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Alternativen zum Kapitalismus: Mit Reframing, Commoning und Care für die ökonomische Transformation

LIAS LECTURE Katherine Gibson: »Post-Capitalist Community Here and Now: Sowing the Seeds of Transformative Futures«

16.07.2025

01.07.2025. In ihrer LIAS Lecture stellte Senior Fellow und LIAS Beirätin Katherine Gibson ein Forschungsprogramm vor, das sich der Frage widmet, wie postkapitalistische Gemeinschaftsökonomien gedacht und praktisch umgesetzt werden können. Als Mitbegründerin des Community Economies Collective plädiert Gibson für eine radikale Neufassung ökonomischen Denkens jenseits kapitalistischer Prämissen und eingefahrener Sprachbilder.

©Julia Knop
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Seit mehreren Jahrzehnten konzentrieren sich ihre Forschung und Projekte auf die Bestandsaufnahme und Förderung eines ethisch fundierten wirtschaftlichen Wohlergehens in Gemeinschaften auf der ganzen Welt. Ihre Arbeit ist in einer feministischen Kritik des Kapitalozentrismus verwurzelt, dem Diskurs, der „die Wirtschaft“ als durchweg kapitalistisch begreift und dabei andere, gemeinschaftsbasierte Formen des Wirtschaftens ausblendet. In einer Welt, die zunehmend von Ausbeutung und Extraktivismus geprägt sei, so Gibson, werde es zunehmend dringlich, alternative Lebens- und Wirtschaftsweisen sichtbar zu machen, die auf Fürsorge, Gegenseitigkeit und Sharing beruhen.
Die australische Humangeographin betonte, dass Sichtbarkeit allein nicht genüge. Damit alternative Praktiken transformativ wirken könnten, müssten sie theoretisch reflektiert und durch kollektives Handeln gestützt werden. In diesem Sinne verwies sie auf die Notwendigkeit einer „Politik der Sprache“, die neue Subjektpositionen eröffne, sowie auf eine Praxis, die sich durch Anti-Essentialismus, die Akzeptanz von Ambiguität und nicht zuletzt durch Freude auszeichne.
Mit Projekten in Australien, Europa, Asien und Nordamerika zeigt das Netzwerk Community Economies, dass Alternativen zur kapitalistischen Ökonomie längst existieren. Für zentral hält die Gruppe eine Überarbeitung grundlegender ökonomischer Kategorien wie Arbeit, Eigentum, Produktion und Tausch. Im Zentrum steht das commoning: gemeinsames Gestalten und Erhalten von Gemeingütern. Dabei sei die Verantwortung der Gemeinschaft essenziell: Commons müssten zugänglich bleiben, gepflegt und gerecht geteilt werden. Dieses Denken sei stark beeinflusst von indigenen Perspektiven, die die Auswirkungen heutiger Entscheidungen auf zukünftige Generationen – etwa sieben Generationen im Voraus –einbeziehen. Gleichzeitig müsse das Bewusstsein für die verheerenden Effekte der Privatisierung und des Ausschlusses gestärkt werden.
Die bekannte und eindrückliche Eisberg-Metapher diente Gibson als Ausgangspunkt. Diese zeige die sichtbare kapitalistische Ökonomie an der Spitze, während ein Großteil ökonomischen Handelns (darunter unbezahlte Sorgearbeit, Tausch und Selbstversorgung) unsichtbar bleibe. Diese Metapher wurde inzwischen durch eine schwimmende Kokosnuss ersetzt.
Gibson ergänzte ihren Vortrag durch Beispiele aus laufenden Forschungsvorhaben, etwa zur emotionalen Dimension von Transformationen in australischen Kohlerevieren oder zu neuen Bewertungsmodellen wie dem Community Economy Return on Investment (CEROI), das wirtschaftliche Aktivitäten nach ethischen und gemeinschaftlichen Kriterien erfasst. Projekte wie diese zeigen laut Gibson, dass es möglich ist, gemeinschaftliches Wirtschaften nicht nur als Vision, sondern als konkrete Alternative zu denken und zu realisieren.
Ein klassisches Beispiel für eine feministische und gemeinwohlorientierte Neuausrichtung wirtschaftlicher Denkweisen sei die unsichtbare und oft unbezahlte Sorge- und Hausarbeit, so Gibson. In herkömmlichen ökonomischen Messgrößen wie dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) blieben diese Tätigkeiten weitgehend unberücksichtigt. In einigen Ländern seien immerhin erste Schritte zur Anerkennung und sogar Entlohnung dieser Arbeit erkennbar.
Als weiteres, konkretes Beispiel für die Verbindung von Messmethoden („Metrologien“) und Commons führte Gibson das Feld der Nahrungsmittelproduktion an. In vielen Regionen spiele die subsistenzorientierte Lebensmittelproduktion noch immer eine bedeutende Rolle – sie bleibe jedoch oft unberücksichtigt, da nur der kommerzielle Sektor statistisch erfasst werde. In Städten wie Detroit entstünden durch urbane Gärten und Gemeinschaftslandwirtschaft neue Formen lokaler Versorgung, deren Beitrag zur lokalen Ökonomie über herkömmliche Messinstrumente hinausgingen.
Ein weiteres Beispiel sei das Projekt „Colombes“ in Paris: ein urbanes Gartenbau- und Gemeinschaftszentrum, das als Modell für zukünftige grüne Städte diene. Trotz EU-Förderung wurde das ursprüngliche Ökodorf gleich dreimal für den Bau eines Parkplatzes verlegt. Dennoch konnte durch eine detaillierte wirtschaftliche Bewertung (Investition: 1,2 Millionen Euro; geschätzter Ertrag: 3,4 Millionen Euro) aufgezeigt werden, welche ökonomischen Vorteile derartige gemeinschaftlich getragenen Ökoprojekte generieren könnten. Dies trage zur Argumentation gegenüber politischen Entscheidungsträgern bei.
Die Arbeit an gemeinwohlorientierter Ökonomie, so das Fazit von Katherine Gibson, sei ein globales Phänomen. In Asien etwa wird an kooperativen Wirtschaftsformen gearbeitet, die auf Solidarität und gegenseitige Unterstützung setzen. Caroline Hossein hebe in ihrem Werk The Banker Ladies die wichtige Rolle hervor, die Schwarze Frauen im Aufbau solidarischer Finanzsysteme gespielt haben. Auch indigene Gemeinschaften brächten wichtige Perspektiven ein, die auf Nachhaltigkeit, Verantwortung und Gemeinschaftswohl beruhten.

Insgesamt zeige sich: Das Neudenken von Ökonomie im Sinne von Reframing, Commoning und Care eröffne transformative Möglichkeiten für gerechtere, nachhaltigere und inklusivere Gesellschaften. In der anschließenden Diskussion wurde betont, dass die Entstehung postkapitalistischer Gemeinschaften kein linearer Prozess sei, sondern sich in „Ungleichzeitigkeiten“ bewege. Lokale Initiativen gerieten dabei häufig in Konflikt mit globalen Marktinteressen oder politischen Machtverhältnissen. Es wurde deutlich, dass es heute nicht darum gehe, den Kapitalismus zu kritisieren, sondern vielfältige Lebensweisen und Formen des Wirtschaftens sichtbar zu machen, zu stärken und weiterzuentwickeln. Dabei müsse die Frage gestellt werden, wie eine gerechte und gemeinschaftsorientierte Zukunft konkret aussehen könne.

Anfragen und Kontakt:

  • Dr. Christine Kramer