zwischen diesen beiden zentralen Anforderungen an demokratische Ordnung wird im Promotionsprogramm in drei Forschungsfeldern bearbeitet, welche die inneren Kernfunktionen von Demokratie definieren: Partizipation, Repräsentation und Inklusion (Merkel 2015). Im ersten Forschungsfeld liegt das Augenmerk auf der Frage, wie Bürgerinnen und Bürger in demokratischen Gesellschaften vor dem Hintergrund von wachsenden ‚emanzipativen’ Werteorientierungen die aktuellen gesellschaftspolitischen Herausforderungen wahrnehmen und in politische Verhaltensweisen umsetzen. Ferner geht es auch darum, inwieweit der Anstieg dieser Orientierungen selber zu einer Herausforderung demokratischen Regierens wird (partizipatorische Demokratie). Im zweiten Forschungsfeld wird die Repräsentationsfähigkeit politischer Vermittlungsorganisationen und politischer Institutionen im demokratischen Nationalstaat und jenseits des Staates untersucht und in Verbindung gebracht mit der Frage nach dem Zusammenhang zwischen sinkendem Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die politischen und staatlichen Institutionen und Eliten einerseits und der langfristigen Beständigkeit von modernen Demokratie andererseits (repräsentative Demokratie). Im dritten Forschungsfeld wird am Beispiel von spezifischen Politikfeldern (z.B. Umwelt-, Klima, Wissens- und Medienpolitik) der Frage nachgegangen, wie die neuen politische Partizipationsformen vor dem Hintergrund einer politischen Repräsentation demokratisch geregelt werden (inklusive Demokratie).

ZITIERTE LITERATUR

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