LIAS Workshop »Power, Resistance, Fascism: Re-Reading Foucault in the Present«
Jenseits der Diktatur: Mikrofaschismus und Widerstand bei Foucault
08.07.2025
Der Workshop untersuchte Faschismus nicht als abgeschlossenes historisches Kapitel, sondern als anhaltende Konstellation von Macht, Verlangen und Subjektivierung. Ausgehend von Michel Foucaults Analytik der Macht untersuchte das hochkarätig besetzte Panel, wie faschistische Logik über Institutionen, Körperschaften und das alltägliche Leben hinweg, funktioniert. Durch genaue Lektüre und interdisziplinären Dialog eröffneten die Sitzungen den Raum für die Neubetrachtung von Widerstand, Grausamkeit und Politik von Erinnerung.
In seinem Beitrag »Foucault and Fascism: How to Fill an Empty Space«eröffnete Roberto Nigro (Leuphana Universität) mit einem Überblick zu Michel Foucaults methodischem Zugang, und beschreibt diesen als Archivar / Historiker, der mit philosophischen Fragmenten arbeitete, um Systeme von Macht und Wissen zu erkunden. Foucault befasste sich eingehend mit alten Texten und dem 18. und 19. Jahrhundert, und legte den Schwerpunkt auf die Frage, wie die Moderne – besonders der Liberalismus – Konzepte wie die Biopolitik hervorbrachte. Foucaults Analyse widersetzt sich totalisierenden Theorien, stattdessen erkundet sie Praktiken von Macht und Widerstand, offenbart, wie Gewalt und Führung durch subtile, oft unsichtbare Mechanismen operieren.
Nigro betont, dass Foucault Faschismus oder Nationalsozialismus nicht direkt theoretisierte, sondern sich vielmehr mit den weiteren Rationalitäten auseinandersetzte, die diese ermöglichten. Seine Kritik des Liberalismus ist ganz wesentlich für das Verständnis dafür, wie biopolitische Strukturen sowohl faschistischen als auch demokratischen Regimen zugrunde liegen. Faschismus wird in diesem Licht zu einer Form der Führung, die aus moderner Rationalität hervorgeht.
Der Rassismus spielt eine zentrale Rolle in Foucaults biopolitischer Struktur und funktioniert als »Technologie des Tötens«, indem er biologische Trennungen zwischen den Bevölkerungsgruppen schafft – jenen, die leben müssen und jenen, die möglicherweise sterben. Der Faschismus intensiviert diese Logik, verteilt Macht, um Gewalt durch staatliche und paramilitärische Institutionen auszuüben. Der Pöbel oder marginalisierte Gruppen, die sich oftmals der Einordung entziehen, werden in faschistischen Systemen vollständig unterworfen.
Der Schwerpunkt der Publikumsfragen lag auf der Allgemeingültigkeit, der Rolle von Historiker*innen sowie auf Foucaults Einstellung zum Faschismus. Der Vortragende erläuterte, dass Foucault zwar Allgemeinbegriffe als feste Wahrheiten ablehnte, jedoch nicht Allgemeingültigkeit als historische Prozesse. Foucault schlägt in seiner Arbeit keine moralischen Codes vor, sondern kultiviert ethische Praktiken, die in Kritik und Widerstand wurzeln. Sein Leben und seine Lehre waren durchwegs anti-faschistisch und zielten darauf ab, Räume der Freiheit zu generieren. Foucault theoretisierte den Faschismus nicht direkt, sondern offenbarte die Mikropraktiken und Rationalitäten, die diesen ermöglichten. Sein Anti-Faschismus liegt in Methode und Ethos: Widerstand gegen universelle Wahrheiten, die Analyse von Macht und die Förderung von ethischem Leben als Freiheit von Beherrschung.
In seinem Vortrag »Governmentality – A New Power After Fascism« eröffnete LIAS Senior Fellow Alex Demirović (Goethe Universität Frankfurt am Main) mit einer kritischen Betrachtung des Titels seiner Präsentation und beschrieb diesen als irreführend und seinen Beitrag als unvollständig – ein Zeichen theoretischer Niederlage, versucht man, sich dem Faschismus durch die Linse Foucaults anzunähern. Auch wenn es ungewöhnlich erscheinen mag, Foucault in Beziehung zum Faschismus zu betrachten, erkennt Demirović doch seine andauernde empirische Relevanz an. Der aktuelle Diskurs fühlt sich jedoch wie ein Rückfall in die 1960er- und 1970er-Jahre an, in denen Freud und Marx vorherrschend waren. Foucault wird selten sinnvoll integriert.
Theoretische Instrumente zur Bekämpfung von Faschismus und Rassismus haben, Demirovićs Ansicht nach, größtenteils versagt. Trotz starker demokratischer Institutionen, waren kapitalistische Gesellschaften strukturellen Veränderungen unterworfen, die Foucault zu thematisieren versuchte. Er verwies darauf, dass die Auseinandersetzungen des 19. Jahrhunderts in erster Linie durch wirtschaftliche Kategorien wahrgenommen wurden. Faschismus hingegen infiltrierte die Massen, förderte Konsens und Selbsttätigkeit – Dynamiken, die von der kritischen Theorie bereits beobachtet wurden.
Faschismus und Stalinismus galten als einzigartige Phänomene. Um ihre Entwicklung zu verstehen, gilt es, unterirdische Machtmechanismen zu erkunden, die unabhängig unterhalb des staatlichen Apparates tätig waren. In den 1970er-Jahren argumentierte Foucault, dass gegenwärtige Ereignisse keinen neuen Faschismus darstellen würden, sondern etwas anderes, nämlich eine neue Machtbildung. Er war der Ansicht, es würde dem Faschismus an der formalen Struktur konstitutioneller Staaten fehlen, und alte konzeptuelle Werkzeuge seien überflüssig geworden. Foucaults Analyse zufolge veränderte sich Macht mit dem Aufstieg des Neoliberalismus. Für Foucault verfügte der Staat über keinerlei inneres Wesen und sollte nicht als gegeben hingenommen werden. Stattdessen legte er den Fokus auf den Widerstand gegen übermäßige Steuerung – »die Kunst, nicht ganz so viel regiert zu werden«. Der Neoliberalismus reduzierte die sichtbare Macht des Staates, während er gleichzeitig interne Dynamiken modifizierte. So konnte sich eine neue autoritäre Konfiguration ausbilden, die demokratische, liberale und faschistische Tendenzen miteinander verband. Der Faschismus blieb, wie ein Fieber, inaktiv und konnte in neuen Formen wieder an die Oberfläche treten.
Demirović schlussfolgerte, dass Foucault uns dabei hilft, den Faschismus nicht als dauerhaftes Regime, sondern als verstreute Macht zu begreifen, die in der modernen Staatsführung verwurzelt ist. Sein Fokus auf neoliberalen Transformationen offenbart, wie autoritäre Tendenzen sich innerhalb demokratischer Strukturen anpassen. Anti-Faschismus muss sich also jenseits staatlich zentrierter Modelle bewegen und tiefere, sich verändernde Machtlogiken ansprechen.
Die Präsentation »Introduction to the Non-Fascist Life: Foucault and the Problem of Power« von Jonas Oßwald untersucht Michel Foucaults indirekte Auseinandersetzung mit dem Faschismus durch seine umfassendere Analyse von Macht. Obwohl Foucault Faschismus nur selten direkt thematisierte, betrachtete er diesen nicht als historische Anomalie, sondern als anhaltende strukturelle Möglichkeit innerhalb moderner Gesellschaften. Der Faschismus wird, seiner Ansicht nach, durch eine Verstärkung verstreuter Macht und nicht durch zentralisierte Autorität definiert. Im Gegensatz zu Gilles Deleuze und Félix Guattari, die das unbewusste Verlangen betonen, liegt Foucaults Schwerpunkt darauf, wie der Faschismus durch gesellschaftliche Teilnahme an delegierter Macht erstrebenswert wird – was er als Mikrofaschismus bezeichnet.
Foucault vermeidet dauerhafte Definitionen von »Staat« oder »Faschismus« und gibt stattdessen genealogischen Analysen den Vorzug, deren Fokus auf historischer Flexibilität liegt. Dieser Ansatz offenbart den Faschismus als eindringliches Element moderner Subjektivität, das in disziplinarischen und neoliberalen Gesellschaften stets latent vorhanden ist. Seine Methoden widersetzen sich allgemeingültigen Kategorien und bieten stattdessen eine anti-faschistische Theorie von Macht mit einem Schwerpunkt auf Beziehungen, nicht auf Wesenskern.
Die Diskussion erkannte Foucaults eurozentrische Grenzen an, besonders seinen archivbezogenen Fokus und seine fehlende Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus. Seine Konzepte verweisen indirekt auf koloniale Strukturen. Die Teilnehmenden bemerkten, dass Foucaults Analysen inmitten aktueller Verschiebungen von Autorität immer noch von Relevanz sind, und betonten, wie der Faschismus nicht trotz moderner Machtstrukturen, sondern gerade durch diese aufblüht.
Foucault bietet keine eindeutige Theorie des Faschismus, so die Schlussfolgerung, seine Machtanalysen enthüllen vielmehr dessen andauernde Anziehungskraft und seine strukturelle Rolle in der modernen Staatsführung. Für ihn bedeutet Anti-Faschismus, sich der Machtintensivierung und der Kultivierung neuer Formen von Subjektivität zu widersetzen.
In ihrem Vortrag »Deviantization and Denunciation: Micropolitics of Power in Foucault« untersuchte Isabell Lorey (Kunsthochschule für Medien Köln), wie Michel Foucaults Machtkonzept jene Mechanismen auf Mikroebene enthüllt, die den Faschismus ermöglichen – nicht als einzelnes historisches Ereignis, sondern als fortbestehende Dynamik, die in das alltägliche Leben eingebettet ist. Mit Verweis auf Foucaults Vortrag zu Kino und Betrachtungen zu Grausamkeit, Verlangen und Denunziation von 1974, stellte sie Mythen kollektiven Widerstands in Frage und hob hervor, wie der Faschismus durch gegenseitige Kontrolle und die Erotisierung von Macht agiert.
Foucault identifiziert Faschismus im Wunsch zu beherrschen und zu bestrafen, selbst unter gewöhnlichen Menschen. Macht ist nicht einfach nur unterdrückerisch, sie ist produktiv – sie generiert Wissen, Verlangen und Körper. Die Grausamkeit von Macht liegt nicht im Sadismus, sondern in dessen Fähigkeit, Menschen das Beherrschen lieben zu lassen. Der Faschismus durchdringt somit die alltägliche Mikropolitik, von Familienstrukturen bis hin zu Parteipolitik und institutionellem Leben.
Im Mittelpunkt dieser Analyse steht die Bio-Macht, die Führung des Lebens durch Techniken, die den Körper regulieren und optimieren. Faschismus und Stalinismus setzten die biopolitischen Strukturen des 19. Jahrhunderts fort und zeigten auf, dass Genozid und die Vernichtung von Ethnien keine Anomalien waren, sondern Ergebnisse moderner Rationalitäten. Auch die Demokratie wurzelt in Machtbeziehungen und Familienstrukturen, die Beherrschung ermöglichen.
Die Diskussion beleuchtete die Notwendigkeit für Widerstand, nicht nur politisch, sondern auch in der Schaffung von Körpern und Subjektivitäten. Entindividualisierung wurde als Möglichkeit vorgeschlagen, um dem Faschismus in uns selbst zu entkommen. Die Teilnehmenden stellten Verbindungen zu Paulo Freire, Louis Althusser und der feministischen Ethik der Achtsamkeit her und unterstrichen damit, wie alternative Formen der Subjektivierung – jenseits von Weißsein, Nationalismus und Individualismus – Wege abseits von Beherrschung aufzeigen können.
In ihrem Vortrag »Desire, Bodies, and the Need for Shelter« untersuchte LIAS Senior Fellow Nancy Luxon (University of Minnesota Twin Cities) die Überschneidung von Michel Foucault und Frantz Fanon, um zu analysieren, wie der Faschismus Verlangen, Identität und institutionelle Erfahrung manipuliert. Faschismus entsteht, so die Vortragende, wenn traditionelle politische Formen kollabieren und durch Kulte von Einheit, Energie und Ordnung ersetzt werden. Um den Faschismus zu hinterfragen, ist es ganz wesentlich zu verstehen, wie Subjektivität und Verkörperung unter solchen Regimen neu organisiert werden.
Sowohl Michel Foucault als auch Frantz Fanon wandten sich in den 1950er-Jahren der Psychiatrie und der Phänomenologie zu, um sich mit Entfremdung auseinanderzusetzen. Foucaults Schwerpunkt lag auf der Kritik ausschließender Institutionen, während Fanon versuchte, sie von innen heraus zu verändern. Obwohl keiner von beiden sich jemals mit der Arbeit des jeweils anderen auseinandersetzte, zeigt eine Gegenüberstellung der beiden produktive Spannungen auf: Wo Foucault Sprache und diskursive Bildung betont, stellt Fanon verkörperte, koloniale und psychische Entfremdung in den Vordergrund. Was besonders wichtig ist, Fanons Konzept der psychiatrischen Klinik wird zu einem Ort historischer Wiederherstellung und politischer Subjektivierung, anstelle von bloßer Kontrolle. Sein Modell der »Tagesklinik« ist bestrebt, hierarchische Arzt-Patient-Beziehungen aufzubrechen und kollektive Heilung und Aktivismus zu ermöglichen.
Fanons Ansatz weicht von jenem Foucaults ab, indem er die Klinik als »durchlässige Zuflucht« anbietet – ein Raum, der nicht nur Trauma, sondern auch radikaler Veränderung dient. Er reagierte auf historische Gewalt, indem er institutionelle Praktiken neu durchdachte, etwas, das Foucaults genelogische Struktur, die sich der Kritik zuwandte, nicht vollständig zu lösen vermag. Fanons Einsatz von Gewalt ist nicht zelebrierend, sondern diagnostisch: Er benennt das Trauma kolonialer Vertreibung und erzwingt eine Konfrontation mit den Einschränkungen von liberalem Humanismus.
In der Diskussion wurde das Fehlen gegenseitiger Anerkennung zwischen Fanon und Foucault angemerkt, dennoch offenbaren ihre gegensätzlichen Ansichten – zu Gewalt, Verlangen und institutioneller Macht – neue Wege, um über Widerstand nachzudenken, besonders vom Inneren des Systems der Beherrschung aus. Schlussendlich fordert uns Fanons Arbeit auf, uns zu fragen, ob von Gewalt geprägte Räume auch Stätten politischer Neusubjektivierung und Fürsorge sein können.
Die letzte Präsentation von Minkah Makalani (Johns Hopkins University Baltimore) bietet eine Analyse von Ousmane Sembènes Film Camp de Thiaroye als Betrachtung von kolonialer Gewalt und den eingeschränkten Ausdruckmöglichkeiten innerhalb kolonialer Strukturen. Unter dem Titel »›A Bit Cracked‹ – Prophetic Utterance and Unspeakable Coloniality in Ousmane Sembène’s Camp de Thiaroye« stellt Makalani fest, dass der Film die weitere Beziehung zwischen Afrika und Frankreich erkundet, besonders durch die Figur des Pays, einer Person, die nur dann verständlich wird, wenn sie eine SS-Kappe trägt, anstatt den Fokus lediglich auf das Massaker afrikanischer Soldaten durch französische Streitkräfte im Jahr 1944 zu legen. Das verdeutlicht die traumatische Verstrickung von Kolonialismus und Faschismus, sowie das Versagen existierender Sprache, solche Erfahrungen zu artikulieren.
Mit Verweis auf Foucaults Konzept der Biopolitik beleuchtet der Vortrag, wie Faschismus als Mechanismus von staatlicher Macht funktioniert – indem er die Bevölkerung in jene unterteilt, die leben dürfen und jene, die zum Sterben verdammt sind. Der Kolonialismus wird als historischer Ursprung dieser Trennung identifiziert. Camp de Thiaroye verbindet faschistische und koloniale Gewalt und zeigt Pays als eine prophetische Figur, dessen Wahnsinn eine tiefere Wahrheit offenbart, die über den rationalen Diskurs hinausgeht. Diese Diskussion stützt sich auch auf Theorien von Frantz Fanon, Aimé Césaire, Cedric Robinson und Michael Rothbergs Konzept multidirektionaler Erinnerung, und verbindet koloniale Erinnerung und Holocaust-Erinnerung. Hannah Arendts The Origins of Totalitarianism (Dt. Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft) wird aufgrund der blinden Flecken im Bereich Kolonialismus kritisiert. Zu guter Letzt fordert die Präsentation neue Denkansätze, welche die unaussprechlichen Dimensionen kolonialer Macht und Subjektivität zum Ausdruck bringen können.
Der Workshop zeigte auf, wie der Faschismus in modernen Gesellschaften immer noch als eine verstreute, anpassungsfähige Macht wirkt. Anstatt den Schwerpunkt auf zentralisierte Autorität zu legen, hoben die Diskussionen die Mikropolitiken von Macht, Verlangen und Grausamkeit im alltäglichen Leben hervor. Die Gegenüberstellung von Foucault und anderen Denkern wie Fanon offenbarte sowohl die Grenzen als auch die Möglichkeiten von kritischer Theorie bei der Auseinandersetzung mit kolonialen und rassifizierten Strukturen. Die Teilnehmenden unterstrichen die Dringlichkeit, sich nicht nur gegen institutionelle Gewalt zur Wehr zu setzen, sondern auch gegen subtile Formen von Subjektivierung, die unterdrückende Systeme aufrechterhalten. Schlussendlich betonte der Workshop wie wichtig es ist, sich alternative Formen von Solidarität, Fürsorge und entindividualisiertem Widerstand auszumalen.
Anfragen und Kontakt:
- Dr. Christine Kramer