Heinrich-Heine-Gastdozent 2012: Feridun Zaimoglu

Mit seinen Büchern "Kanak Sprak", "Abschaum" und "Koppstoff" hat er einen neuen Ton in die deutschsprachige Gegenwartsliteratur gebracht: Der türkischstämmige Autor Feridun Zaimoglu. Als vierter Heinrich-Heine-Gastdozent kam er im Jahr 2012 an die Leuphana Universität Lüneburg, las aus seinem aktuellen Roman und gab im Rahmen des Komplementärstudiums ein Kompaktseminar für Studierende aller Fachrichtungen.  Der Publizist und Redakteur Wend Kässens moderiert die Veranstaltung.

Zaimoglu feierte Mitte der 90er Jahre seinen Durchbruch als Schriftsteller. Seine Bücher  faszinierten durch die kraftvolle Kunstsprache ihrer Außenseiter-Figuren und provozierten durch den unverstellten Blick auf Gewalt und Ausgrenzung am Rande der Gesellschaft. Für seine Leser wurde er zum Kultautor. Inzwischen ist Zaimoglu mit Romanen wie "Leyla", "Liebesbrand“ und „Hinterland“ als Erzähler etabliert, der sich in den Ghettos der Großstädte ebenso auskennt wie in der Märchenwelt der deutschen Romantik. 

Den Studierenden präsentierte Zaimoglu während seines Workshops ein alltägliches und zugleich ungewöhnliches Thema: Liebe und Nachmittagseinkauf. Ihre Aufgabe bestand darin, ein Dramolett zu verfassen. Mit den Worten „Es soll glühen!“ forderte der Schriftsteller die Teilnehmer dazu auf, ihren Texten nicht nur Leben, sondern auch Leidenschaft einzuhauchen.  Die so entstandenen Minidramen bekam er dann nicht wie heutzutage üblich per eMail, sondern mit der Post Post übersandt. Der Grund: Zaimoglu lebt sein Leben offline, Ideen notiert er am liebsten auf Hotelbriefpapier und seine Romane verfasst er auf einer elektrischen Schreibmaschine.

Das gilt auch für das einzige Tagebuch, das der Autor jemals schrieb und aus dem er zu Beginn einer gut besuchten öffentlichen Lesung in der Universität einige Episoden vortrug. „Weiter im Text. Ein Tagebuch mit Bildern.“ gibt einen skizzenhaften und zugleich intimen Einblick in das Leben, die Empfindungen und Erlebnisse des Schriftstellers. Der Publizist und Redakteur Wend Kässens moderierte die Veranstaltung. Im Gespräch entlockte er dem Autor spannende Details über dessen Art zu schreiben: Zaimoglu berichtete, dass er sich seine Geschichten zunächst in Bildern vorstellt, bevor er sie dann niederschreibt. Als ehemaliger Kunststudent und bildender Künstler bringt er dafür die besten Voraussetzungen mit. 

Besonders die Recherche zu seinen Romanen sei aufwendig, sagte Zaimoglu. Er verzichtet dabei nämlich gänzlich auf das Internet, will lieber vor Ort sein, mitten im Geschehen. Für seinen aktuellen Roman „Ruß“ reiste er eigens an den Schauplatz seiner Geschichte, in die vielleicht deutscheste aller Regionen, das Ruhrgebiet. Die daraus ausgewählten Lesepassagen, vorgetragen mit einer fesselnden Stimme, machten das ganze Drama seines Protagonisten deutlich, eines gebrochenen Mannes, der um seine Frau trauert und sich nur schwer im Leben halten kann. Die rhythmische Sprache und die Leidenschaft Zaimoglus für Details ließen die Lesung zu einem besonderen Erlebnis werden. 

Ein Erlebnis, das dem Autor wichtig war, ermöglichte der vorgezogene Beginn der Lesung: Der  Fußballfan Zaimoglu, er trug bei seinem Auftritt schwarz-rot-goldene Socken, konnte so das  EM-Spiel der deutschen Nationalmannschaft von Beginn an beim Public Viewing verfolgen.

Feridun Zaimoglu ©Kerstin Fischer
Feridun Zaimoglu

Feridun Zaimoglu, geboren 1964 im anatolischen Bolu, lebt seit seiner Kindheit in Deutschland. Er studierte Kunst und Humanmedizin in Kiel, wo er bis heute als Schriftsteller, Drehbuchautor und Journalist lebt. Er war Kolumnist für das Zeit-Magazin und schreibt für die Welt, die Frankfurter Rundschau, die Zeit und die FAZ. 1999/2000 war Zaimoglu am Nationaltheater Mannheim während der Schauspieldirektion Bruno Klimeks als Theaterdichter beschäftigt. Theaterfassungen und Drehbücher schreibt Zaimoglu meistens mit seinem Co-Autor Günter Senkel. 1997 erhielt er den "civis Hörfunk- und Fernsehpreis" zusammen mit Thomas Röschner für den Beitrag "Deutschland im Winter - Kanakistan. Eine Rap-Reportage". 1998 wurde ihm der Drehbuchpreis des Landes Schleswig-Holstein verliehen. Im November 2000 kam der Film "Kanak Attack", die Verfilmung seines Buches "Abschaum", in die Kinos. Feridun Zaimoglu wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter 2007 der Grimmelshausen-Preis, 2008 der Corine-Preis und 2010 der Jakob-Wassermann-Literaturpreis. 2004 hatte er eine Gastprofessur an der Freien Universität Berlin inne. 2005 ein Stipendium der Villa Massimo, Erlebnisse dieses Romaufenthalts hat er im Buch „Rom Intensiv“ literarisch verarbeitet. Neben seiner Arbeit als Schriftsteller ist Zaimoglu auch als bildender Künstler und Kurator tätig.