WirGarten – So sieht solidarischer Gemüseanbau in Lüneburg aus!

Ein Feature von Jon Nitz

Seit 2017 baut die solidarische landwirtschaftliche Genossenschaft WirGarten in Lüneburg Gemüse an. Der Verein sieht die ökologischen Herausforderungen der Zukunft als ein gemeinschaftliches Problem und bietet einen gemeinschaftlichen Lösungsversuch.

Eine Pappkiste mit Kartoffeln, Zwiebeln, Rüben und Kohl ©Jon Nitz
Mit ihrem Ernteanteil kommt Sandra gut die Woche aus.

In einer Studenten-Wohnung im Westen von Lüneburg packt Sandra Strassel ihre Sachen für ihre Ballettstunde. Dann heißt es Mütze auf, Mantel an und ja die Stoffbeutel nicht vergessen! Denn heute geht es für sie nach dem Ballett auf dem Uni-Campus direkt zur Abholstation, wo sie ihren Ernteanteil abholt. Denn Sandra ist Mitglied bei WirGarten Lüneburg.

Die 26-jährige Studentin holt ihr Gemüse beim Uni-Campus ab. Dort gibt es eine Abholstation von WirGarten Lüneburg e.V., der solidarischen, landwirtschaftlichen Genossenschaft. Die Kisten werden jeden Mittwoch mit frischem Gemüse gefüllt, das von den Feldern und Gewächshäusern bei Ochtmissen, im Norden von Lüneburg, stammt. Damit ist die Campus-Station eine von insgesamt zehn Abholstation im Raum Lüneburg. Entsprechend dem Ernteanteil, den man bezahlt, soll man dann auch aus den Kisten sein Gemüse nehmen. Es läuft also komplett auf Vertrauen und Solidaritätsbereitschaft.

Sandra ist seit zwei Jahren Mitglied der Genossenschaft. Sie bezahlt monatlich für den kleinsten Ernteanteil der Größe S 45 Euro für circa 2 Kilogramm Gemüse. Der größte Ernteanteil ist XL, also circa 5 Kilogramm, für 96 bis 129 Euro im Monat. Dazu gehört eigentlich auch ein Genossenschaftsanteil, der aber für Sandra als Studentin wegfällt. Damit hat sie eine der 325 Plätze für Ernteanteile, hat allerdings kein Stimmrecht bei den Abstimmungen der bisher 550 Mitglieder.
 

Ökologisch, solidarisch und bio

WirGarten ist eine Genossenschaft, die seit 2017 existiert. In Lüneburg hat sie ihre erste Stelle aufgebaut. Matti Pannenbäcker ist Initiator und Mitbegründer der Genossenschaft. In einem Interview mit dem Online-Magazin STURMundDRANG erklärte Matti, was WirGarten bewirken soll: "Wenn es um unsere Lebensmittelversorgung und unsere Lebensgrundlagen wie Boden, Wasser und das Klima geht, dann sind wir alle gefragt: Als Bürger:innen und Konsument:innen können wir aktiv Verantwortung in der Landwirtschaft übernehmen, indem wir uns finanziell beteiligen und so Risiken mittragen."

WirGarten setzt sich stark für eine umweltschonende landwirtschaftliche Methode ein, um ihre Lebensmittel zu erzeugen. Auf ihrer Website lüneburg.wirgarten.com erklärt der Verein seine Anbauprinzipien. Demnach wird auf organischen Anbau mit hoher Vielfalt gesetzt. Der Acker selbst wird minimal bearbeitet und ganzjährig bedeckt. Dazu dienen Holz- und Blühstreifen, die unter anderem dafür sorgen, dass der Boden eine tiefe Verwurzelung hat. All diese Prinzipien haben WirGarten 2019 ein Bio-Zertifikat eingebracht.

Ökologisch nachhaltig soll es sein und nah am Menschen. Genoss:Innen werden so zum Mitgärtnern oder zur Hofbesichtigung eingeladen und in seinen Newslettern präsentiert das Team die besten Methoden, das Gemüse zu lagern und gibt Inspiration für leckere Gerichte.
 

Landwirtschaft direkt und digital

"Ich würde sagen so 80 Prozent von dem Gemüse, dass ich esse, kommt von WirGarten", verrät Sandra Strassel, die sich seit Jahren vegetarisch ernährt. Besonders aber schätzt sie, wie sich ihre Beziehung zu ihrem Essen und den Menschen, die es produzieren, verändert hat. "Es war spannend zu sehen, wie nah das ist. Zu sehen, wie wenige Leute das Feld, das die dort haben, bewirtschaften, hilft mir, das mehr wertzuschätzen. Es ist nicht mehr so distanziert wie wenn man nur das Endprodukt sieht."

Außerdem muss sich Sandra keine Gedanken mehr darüber machen, was für Gemüse sie einkaufen muss. Durch die saisonale Auswahl "habe ich viele neue Gemüsesorten kennengelernt. Und ich müsste mir Gedanken machen. 'Wie koche ich das jetzt?’”. Mit einem Lachen im Gesicht erzählt sie von ihrer Erfahrung: "Ich hab nicht erwartet, dass Rotkohl so lange zum Kochen braucht."

Für den Vorstand von WirGarten ist das Projekt nicht nur ein Betrieb. Es will "einen Beitrag für ein zukunftsfähige Agrar- und Ernährungssystem leisten" und "Menschen befähigen, eine artenreiche, klimafreundliche und regenerative Landwirtschaft und regionale, saisonale und gesunde Ernährungswirtschaft zu gestalten", erzählt Vorstand Matti Pannenbäcker "STURM und DRANG". Deswegen beschränkt sich das Team nicht nur auf den lokalen Anbau, sondern möchte anderen Betrieben und Personen helfen, auf der Basis ihrer Erfahrungen aufzubauen. Das Team stellt ein Handbuch kostenlos zur Verfügung oder gibt Online-Kurse. 

Matti Pannenbäcker engagiert sich außerdem nebenbei dafür, digitale Methoden stärker in den landwirtschaftlichen Bereich zu etablieren. "Wir versuchen im WirGarten digitale Tools überall dort zu nutzen, wo sie im Sinne des Unternehmenszwecks dienlich sind." Standardisierung und Automatisierung soll die Prozesse erleichtern oder wirksamer gestalten.
 

Solawis als Zukunftsmodell?

WirGarten zeigt, wie es funktionieren kann und viele andere auch. Auch in anderen Teilen Deutschlands finden sich solidarische Landwirtschaft-Genossenschaften (Solawi). Laut solidarische-landwirtschaft.org gibt es derzeit 389 Solawis in Deutschland und 89 sind in der Gründungsphase. Das System scheint durchaus Wellen zu schlagen.

Bisher versorgt WirGarten 325 Haushalte mit ökologisch nachhaltig angebautem Gemüse - eine Zahl, die in Anbetracht von Lüneburgs 77.000 Einwohnern (Stand 2021) nicht so eindrucksvoll wirken mag. Sandra aber ist zufrieden mit ihren Ernteanteilen. Es kann zwar mal passieren, “dass man zu wenig bekommt, wenn man zu spät seinen Anteil abholt”, aber das hat sie seit ihrem Wechsel zur Abholstation am Campus nicht mehr erlebt. All ihr Gemüse wieder im Supermarkt einzukaufen, kann sie sich jetzt aber nicht mehr vorstellen. “Es ist nur etwas schwierig, wenn ich die Stoffbeutel vergesse.”

Auf unserem Blog findet ihr weitere Beiträge zur Konferenzwoche 2022 oder folgt uns auf Instagram bei leuphana.college.