Industrie für Grüne Pharmazie öffnen

05.10.2020 Die biologische Abbaubarkeit von Medikamenten galt bisher als Umweltthema. Jetzt ist die Leuphana gemeinsam mit führenden Pharmaunternehmen Partner beim EU-Projekt „Priorisation and Risk Evaluation of Medicines in the Environment“ (PREMIER). „Damit hat Benign by Design endlich den Weg in die Politik und die Industrie gefunden“, sagt Professor Dr. Klaus Kümmerer vom Institut für Nachhaltige Chemie.

Prof. Dr. Klaus Kümmerer hält die Professur für Nachhaltige Chemie und Stoffliche Ressourcen an der Leuphana inne. ©Leuphana / Patrizia Jäger
Prof. Dr. Klaus Kümmerer hält die Professur für Nachhaltige Chemie und Stoffliche Ressourcen an der Leuphana inne.

Laut Umweltbundesamt sind in Deutschland etwa 2500 bis 3000 pharmazeutische Wirkstoffe zugelassen. Viele gelangen nach ihrer Einnahme in die Umwelt – sei es durch unsachgemäße Entsorgung oder unvollständige Metabolisierung im Körper. Mögliche Umweltrisiken sind nur für einen geringen Teil der Wirkstoffe bekannt. Zwar müssen seit 2006 Umwelt-Verträglichkeitsprüfungen vorgenommen werden, doch für Wirkstoffe, die vor dieser Zeit zugelassen worden sind, und das ist die große Mehrheit, fehlen oft Kenntnisse. Im Rahmen des internationalen Forschungsprojekts PREMIER sollen unter anderem Umweltrisiken älterer Wirkstoffe untersucht werden, aber auch Maßnahmen, um künftig den Eintrag von Arzneimitteln in die Umwelt zu reduzieren. PREMIER wird organisiert von der Innovative Medicines Initiative (IMI). Es handelt sich dabei um eine öffentlich-private Partnerschaft der EU zur Finanzierung von Gesundheitsforschung. PREMIER-Partner sind neben der Leuphana unter anderem forschende Pharma-Unternehmen wie Merck, Bayer, Roche, Novartis, GSK, oder Pfizer. Außerdem die Europäischen Arzneimittelagentur, Forschungsinstitute wie das Niederländische Nationale Institut für öffentliche Gesundheit und Umwelt sowie die Universitäten Exeter, York, Göteborg und Helsinki. Das britisch-schwedische Pharmaunternehmen AstraZeneca leitet das 6-Jahres-Projekt gemeinsam mit der Radboud Universität Nijmwegen. 

Klaus Kümmerer und seine Mitarbeiter*innen möchten unter anderen mit wissenschaftlichen Papieren und Workshops mit allen Stakeholdern ein gemeinsames Verständnis für Grüne Pharmazie entwickeln und dafür mehr Akzeptanz schaffen. „Es gibt oft Blockaden. Pharmahersteller haben manchmal die Sorge, ein Medikament wäre nicht mehr wirksam, wenn es in der Umwelt biologisch abbaubar ist. Für uns heißt Grüne Pharmazie aber: Das Medikament ist im Körper des Patienten stabil und zerfällt erst in der Umwelt“, erklärt der Chemiker. Im Rahmen des Forschungsprojekts wünschen er und Projektmitarbeiter Dr.-Ing. Oliver Olsson sich einen intensiven Austausch mit Vertreter*innen der Pharmaindustrie und anderen Beteiligten wie Patientenvertretungen und Umwelt- und Wasserverbänden. „Wir möchten wissen, welche Produktionsansätze, gesamtgesellschaftliche Argumente und Akzeptanz es in der Gegenwart gibt, dann gemeinsam Potentiale identifizieren und die Methoden schließlich in der Praxis umsetzen. Wir sind an den Stoffen der Zukunft interessiert.“ Bisher habe Grüne Pharmazie als Umweltthema gegolten: „Jetzt sind wir damit endlich in der Industrie“, sagt Kümmerer. Mit der Entwicklung zweier umweltfreundlicher Antibiotika und eines Beta-Blockers habe seine Arbeitsgruppe gezeigt, dass Grüne Pharmazie möglich ist –und zwar bereits bei der Entwicklung des Wirkstoffes. 

Das Projekt wird mit insgesamt etwa 5 Millionen Euro von der EU gefördert, die Industrie bringt in ähnlichem Umfang Eigenmittel ein. Die Leuphana erhält 200 000 Euro aus dem Budgetanteil der EU.