Philosoph Christoph Brunner gewinnt John-G.-Diefenbaker-Award

07.10.2019 Chris­toph Brun­ner, Ju­ni­or­pro­fes­sor für Kul­tur­theo­rie, wur­de der re­nom­mier­te John G. Die­fen­baker Award des Ca­na­da Coun­cil for the Arts ver­lie­hen. Darüber rea­li­siert der jun­ge Wis­sen­schaft­ler ei­nen einjähri­gen For­schungs­auf­ent­halt an der McGill-Uni­ver­si­ty in Ka­na­da.

Die McGill-Uni­ver­sität ist, zu­sam­men mit der Con­cor­dia Uni­ver­si­ty, an der Brun­ner pro­mo­vier­te, eine der bei­den eng­lisch­spra­chi­gen Uni­ver­sitäten im an­sons­ten französisch­spra­chi­gen Mon­tre­al. Sie gilt als das Ivy Le­ague-Äqui­va­lent Ka­na­das. Um für den mit 95.000 Dol­lar do­tier­ten John Die­fen­baker-Preis in Erwägung ge­zo­gen zu wer­den, muss man von ei­nem ka­na­di­schen Dean vor­ge­schla­gen wer­den. „Bis­her be­ka­men den Award eher nur so 50-aufwärts Pro­fes­sor*in­nen. Ich war ziem­lich ver­blüfft, als ich ei­nen An­ruf aus Ka­na­da be­kam und hörte, dass man mich no­mi­nie­ren möchte“, freut er sich. Dort wird er an sei­nem For­schungs­pro­jekt „Ac­tivist Sen­se. Towards a Po­li­ti­cal Aes­t­he­tics of Ex­pe­ri­ence“ ar­bei­ten. „Ich nut­ze dort die Möglich­keit, mei­ne Ar­beit in ver­schie­de­nen Kon­tex­ten vor­zu­stel­len, vor­an­zu­trei­ben, und die Fra­ge nach der Ak­ti­vie­rung des Sinn­li­chen und des Sinn­haf­ten im Ak­ti­vis­mus zu er­for­schen. Mon­tre­al ist ein idea­ler Ort dafür, da es eine sehr lan­ge His­to­rie hat, was die­se The­men be­trifft. Zu­dem ar­bei­tet man dort sehr viel­schich­tig, so­wohl mit Küns­ten und Me­di­en als auch aka­de­misch.“

In sei­nem For­schungs­vor­ha­ben in Ka­na­da wird Chris­toph Brun­ner den Zu­sam­men­hang zwi­schen Po­li­tik und Ästhe­tik un­ter­su­chen. Der Ti­tel des Vor­ha­bens, „Ac­tivist Sen­se“, ver­weist auf Brun­ners For­schung zu Po­li­ti­ken des Sinn­li­chen und de­ren me­di­al er­zeug­te Be­deu­tungs­zu­sam­menhänge in so­zia­len Be­we­gun­gen. In An­leh­nung an Wal­ter Ben­ja­min grenzt er sich von der Ästhe­ti­sie­rung des Po­li­ti­schen ab. Er un­ter­sucht also nicht, wie Po­li­tik ästhe­tisch auf­ge­la­den wird (etwa um von be­stimm­ten In­hal­ten ab­zu­len­ken), wie das im Fa­schis­mus und an­de­ren to­ta­litären Re­gi­men der Fall war und ist. Brun­ner schlägt statt­des­sen vor, „das Ästhe­ti­sche als et­was primär Po­li­ti­sches zu be­grei­fen“, in dem Sin­ne, dass po­li­ti­sche Dis­kus­sio­nen und Kämpfe be­reits im Sinn­li­chen und der Emp­fin­dung ih­ren Aus­gang neh­men, be­vor sie ra­tio­na­li­siert wer­den. Dafür nutzt er den Be­griff des Af­fekts, den der jüdisch-nie­derländi­sche Ba­ruch de Spi­no­za als Ge­gen­kon­zept zur ein­sei­ti­gen Be­to­nung der kar­te­sia­ni­schen Ra­tio in der Phi­lo­so­phie ein­geführt hat.

Sei­ne Gast­pro­fes­sur um­fasst ne­ben der Durchführung von Work­shops und Lehr­for­ma­ten so­wie der Zu­sam­men­ar­beit mit der Kul­tur­wis­sen­schaft­le­rin Prof. Dr. Al­an­na Thain (sein ‚host‘) zwei For­schungs­auf­ent­hal­te: Ei­nen an der New School in New York, den an­de­ren am Emi­ly Carr Col­le­ge of Art & De­sign in Van­cou­ver. „Ziel ist natürlich eben­so das ei­ge­ne Netz­werk aus­zu­bau­en, wie auch ei­nen Stu­die­ren­den­aus­tausch zu rea­li­sie­ren“, sagt er, „ich be­kom­me sehr vie­le An­fra­gen von hie­si­gen Stu­die­ren­den, die ger­ne nach Ka­na­da und ins­be­son­de­re nach Québec ge­hen würden. Ein Knack­punkt sind die Stu­di­en­gebühren, die von der ka­na­di­schen Uni­ver­sität für Aus­tausch­stu­die­ren­de er­las­sen wer­den müssen, da wir in Deutsch­land so et­was nicht ken­nen. Es gilt also, hoch­wer­ti­ge Ko­ope­ra­tio­nen und Pro­jek­te zu ent­wi­ckeln, die sich für bei­de Sei­ten loh­nen; ich glau­be, dass sehr viel mach­bar ist.“

Brun­ner freut sich auf den Aus­tausch mit den ka­na­di­schen Kol­le­gin*in­nen und die dor­ti­ge, von der eu­ropäischen durch­aus ver­schie­de­ne, Wis­sen­schafts­kul­tur: „Es ist eine be­stimm­te und nicht an Dis­zi­pli­nen ge­bun­de­ne Of­fen­heit, wie ich sie be­reits in mei­nen Mon­trea­ler Jah­ren ken­nen­lern­te, die zusätz­lich Raum, für das ‚Ein­an­der zuhören‘, für ei­nen zu­ge­wand­ten und in­ten­si­ven Aus­tausch bie­tet. Die­se Er­fah­run­gen er­mu­ti­gen mich im­mer wie­der aufs Neue krea­ti­ve For­ma­te des mit­ein­an­der Leh­rens und Ler­nens, wie z.B. das Ar­chi­pel­agoLab vor­an­zu­trei­ben. Zu­dem gibt mir der Auf­ent­halt die Ge­le­gen­heit, neue Im­pul­se und Fra­ge­stel­lun­gen auf­zu­grei­fen und ein­zu­bin­den. So sind u.a. Dis­kur­se zur Be­wusst­ma­chung ko­lo­nia­ler Be­sie­de­lun­gen vor­mals in­di­ge­ner Ter­ri­to­ri­en ein zen­tra­ler Be­stand­teil ge­genwärti­ger aka­de­mi­scher und nicht-aka­de­mi­scher De­bat­ten in Ka­na­da.“

Prof. Dr. Christoph Brunner ©Leuphana/Patrizia Jäger
Prof. Dr. Christoph Brunner lei­tet ein Teil­pro­jekt der DFG For­scher­grup­pe „Mediale Teilhabe " und ist ver­ant­wort­li­cher An­trag­stel­ler des DFG-Netz­werks „Anderes Wissen in künstlerischer Forschung und ästhetischer Theorie “. Er ist Di­rek­tor des Instituts für Philosophie und Kunstwissenschaft so­wie Gründer des Archipelago Labs . Zu­letzt er­schien von ihm „Affective Media Practices during the G20 Summit in Hamburg “.