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„Aber muss man dafür ein Mensch sein?“ Tim Dornis zum Schutz künstlicher Kreativität

28.10.2019 Das Gemälde „Por­trait d'Ed­mond de Bel­amy“ wur­de von ei­ner künst­li­chen In­tel­li­genz (KI) er­stellt. Der zu­grun­de­lie­gen­de Al­go­rith­mus wur­de von ei­ner Grup­pe von Künst­lern und Pro­gram­mie­rern, dem Kol­lek­tiv „Ob­vious“, pro­gram­miert. Im rech­ten un­te­ren Bild­rand ist eine Zei­le dar­aus als „Si­gna­tur“ no­tiert. Die Ar­beit er­ziel­te bei ei­ner Ver­stei­ge­rung im Auk­ti­ons­haus Chris­tie’s in Lon­don vor kur­zem über 400.000 Dol­lar.

Künst­li­che In­tel­li­gen­zen und Al­go­rith­men fal­len zu­neh­mend da­durch auf, dass sie „künst­le­ri­sche“ Wer­ke schaf­fen. Breit be­spro­chen wur­de zu­letzt zum Bei­spiel die Fer­tig­stel­lung von Franz Schu­berts Sin­fo­nie in h-Moll (der „Un­voll­ende­ten“) durch ei­nen Al­go­rith­mus von Hua­wei. Wirt­schaft­lich be­deu­tend sind ne­ben Kunst- und Mu­sik-Al­go­rith­men aber vor al­lem KIs, die Tex­te schrei­ben. Letz­te­res ist in den USA, etwa im Be­reich der Sport-, Wet­ter- und Börsen­be­richt­er­stat­tung, be­reits weit ver­brei­tet. Trotz der zu­neh­men­den Be­deu­tung die­ser Art von künst­li­cher Krea­ti­vität ist die Fra­ge der Rech­te­inha­ber­schaft an den Pro­duk­ten kei­nes­wegs geklärt.
Wenn eine Schrift­stel­le­rin ei­nen Ro­man schreibt, dann lie­gen die Rech­te bei der Schrift­stel­le­rin. Wenn ein Kind ein Bild malt, dann lie­gen die Rech­te beim Kind, denn, wie Rechts­wis­sen­schaft­ler Tim Dor­nis erklärt, die Ent­ste­hung von Schutz­rech­ten hängt nicht von der Geschäftsfähig­keit des Er­stel­lers ab – wohl aber von der Ei­gen­schaft als „Mensch“. Wenn dar­um eine künst­li­che In­tel­li­genz et­was er­schafft, dann ist das Pro­dukt ge­mein­frei und kann grundsätz­lich von je­der­mann frei be­nutzt und ver­wer­tet wer­den. Im Mo­ment fehlt es je­den­falls an ge­setz­li­chen Re­geln zum Schutz für Wer­ke künst­li­cher In­tel­li­genz.
Dies ist, wie Dor­nis erklärt, durch­aus pro­ble­ma­tisch. „An­ge­sichts des ste­ti­gen An­wach­sens der ‚In­tel­li­genz‘ und ‚Pro­duk­ti­vität‘ von Ro­bo­tern so­wie dem enor­men öko­no­mi­schen Po­ten­ti­al der­ar­ti­ger KI birgt das Feh­len ei­ner kla­ren Re­ge­lung er­heb­li­ches Kon­flikt­po­ten­ti­al“, sagt er. Dor­nis un­ter­sucht ak­tu­ell den Um­gang mit Pro­duk­ten, die von KI au­to­nom ge­schaf­fen wur­den (also „emer­gent“ sind) – das sind Wer­ke, bei de­nen das Er­geb­nis der Ar­beit des Al­go­rith­mus nicht von An­fang an vor­her­seh­bar ist. Das jüngs­te Er­geb­nis sei­ner Un­ter­su­chung er­scheint demnächst in ei­ner der welt­weit führen­den Zeit­schrif­ten zum Tech­no­lo­gie­recht, dem „Yale Jour­nal of Law and Tech­no­lo­gy“.

Wie könnte eine Lösung aus­se­hen? Dor­nis plädiert er für ein Um­den­ken. Zum jet­zi­gen Zeit­punkt kann nur geschützt wer­den, was aus ei­nem mensch­lich-krea­ti­ven Pro­zess her­aus ent­stan­den ist. „Das Ur­he­ber­recht geht hier­bei da­von aus, dass es eine ge­nu­in mensch­li­che Ei­gen­schaft ist, krea­tiv zu sein. Mehr noch: Dass Krea­ti­vität als sol­che nur mensch­lich sein kann“, sagt Dor­nis. Er zeigt, wie dies auf die grund­le­gen­de­re An­nah­me zurückführ­bar ist, dass nur Men­schen in­tel­li­gent sein können. „Wor­an merkt man, dass je­mand oder et­was in­tel­li­gent ist?“, fragt er. Um das zu klären, wird im­mer wie­der auf zwei klas­si­sche Kon­zep­te ver­wie­sen: den „In­ter­view-Test“ von Alan Tu­ring und das „Chi­ne­si­sche Zim­mer“ von John Se­ar­le. Beim Tu­ring-Test kom­mu­ni­ziert ein Mensch mit ei­nem Ge­genüber, das ihm aber ver­bor­gen bleibt, und muss an­sch­ließend einschätzen, ob er mit ei­nem Men­schen oder ei­nem Ro­bo­ter ge­spro­chen hat. Der Tu­ring-Test gilt für eine KI dann als be­stan­den, wenn sich der mensch­li­che Ver­suchs­teil­neh­mer hat täuschen las­sen. Bis­lang wa­ren alle Ver­su­che er­folg­los. Dem Ge­dan­ken­ex­pe­ri­ment „Chi­ne­si­sches Zim­mer“ des Phi­lo­so­phen John Se­ar­le liegt die Prämis­se zu­grun­de, dass für In­tel­li­genz stets so­ge­nann­te In­ten­tio­na­lität not­wen­dig ist. Eine Hand­lung ist dem­nach nur dann in­tel­li­gent, wenn sie be­wusst und ge­zielt er­folgt. „Mit Blick auf das Er­geb­nis ist kei­nes der Kon­zep­te ge­eig­net, emer­gen­te Wer­ke als nicht krea­tiv ein­zu­ord­nen“, poin­tiert Dor­nis, „denn au­to­no­me künst­lich In­tel­li­gen­zen sind je­den­falls de facto krea­tiv tätig, die Er­geb­nis­se sind von mensch­li­chen Wer­ken meist nicht zu un­ter­schei­den.“
Die Un­si­cher­heit bei der Be­ur­tei­lung spie­gelt sich in der Rechts­an­wen­dung. „Die Ge­rich­te ent­schei­den bei Fra­gen ei­ner Aus­deh­nung be­ste­hen­der Schutz­me­cha­nis­men ganz grundsätz­lich sehr vor­sich­tig, und da­mit in der Re­gel zu­guns­ten der Ge­mein­frei­heit. Das wäre wohl auch zu er­war­ten, soll­te Ed­mond de Bel­amy ohne Er­laub­nis der Pro­gram­mie­rer des krea­ti­ven Al­go­rith­mus ver­wer­tet wer­den.“ Wäre man hin­ge­gen be­reit, Krea­ti­vität nicht mehr aus­sch­ließlich an den Men­schen zu knüpfen, wäre der Weg frei, das Recht an­zu­pas­sen. Je­den­falls ei­nen mi­ni­ma­len Schutz für emer­gen­te Wer­ke – etwa zu­guns­ten der Pro­gram­mie­rer oder Nut­zer der KI – wäre zu for­dern. „Das Eu­ropäische Par­la­ment hat­te die­se Fälle wohl auch im Blick, als es die Kom­mis­si­on be­reits vor ei­ni­ger Zeit auf­for­der­te, eine ge­setz­li­che Re­ge­lung zum Schutz von au­to­no­men Com­pu­ter- und Ro­bot­er­wer­ken zu ent­wer­fen. Bis­lang ist al­ler­dings nichts wei­ter ge­sche­hen.“

Vor dem Hin­ter­grund der Dis­kus­si­on um die zu­neh­men­de Be­deu­tung künst­li­cher In­tel­li­genz und den glo­ba­len Wett­be­werb um Fort­schrit­te in der Di­gi­talöko­no­mie ist die­se Untätig­keit des Ge­setz­ge­bers be­denk­lich. Eine Re­ge­lung er­scheint drin­gend an­ge­zeigt; und auch die Ge­rich­te benöti­gen Richt­li­ni­en zum Um­gang mit Fällen die­ser Art – ins­be­son­de­re so­lan­ge es an ei­ner ge­setz­li­chen Re­ge­lung fehlt. „In­so­weit bleibt für die Rechts­wis­sen­schaft noch viel zu tun. Wir be­fin­den uns wohl erst am An­fang ei­ner alle Rechts­ge­bie­te er­fas­sen­den De­bat­te,“ erklärt Dor­nis. Vorträge zu die­sem The­ma sol­len im neu­en Jahr un­ter an­de­rem an den Uni­ver­sitäten Ve­ro­na und Ox­ford fol­gen.

"Portrait of Edmond De Belamy" des Künstlerkollektivs Obvious. ©Copyright (c) 1998 Hewlett-Packard Company
"Portrait of Edmond De Belamy" des Künstlerkollektivs Obvious.
Prof. Dr. Tim Dornis ©Anna Stojan
Prof. Dr. Tim Dornis ist Uni­ver­sitätspro­fes­sor für Bürger­li­ches Recht, In­ter­na­tio­na­les Pri­vat- und Wirt­schafts­recht so­wie Rechts­ver­glei­chung an der Leuphana Law School und Global Professor of Law der NYU School of Law (New York).