LIAS Symposium: Performativity, Memory and Imagination of Technical Images
Erkenntnis, Performativität und Fantasie– neu nachdenken über KI-generierte Bilder
03.03.2025 Kann ein Bild denken? Ist es kreativ und hat Fantasie? Am 12. Februar stellten sich Erich Hörl (LIAS Co-Direktor) und Paula Bertúa (LIAS Fellow) mit internationalen Gästen diese Frage in einer interdisziplinären Auseinandersetzung mit der Rolle technischer Bilder in der Erinnerungskultur, künstlerischen Praxis und gesellschaftlichen Prozessen. Neben einer Podiumsdiskussion gab es eine Performance, einen Vortrag und eine abschließende Diskussion.
Paula Bartúa eröffnete die Veranstaltung mit einer Reflexion über das Wechselspiel zwischen dem Realen und dem Möglichen. Sie stellte das Kino als ein Mittel dar, das uns hilft, die Realität zu erschließen, wobei Bilder als „Skins“ fungierten, die den Zugang zur Welt ermöglichten. Ihre Erörterung markierte eine Verschiebung von der traditionellen anthropozentrischen Sichtweise hin zu einer postanthropozentrischen Perspektive, in der die Performativität im visuellen Feld und eine technologische Ontologie in den Mittelpunkt rücken.
Ein zentrales Thema war die Frage, wie sich unser Verständnis von Innen und Außen verändert. Sie diskutierte, wie Erinnerung und Fantasie zunehmend externalisiert werden und brachte diesem Gedanken mit den Theorien von Vílem Flusser (1920–1991) und der Möglichkeit der technischen Bilder in Verbindung. Die Fantasie wurde als ein mit dem Nicht-Menschlichen verknüpftes Konzept vorgestellt, das jedoch gleichzeitig als zutiefst menschlich verstanden wird.
In seinem Vortrag „The Eye in the Media and as a Medium: Materiality and Technical Individuation“ beschäftigte sich Renzo Filinith (Johannesburg) mit der Ent-Anthropologisierung des Auges und seiner Rolle in der Wissensproduktion. Das Bild wurde als Teil eines Prozesses der Bedeutungsgebung und des Wissens dargestellt, wobei er auf die Theorien von Bernhard Stiegler (1952–2020) sowie Gilbert Simondon (1924–1989) Bezug nahm. Für den französischen Philosophen Simondon entstehe das Subjekt im Austausch mit seinem technischen Milieu, das nicht nur die materielle Umgebung, sondern deren technische Beschaffenheit umfasse. Fotografische Geräte würden als Prothesen für den Menschen beschrieben, welche in der modernen Technik zur „Krise der Fokussierung“ führen.
Diese Krise und die Frage nach der Wahrnehmung führten laut Filinith zu einer Ent-Anthropologisierung des Bildes. Für Stiegler verliere das Auge in einem technologischen System seine zentrale Rolle, und das Bild werde zu einem autonomen Teil einer Technik, die nicht mehr auf das menschliche Auge angewiesen sei.
In ihrer Präsentation „Has Imagination Always AlreadyBeen the Matter of the Nonhuman“ erläuterte Snježana Šimić (Paris), die Fantasie werde sowohl als ein nicht-menschliches als auch ein menschliches Konzept verstanden. Sie zog Philosophien von Aristoteles bis zu Immanuel Kant heran, um zu verdeutlichen, wie die Vorstellungskraft sowohl das Besondere zum Allgemeinen führen könne als auch neue, innovative Möglichkeiten schaffe. Theodor W. Adorno und Gilles Deleuze hätten diese Perspektiven erweitert, indem sie die produktive und reproduktive Fantasie als untrennbar miteinander verbunden darstellten.
Die Vorstellungskraft wurde als ein Werkzeug zur Entgrenzung des Besonderen und als eine kreative Kraft, die über das rein Menschliche hinausgehe, thematisiert. Jean-François Lyotard (1924–1998) sah das „Unmenschliche“ als einen produktiven Teil der menschlichen Existenz, was die Diskussion um das Verhältnis zwischen Mensch und Technik weiter anheize.
Die jüngsten Manifestationen der Fantasie als nicht-menschliches Konzept wurden in der Auseinandersetzung mit automatisierten Fotografien und KI-Bildern untersucht. Werke der Künstler Michael Wolf, Trevor Paglen und Marcus De Sieno lieferten ein Beispiel für die Automatisierung von Bildern, die in ihrer Reproduktion keine produktive Fantasie mehr enthalten. Hier wurde auch die Idee der „photograph-ish“ Bilder diskutiert, die zwar wie Fotografien erscheinen, jedoch keinen realen Ursprung mehr haben.
In ihrem Beitrag „Synthetic Memories, Virtual Histories. AI-Generated Photorealism and the Remaking of the Past“ beschäftigte sich Katherina Weinstock (Karlsruhe) mit der durch KI generierten Bilderflut und der dadurch aufgeworfenen Frage, wie sie die Realität erweitern können, ohne gleich Fakes zu sein, zum Beispiel als Gedächtnisstützen für demenzkranke Menschen. KI-Bilder entkoppelten die Indexikalität von Fotografien und ersetzten sie durch eine affektive Bindung, die das Fehlen von Glaubwürdigkeit überträgt. Dies wurde in Fallstudien, wie denen der österreichischen Künstlerin Claudia Larcher vertieft. Besonders die Vorstellungskraft und die Fähigkeit zur Geschichts- und Erinnerungsdarstellung wurden als Schlüsselmerkmale in der Rolle von KI in der Kunst und der gesellschaftlichen Wahrnehmung erörtert.
Die Vortragsperformance von Sheung You (Helsinki) sowie die Lecture „Technical Images as Tower of Babel: Six Memos“ von Laura González Flores (Mexico City) brachte die Diskussion um das technologische Bild auf eine andere Ebene. Sheung You, der Fernerkundungstechniken in einer künstlerischen Zusammenarbeit einsetzt, zeigte, wie technische Bilder eine neue Form der Abstraktion erzeugen können, bei denen die Objekte zwar sichtbar sind, aber im Bild „verloren“ gehen.
Flores’ Vortrag über technische Bilder als Teil einer neuen „Wahrheitsproduktion“ und das Vokabular der KI-Bilder als leere Signifikanten am Beispiel von Pieter Bruegels d. Ä. Gemälde „Der Turmbau zu Babel“ (1563) verdeutlichte die Grenzen der heutigen Begriffe und ihre ethischen Fragestellungen. Ihr analytischer Zugang erfolgte über sechs zentrale Konzepte: Illusion, Iteration, Regelmäßigkeit, Unschärfe, Beschleunigung und Programmierbarkeit.
Das Symposium schloss mit der Frage, ob KI-generierte Bilder als eine neue Form der „Wahrheit“ und des Gedächtnisses dienen können, angesichts der wachsenden Krise der Authentizität und der Wahrhaftigkeit in Bildern. Die Diskussion zeigte auf, wie technologische Bilder das Verhältnis zwischen Wahrnehmung und Erkenntnis verändern und inwiefern diese Bilder als Akteure im kreativen Prozess erkannt werden müssen. Ein wesentlicher Aspekt dieser Entwicklung ist die fortlaufende Reflexion über das „Unmenschliche“ in uns und der notwendige Umgang mit den neuen Technologien, die die Wahrnehmung und das Verständnis von Geschichte, Erinnerung und Fantasie prägen.