Heisenberg-Professur: Projekt II
II. Kosmopolitismus der Heimatlosen. Lateinamerikanisch-jüdisch-europäische Verflechtungen am Beispiel von Anatol Rosenfeld und Anna Seghers (1937-1960)
Das Projekt untersucht die Begegnung europäisch-jüdischer Intellektueller auf der Flucht vor dem faschistischen Europa mit lateinamerikanischen (Trans-)Kulturen. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass für die Exilant*innen, die „die Aporien der Menschenrechte“ (Arendt) am eigenen Leib erfahren haben, der europäische Kosmopolitismus keinen existentiellen Halt mehr bietet. An Anatol Rosenfelds und Anna Seghers’ anti- und ‚postkolonialer‘ Schreibpraxis wird nachvollzogen, wie Kosmopolit*innen auf der Flucht einen Halt in der Heimatlosigkeit finden. Denn die transkulturelle Konvivenz, der sie in lateinamerikanischen Ländern begegnen, konfrontiert Rosenfeld und Seghers mit der eigenen diasporisch-jüdischen Geschichte in Europa. Sie lernen zwei Gewaltgeschichten zu verflechten – und erfinden damit gewissermaßen die methodologischen Grundlagen heutiger kulturwissenschaftlicher Forschung.
Ähnliches gilt bekanntermaßen für Aimé Césaire, der mit Über den Kolonialismus (1950) eine brisante These zur Verflechtung von Kolonialgeschichte und Shoah vorlegte. Césaire ist an den karibischen Netzwerken der 1930er und 1940er Jahre u.a. in Paris und Fort-de-France beteiligt, die am Ausgang eines am Leuphana Institute for Advanced Studies entwickelten Projekts stehen: Caribbean Sketches of an Entangled World (1929-1949) (https://www.leuphana.de/en/research-centers/lias/fellows/maud-meyzaud.html). Dieses versteht sich insofern als Pendant und Ergänzung zum „Kosmopolitismus der Heimatlosen“, als deutsch-jüdische und karibische Intellektuelle im Zweiten Weltkrieg nicht nur Stationen des Exils, sondern auch politische Interessen und die Herausforderungen einer littérature engagée auf der Grundlage ihrer respektiven historischen Marginalisierung und Rassifizierung teilen.
Publikationen:
Flucht und Verflechtung. Zur Bildung eines ‚unsteten‘ Archivs der Literatur. Sprache und Literatur 53, 1 (Themenheft), hg. mit N. Taylor (2024). DOI: https://doi.org/10.30965/25890859-05301005.
ebendort: „Kosmopolitismus der Geflüchteten. Zur transkulturellen Literaturkritik Anatol Rosenfelds in Brasilien“, S. 89-116. DOI: https://doi.org/10.30965/25890859-05301005.
„Flucht und lateinamerikanische Konvivenz. Anatol Rosenfelds deutsch(-jüdisch)e Brasilkunde“, in: Undercurrents 19: Mitstreiten. Literarische Solidarität und anti-rassistische Verbündungen (2025), S. 33-46.
DOI: https://undercurrentsforum.com/index.php/undercurrents/article/view/173
(im Druck): „Bildung eines Volkes. Zu Anna Seghers’ Crisanta (1951)“, in: Schreiben über Grenzen. Neue Perspektiven auf die transatlantischen Schriften von Anna Seghers. von Bernstorff, W. & Kappeler, F. (Hrsg.), voraus. 2025, Berlin: Verbrecher Verlag (Reihe „lfb-Texte“).
(zum Peer-Review eingereicht): „Cosmopolitanism in the Wake of Forced Migration. Entangled Histories of Conviviality in Latin America (Flusser, Rosenfeld)“, voraus. 2025, Mecila Working Paper Serie des Maria sibylla merian centre conviviality-inequality in latin america (Mecila).
(zum Peer-Review eingereicht): „Haiti als Heimat der Heimatlosen. Anna Seghers‘ lateinamerikanische Utopie“, in: Krisenhaftes Europa, Utopie Lateinamerika: Positionen jüdischen Schreibens zwischen „Alter“ und „Neuer" Welt. Acle-Kreysing, A., Feierstein, L. R. & Maeding, L. (Hrsg.), voraus. 2026, Berlin: Walter de Gruyter GmbH.[MOU1]
(Herausgeberschaft in Vorbereitung): Zwischen Kosmopolitismus, Judentum und Brasilkunde: Anatol Rosenfelds Essays (1937-1966), voraus. 2026, Wien & Berlin: Verlag Turia + Kant (Reihe „Neue Subjektile“).