LIAS Lecture: Neue UN-Richtlinie zu Polarisierung und migrationsbezogenem Fremdenhass
Nachbericht zur LIAS Lecture von Pablo Ceriani Cernadas
14.11.2025 Im Dezember 2025 werden die Vereinten Nationen neue, umfassend überarbeitete Richtlinien zur Bekämpfung von Xenophobie (Fremdenfeindlichkeit) veröffentlichen – ein Meilenstein, der angesichts global wachsender politischer Polarisierung und migrationsbezogener Anfeindungen kaum aktueller sein könnte. Hier setzte Pablo Ceriani Cernadas in seiner LIAS Lecture „New UN Guidelines on Politics for Eradicating Xenophobia“ an.
Ceriani ist Co-Koordinator der Arbeitsgruppe der UN-Ausschüsse Committee on the Elimination of Racial Discrimination (CERD) sowie Committee on the Protection of the rights of All Migrant Workers and their Families (CMW).Der argentinische Jurist, Menschenrechts- und UN-Experte geht davon aus, dass Xenophobie längst nicht mehr nur ein gesellschaftliches Randphänomen ist, sondern inzwischen zu einem systemischen Treiber diskriminierender Politiken geworden ist. Politische Narrative – nicht selten von Angst, Verzerrungen und Fehlinformationen geprägt – formten zunehmend Gesetzgebung und Verwaltungspraxis: »Die Diskriminierung wird für Betroffene im Alltag unmittelbar spürbar«, so Ceriani, »im Zugang zu Bildung, Gesundheit, Arbeit, Wohnraum, und nicht zuletzt in migrationspolitischen Verfahren.« Und er stellte klar: Dieser Trend gefährdet aus menschenrechtlicher Perspektive den Grundsatz der Nichtdiskriminierung und stellt eine der größten Herausforderungen für internationale Normsetzung dar.
Die neuen Richtlinien der Ausschüsse CERD und CMW, die auf Berichten aus den UN-Ländern beruhen, sprechen in diesem Zusammenhang Empfehlungen aus, die gleichermaßen an Staaten, lokale Regierungen, Gerichte, Parlamente, Medien, digitale Plattformen und zivilgesellschaftliche Organisationen gerichtet sind. »Diese menschenrechtlichen Monitoring-Instrumente der Ausschüsse – Staatenberichte, Individualbeschwerden, General Comments – helfen, das Zusammenspiel von Normen, Werten und politischen Realitäten zu verstehen«, betonte Ceriani. Da die Herausforderungen sich jedoch stark verändern, seien fallbezogene und kontextsensible Ansätze unerlässlich.
Ein besonders wichtiger Teil der Empfehlungen sei der holistische Politikansatz, den Ceriani als eine Art Puzzle beschreibt: Jede Maßnahme sei nur ein Teil, aber jeder Teil essenziell, unabhängig davon, ob es um interinstitutionelle Abstimmung, multisektorale Koordination, normative Rahmenbedingungen, lokale Integrationspolitik, unabhängige Kontrollmechanismen, Datensammlung o.ä. gehe: »Wir brauchen Staaten, die nicht nur reagieren, sondern langfristig Strukturen etablieren, die Xenophobie vorbeugen und nicht erst bekämpfen«, forderte der Menschenrechts-Experte.
Die Leitlinien greifen nach intensiven Konferenzen in Genf, Bangkok, Toronto, Amsterdam und Dakar auch die historische Dimension von Rassismus und Xenophobie auf, die eng mit Kolonialismus und Sklaverei verbunden seien. Moderne Formen der Racialization (»Rassifizierung«) wirken, wie Ceriani betonte, strukturell weiter und verschränken sich mit anderen Diskriminierungsformen. Dieser intersektionaler Ansatz sei daher unverzichtbar – nicht nur wegen der Vielfalt der Betroffenengruppen (Frauen, Kinder, LGBTI*-Personen, Menschen mit Behinderung, indigene Gruppen, rassifizierte Minderheiten, Staatenlose), sondern weil die Erfahrungen von Xenophobie durch mehrere Faktoren gleichzeitig geprägt sind.
Ceriani widmete sich in der Lecture auch der Rolle von Medien, sozialen Netzwerken und digitalen Plattformen. Er hob hervor, wie stark dort kursierende Narrative die politische Realität verzerren und wie wichtig deshalb evidenzbasierte Kommunikation sei. Die Richtlinien fordern hier klare Regeln, die Prävention, Monitoring und Sanktionierung von Hassrede ermöglichen – inklusive der Verantwortung für Plattformbetreiber.
Im Migrationskontext kritisierte Ceriani die Verengung auf »Irregularität« als Risikomarker, da sie künstlich Verwundbarkeit erzeuge. Die Richtlinien bekräftigten das Recht, ein Land zu verlassen, den Zugang zum Asylverfahren sowie die Notwendigkeit fairer Regularisierungsoptionen. Politische Teilhabe wie das Wahlrecht sei ebenfalls zentral, da Migrant*innen sonst zu Objekten statt Subjekten politischer Debatten würden.
Pablo Ceriani Cernadas ist Jurist, Menschenrechtsexperte und unabhängiger UN-Experte im Ausschuss zum Schutz der Rechte von Migranten (CMW). Als Co-Koordinator der CERD-CMW-Arbeitsgruppe leitete er die Entwicklung der neuen UN-Richtlinien. Mit über zwei Jahrzehnten Erfahrung in Forschung, Politikberatung und internationaler Menschenrechtsarbeit gilt er als einer der führenden Experten für Migration und Anti-Diskriminierung.
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- Dr. Christine Kramer


