Das Graduiertenkolleg „Kulturen der Kritik“ trauert um Christoph Jamme

13.05.2021

Mit Christoph Jamme verlieren wir einen leidenschaftlich engagierten Philosophen, der unsere Diskussionen kritischer Theorien und Praktiken mit seinen historisch-systematisch orientierten Beiträgen bereichert hat. Mit Neugierde und Offenheit hat sich Christoph Jamme den Themen der Kollegiat*innen zugewandt und wichtige, oft unerwartete Impulse zur weiteren Entwicklung der Arbeiten gegeben. Immer wieder hat er Kollegiat*innen in eigene Projekte einbezogen, intellektuelle Kontakte hergestellt, Publikationen ermöglicht und den Einstieg in die Lehre unterstützt. Um die Vielfalt seines Engagements im Kolleg zum Ausdruck zu bringen, haben wir individuelle Erinnerungen der Kollegiat*innen versammelt.

Wir werden Christoph sehr vermissen. In unseren Diskussionen wird er gegenwärtig bleiben.

Unsere tiefe Anteilnahme gilt seiner Familie.

Erich Hörl und Beate Söntgen, im Namen des Kollegs

 

 

Als Kollege und Institutsmitglied fiel seit jeher das herzliche und häufige Lachen Christoph Jammes auf. So anders, als mein Eindruck ernster, ja fast schon strenger, Philosoph*innen war, hat sein Lachen dieses Bild auf positive Weise verrückt. Seine fröhliche und humorvolle Art machte die vielen gemeinsamen Sitzungen und Lehrplanungstreffen zu einer stets angenehmen Veranstaltung. Seine Lehrveranstaltungen setzte er sehr dezidiert, von intrinsischer Lust getrieben und thematisch gesetzt und bot sie von Semester zu Semester an mit dem Satz: „dies sind die Themen, die ich kommendes Semester machen werde. Bringt Sie dort unter, wo es Bedarf gibt“ - ein Ausdruck seiner durch und durch philosophischen Natur, die sich an Inhalten und nicht an institutionellen Strukturen und ihren vermeintlichen Bedeutungssemantiken orientiert.

Christoph Brunner

 

Seine herausragende Kenntnis der philosophischen Überlieferung spricht nicht nur aus Christoph Jammes Publikationen. Sie floss auch in unzählige Gespräche, Kolloquien und Lehrveranstaltungen ein. Dass er darüber hinaus ein passionierter Leser und profunder Kenner der Literatur war, habe ich selbst vielfach erfahren – nicht zuletzt in zwei Seminaren über Goethe und Kafka, die wir gemeinsam leiteten. Dabei war es keineswegs nur die philosophische Ästhetik, der Jamme sich hier verbunden fühlte. Am sinnlichen Scheinen der Idee interessierte ihn immer auch das Sinnliche – also alles das, was nicht im Begriff aufgeht und nicht ins Philosophische übersetzbar ist. Sein lebenslanger Referenzpunkt hierfür war Hölderlin, und darüber hinaus die Konstellation Hegel – Schelling – Hölderlin sowie die philosophisch-künstlerische Verdichtung um 1800 überhaupt. Die kühnen Entwürfe und Kunstwerke aus dieser Zeit haben nichts von ihrer Aktualität verloren – sofern man ihre Relevanz erkennt und sie zu lesen versteht. Christoph Jamme hat das immer wieder eindrucksvoll gezeigt.

Sven Kramer

 

Für mich gehört Christoph Jamme zu jenen Philosophen, die eine Antwort auf die Frage, was Philosophie ist, gegeben haben. Durch sein unermüdliches Engagement in öffentlichen Debatten und seine verschiedenen Versuche, die Philosophie zu popularisieren, hat er gezeigt, dass die Philosophie zuallererst Diskussion ist. Wie widersprüchlich auf den ersten Blick dieses Engagement scheinen könnte! Christoph Jamme war ein wichtiger Spezialist des deutschen Idealismus, ein renommierter Forscher im Bereich der Philosophie des Mythos und der Aufklärung; Themen von einer extremen Komplexität, die vor allem einen Neophyten wie mich auf diesen Gebieten nur einschüchtern und in der irrigen Überzeugung bestärken können, dass die Philosophie in ihrem Elfenbeinturm verschlossen ist. Aber Christoph arbeitete unermüdlich daran, diese Themen zu popularisieren, weil ihm mehr als jedem anderen die tiefste Bedeutung der Philosophie am Herzen lag: dass sie vor allem Dialog, Diskussion, Begegnung ist; dass sie kein geschlossenes Feld ist; dass sie nicht katalogisiert oder eingeordnet werden kann; dass sie kein Schutzraum gegen die Unsicherheiten der Existenz ist, sondern der instituierte Raum einer diskursiven Praxis. Christoph hat es uns eindrücklich gelehrt.

In meiner Erinnerung wurden diese Aspekte seiner Persönlichkeit vom ersten Moment an klar. Als ich 2016 von der ZHdK an die Leuphana wechselte, suchte Christoph den Kontakt mit mir, mit meiner Familie; den persönlichen Kontakt, der darin besteht, Welten zu teilen. Er bot mir die Möglichkeit zum Kontakt, wie es nur ein grossartiger Gastgeber tun kann. Ich glaube, dass Christoph wusste, dass ein philosophischer Dialog nur aus einer realen, täglichen Begegnung entspringen kann, weil die Sektoralismen der je geschlossenen Forschungen nur hindernd im Weg stehen. Zudem wusste er, dass der philosophische Dialog auch in der Unpersönlichkeit der Begegnung stattfindet, in den Lektüren aus der Ferne. Ohne irgendwelchen Druck hat Christoph in meinem Büro, auf meinem Schreibtisch, unzählige Texte hinterlegt, die er mit einer Widmung versah. So wollte er mich auf dem Laufenden halten, welche die letzten Richtungen seiner Reflexion waren. Ich werde ihn sehr vermissen.

Roberto Nigro

 

 

Als ich 2011 von der Ruhr-Universität Bochum an die Leuphana wechselte, gehörte Christoph zu den Kolleg*innen, die mich mit Offenheit und Wärme aufgenommen haben. Über unser geteiltes Interesse an Kunsttheorie und Ästhetik haben wir Pläne gemacht für gemeinsame Lehre und Projekte, vor allem zu Cézanne und den Dingen, mit heiterer Leichtigkeit. Diese stand für mich in immer wieder überraschendem Kontrast zu seiner philosophischen Strenge, Strenge im positiven Sinne von Präzision und klarer, aber keineswegs unumstößlicher Haltung. Vehement hat Christoph diese artikuliert, um sich gern, mit guten Argumenten, auch umstimmen zu lassen. Den Wunsch, seine in der Geschichte der Philosophie wurzelnden Themen und Fragen auf den Prüfstand der Gegenwart zu stellen und über die Disziplin hinaus einem breiten Publikum nahezubringen, habe ich immer bewundert. Seine Diskussionsfreude, die intellektuelle Klarheit und vor allem die so liebenswürdige Heiterkeit werden mir sehr fehlen. Nicht von ungefähr liegt die Urgeschichte der Theorie im Lachen der Thrakerin, wie Hans Blumenberg, den auch Christoph so gern gelesen hat, es beschrieben hat.

Beate Söntgen

 

 

In der Philosophie gibt es keine Abkürzungen. Man kommt, so Hegel in seiner „Phänomenologie des Geistes“, nicht mithilfe von „Raketen“ ins „Empyreum“, jenen obersten Himmel, in dem die Alten die Heimat des Lichts vermuteten. Der Aufstieg ist mühsam, Paragraf für Paragraf. „Die Wissenschaft verlangt von ihrer Seite an das Selbstbewusstsein, dass es in diesen Äther sich erhoben habe, um mit ihr und in ihr leben zu können und zu leben. Umgekehrt hat das Individuum das Recht zu fordern, dass die Wissenschaft ihm die Leiter wenigstens zu diesem Standpunkte reiche, ihm in ihm selbst denselben aufzeige.“ Hegels Texte sind eine solche Leiter, jeder kann sie benutzen, und Du hast gezeigt, wie.

Auf unserer ‚Sandbank der Endlichkeit’ bestätigt die Zufälligkeit des Todes die Hinfälligkeit alles Irdischen, und wissend, dass die innere Natur des Menschen nicht zum Überleben gemacht ist, denken wir voller Freude an die schönen gemeinsamen Zeiten, denn eine Versöhnung mit der Welt, kann nur im wandernden Blick gefunden werden.

So bleibst Du uns im Geiste. Aber das Jetzt, das ist die Nacht.

Charlotte Szász