Associate Fellow 2024-2025

Kerstin Stakemeiers Arbeit als Kunsttheoretikerin und Kuratorin dreht sich um die fortwährende Befragung von Kunst als Institution und Disziplin, die sich immer wieder neu gegen die eigenen Öffnungen verschließt. Sie untersucht Kunstproduktion und Kunstgeschichte daher nicht immanent, als sei der Gegenstand gegeben, sondern rekonstruiert sie aus der Perspektive der politischen Ökonomie und Gesellschaftstheorie. Dies hat nicht zuletzt auch Folgen für eine andere Praxis von Autor*innenschaft. Ihre Arbeit ist überwiegend gekennzeichnet von Kollaborationen: gemeinsam mit Anselm Franke konzipierte sie die Ausstellung Illiberal Arts (Haus der Kulturen der Welt, 2021) und Illiberal Lives (Stiftung Moderne Kunst Ludwig Forum Aachen, 2023), mit Bill Dietz verfasste sie Universal Receptivity (2021), mit M. Ammer, E. Birkenstock, J. Nachtigall und S. Weber die Ausstellungsserie und Zeitschrift Class Languages (2017/18), mit Marina Vishmidt schrieb sie Reproducing Autonomy (Mute, 2016) und 2012 publizierte sie zusammen mit Avigail Moss Painting–The Implicit Horizon. Im Winter 2024 beginnt ein monatlich erscheinender Substack mit dem Titel Obscene Sense/s. Mit Marina Vishmidt arbeitete sie an einem zweiten Buch, mit dem aktuellen Titel Marina’s Cues: Infrastructures of Disalienation, das 2025 in Zusammenarbeit mit Danny Hayward und einer Gruppe ihrer Freund*innen erscheinen wird. Im März 2025 richtet sie mit Devin Fore die Konferenz „Fantasies of the People. Historically, there were never any others“ an der Princeton University aus – die erste Veranstaltung einer Reihe, die sich dem gemeinschaftlichen Kern von Fantasie widmet. In ihrem Projekt am LIAS setzt sie gemeinsam mit Danny Hayward die Arbeit von und mit Marina Vishmidt fort, die 2024 verstorben ist. In ihrem Projekt hinterfragen sie die Kategorie der „künstlerischen Produktion“– eine zentrale Kategorie der Kunst(geschichte), die dem Imperativ der Produktivität unterliegt. 

Projektskizze

Infrastructures of Disalienation

Reproducing Autonomy: Work, Money Crisis and Contemporary Art ist ein Buch, das Marina Vishmidt und ich 2016 gemeinsam herausbrachten. Zu dieser Zeit setzten wir uns beide damit auseinander, wie die Social Reproduction Theory (SRT) – also das Insistieren auf einem Überdenken der Begrifflichkeiten systemischer Reproduktion aus ihren gelebten menschlichen Formen der Pflege, der Fürsorge und der unmöglichen Subsistenz – die Grundlage für ein materialistisches, ein noch materialistischeres Verständnis von Kunst sein könnte. Seitdem haben wir uns immer wieder vorgenommen, ein zweites Buch zu schreiben, da wir den Eindruck hatten, Reproducing Autonomy habe zu kurz gegriffen, vor allem in Bezug auf die Frage wie die SRT selbst die Rollen, die durch die Pflege des Systems entstanden sind, fortwährend erneuert und wiederherstellt. Unser Schlagwort für diese Bestrebungen, zu denen wir im Laufe der Jahre immer wieder zurückkehrten, lautete „Deproduction“.

Marina Vishmidt fuhr fort, die kategorische Notwendigkeit der Abkehr von der Systemimmanenz ganz grundlegend neu zu denken, und zwar im Rahmen dessen, was sie als Infrastructural Critique bezeichnete. Die Infrastructural Aesthetics, die sie seit 2016 entwickelte, bietet einen dringend notwendigen Schritt hinaus aus dem abgeschlossenen Arbeitsfeld der Kunst, und nimmt Kunst stattdessen durch die allgemeinen sozialen und wirtschaftlichen Standards wahr, die diese durchdringen und die in sie münden. Auch ich selbst positionierte meine Arbeit weiterhin gegen die Verengung der Körper auf ihre Funktionen in der systemischen Reproduktion und legte den Fokus dabei auf die Degenerierung der modernen mœurs. Zunächst verfolgte ich in Entgrenzter Formalismus (b_books 2017), was innerhalb und außerhalb der Kunst „unsittlich“ ist, und seitdem erstreckt sich mein Interesse zunehmend auf die Infragestellung moderner Moralitäten, ausgehend nicht zuletzt von Frantz Fanons Begriff der Ententfremdung (disalienation), den ich als Abkehr von den mœurs, der Verstaatlichung weißer Empfindsamkeit vorschlage.

Marina Vishmidt verstarb am 26. April 2024 in Wien. Ans LIAS waren Marina und ich eingeladen, um unser zweites Buch, Infrastructures of Disalienation, fertigzustellen, und auf ihr Drängen hin werden Danny Hayward und ich dies nun übernehmen. Im Januar 2025 werden wir am LIAS einen öffentlichen Workshop abhalten, in dem „Marina’s Cues“ diskutiert werden. Dazu laden wir eine Gruppe von dreizehn Beitragenden ein, ihre eigenen Diskurse ausgehend von Marinas Arbeit, neu zu beginnen und so ihre Infrastructural Aesthetics weiterzuführen. Die Publikation Marina’s Cues: Infrastructures of Disalienation wird neben von Vishmidt noch für diese ausgesuchten Essays eine erweiterte Dokumentation der Workshopbeiträge, sowie eine ausführliche Einleitung von Danny Hayward und Kerstin Stakemeier enthalten.

Ausbildung

2010 PhD Kunstgeschichte, University College London
2000 MA Politikwissenschaften, Freie Universität Berlin

Jüngste wissenschaftliche Position

Professorin für Kunsttheorie und –vermittlung, Akademie der Künste Nürnberg

Jüngste Veröffentlichungen

„Criticism’s Ends“, (Hrsg.) Mousse, vier Ausgaben zur Problematisierung der (Kunst)kritik. Mailand, 2023. www.moussemagazine.it/magazine/im-with-fantasy-kerstin-stakemeier-2023. 
Mit Bill Dietz, „Universal Receptivity“, In: Akademie der Bildenden Künste Nürnberg (Hrsg.), 2021. Online und Druckversion, arttheory-collaborations.adbk-nuernberg.de/Universal-Receptivity.
mit Anselm Franke (Hrsg.), „Illiberal Arts“, Ausstellungskatalog Haus der Kulturen der Welt, Berlin: b_books, 2021. 
Entgrenzter Formalismus. Verfahren einer antimodernen Ästhetik, Berlin: b_books, 2017.