Wie verändern Geflüchtete die Kultur von Gesellschaften?
04.02.2025 Leuphana-Professorin an Kooperationsprojekt zu Künstler*innen im Exil beteiligt

Kaum nach ihrem neuen Forschungsprojekt gefragt, öffnet Prof. Dr. Jordan Troeller ein Buch und zeigt auf Fotos: Zu sehen ist die Inneneinrichtung eines Hotels, die Anni und Josef Albers in den USA entworfen haben. Karg und funktional wirkt diese einerseits; andererseits wie eine Zusammenstellung von Interieur verschiedener Epochen. Ist die Emigration des Ehepaares in die USA im Jahr 1933 eine Ursache für diesen besonderen Stil?
Auch solchen Fragen geht Jordan Troeller in ihrem Teil des Forschungsprojekts „TransExil. Verhandlungen von Ästhetik und Gemeinschaft im postrevolutionären Mexiko“ nach. Es untersucht, wie die Flucht in ein fremdes Land auf Künstler*innen und ihre Arbeit wirkt – und auch andersherum: Wie beeinflusst die Arbeit von Exil-Künstler*innen die Kultur des Landes, in dem sie Zuflucht gefunden haben?
Auf die Idee zum Projekt gekommen sind die Initiator*innen dieses Kooperationsprojekts durch aktuelle gesellschaftliche Diskussionen: Wie verändert sich die Kultur von Gesellschaften, die Geflüchtete aufnehmen? Und wie beeinflusst das Exil die Geflüchteten? „Wir gucken quasi mit dem Blick von heute auf Ergebnisse aus der Vergangenheit“, erläutert Jordan Troeller, die seit April 2023 Junior-Professorin für Kunstwissenschaft/ Ästhetische Praxis an der Leuphana Universität Lüneburg ist.
Sowohl Anni Albers (1899-1994) als auch ihr Mann Josef (1988-1976) haben am Bauhaus studiert und später gearbeitet. Sie emigrierten 1933 in die USA, nachdem die Nationalsozialisten die Leitung des Bauhauses gezwungen hatten, die Kunstschule an ihrem dritten Standort in Berlin zu schließen. War das Ehepaar zu dem Zeitpunkt bereits ins Exil gezwungen? Aus der Perspektive von heute sicherlich. Anni Albers war Tochter einer Jüdin, ein Teil von Josef Albers´ Werk wurde 1937 in der Aktion „Entartete Kunst“ von den Nationalsozialisten vernichtet. War ihre Lage also 1933 bereits so dramatisch, dass sie flüchten mussten? „Unter welchen Bedingungen ist denn ein Mensch wirklich gezwungen, ein Land zu verlassen? Und wie definieren wir Exil?“, benennt Jordan Troller weitere Aspekte, zu denen sie forschen wird.
Sie erarbeitet dies als Teil des „TransExil“-Projektes, das Fragen von Flucht und ihrer gesellschaftlichen Wirkung nicht nur hinsichtlich unterschiedlicher Kunstformen – wie bildende Kunst und Literatur – sondern auch aus dem Fokus verschiedener Fachgebiete betrachtet. Dazu zählen Sprachwissenschaft, Romanistik, Germanistik, Ethnologie und eben auch Kunstgeschichte, wie bei Jordan Troeller. Zudem vereint das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft über vier Jahre geförderte Projekt Forschende verschiedener Universitäten in Mexiko und Deutschland, darunter u.a. die Leibniz-Universität Hannover und die Universität Hamburg. Die Förderung ermöglicht Auslandsreisen, ein Symposium, Workshops und eine neue Doktorand*innenstelle an der Leuphana.
„Viele Künstler*innen sind nach Mexiko in den 30er und 40er Jahren ausgewandert“, erläutert Troeller den Fokus des Projekts auf das Land. Dort bildete sich eine Szene von Exil-Künstler*innen, die sich stark austauschte: „Das Projekt erforscht den Begriff von Gemeinschaft. Das Exil war wichtig für die Kunst in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg. Damals ist in Deutschland viel zerbrochen“, sagt die Kunstwissenschaftlerin und betont hinsichtlich des Einflusses auf die künstlerische Arbeit: „Wir dürfen dieses Thema nicht romantisieren, auch wenn in der Vergangenheit sehr viel Positives aus der Exil-Kunst erwachsen ist.“
Im Mexiko der 1920er- bis 1940er-Jahre trafen sich Exilant*innen aus dem vom Faschismus beherrschten Europa. Hinzu kamen Exil-Künstler*innen aus Lateinamerika und der Karibik, sowie Akteur*innen der innermexikanischen Reformbestrebungen. Die Forschungsgruppe beleuchtet deren Vernetzungen mit lokalen Künstler*innen, Schriftsteller*innen und Intellektuellen in einem größeren Zusammenhang.
Im Zentrum steht die Annahme, dass transnationale Migration zu neuen Austauschbeziehungen auch zwischen verschiedenen Exilant*innengruppen führte und dies auf die Kulturproduktion ausstrahlte. Damit bricht „TransExil“ den üblichen, national orientierten Ansatz der Exilforschung auf und fokussiert erstmals eigens transkulturelle Aspekte sowie dynamische Veränderungen der Exilsituation.
„Die Leiterinnen des Projektes, Anja Bandau und Doerte Bischoff, haben mich gefragt, ob ich dabei sein möchte“, erläutert Jordan Troeller ihren Kontakt zum Forschungsprojekt, in das sie ihre bisherigen Forschungen zum Bauhaus einbringt. „Das Bauhaus wurde in Deutschland gegründet. Damals hatte Deutschland eine riesige Offenheit für Neuheiten. Das wurde von den Nationalsozialisten in den Boden gestampft, die Neugier wurde verboten“, erläutert sie. Das Wissen über die Arbeit des Bauhauses und die damalige Offenheit sollten vor allem für die Kunstvermittlung als wichtige Tradition anerkannt werden, betont Troeller.
Die Professorin freut sich auf den Austausch mit Vertreter*innen anderer Fachrichtungen innerhalb des Projekts. „Es macht zum Beispiel total Spaß, mit jemandem aus der Alt-Amerikanistik zu arbeiten. Dieses Fach haben wir an der Leuphana nicht“, sagt Jordan Troeller in Bezug auf die Co-Leiterin des Teilprojektes, Kaoline Noack von der Universität Bonn. Auch deshalb möchte sie die Früchte aus dem TransExil-Kooperationsprojekt in ihre Lehre an der Leuphana und in weitere Forschungsprojekte einbringen.