„Diese Zukunft gab es nicht.“ Objekte einer anderen Geschichte

18.05.2020 Andreas Bernard, Professor am Centre for Digital Cultures, sammelt Gegenstände, die für ein Ereignis vorproduziert wurden, das nicht eintraf. In seiner Sammlung befinden sich etwa Uhren, die als Geschenke an die Delegierten des geplanten SED-Parteitags im Mai 1990 hätten verteilt werden sollen. Das ungewöhnliche Projekt findet breite Aufmerksamkeit; im Mai 2020 berichtete das ZEIT Magazin darüber.

Newsweek Hilary Clinton ©© Brinkhoff-Moegenburg/Leuphana
Newsweek-Sonderausgabe

„Dies ist eine Sonderausgabe der Zeitschrift Newsweek von Anfang November 2016. In der Ausgabe wird die neue Präsidentin Hillary Clinton gefeiert und ihr Weg zum Sieg dargestellt. Auf dem Titelblatt seht man Hillary Clinton in der Pose einer Gewinnerin. Das Foto ist so ausgeleuchtet, dass es aussieht, als würde sie im Licht stehen. Der edel wirkende Schmuck wird von dem Fotografen dezent als Symbol ihrer Macht betont. Inhaltlich bietet die Sonderausgabe nichts, was zu dem Zeitpunkt nicht schon bekannt gewesen wäre – Interviews mit Wegbegleitern, Merkwürdigkeiten aus ihrer Vergangenheit, Spekulationen darüber, ob ihr Ehemann mit ihr ins Weiße Haus einzieht. Die Newsweek-Redaktion muss sich sehr sicher gewesen sein, denn diese Sonderausgabe wurde in einer Auflage von 120.000 Exemplaren gedruckt und aus einem Versehen heraus auch an den Handel ausgeliefert. Zumindest in einer Buchhandlung in New York wurde das Heft schon am Wahlabend verkauft. Als sich am späten Abend der Sieg Trumps abzeichnete, wurde das Heft sofort vom Markt genommen und eingestampft. Schon am nächsten Abend lag die ebenfalls vorproduzierte Newsweek-Sonderausgabe zu Donald Trump in den Regalen.
Es war schwer, an diese Ausgabe heranzukommen. Ich fand sie schließlich bei Ebay. Ich finde es ein bisschen unheimlich, diese Ausgabe durchzublättern, wenn man bedenkt, welchen Lauf die Geschichte nahm. Eine Zukunft, die nicht eingetreten ist, auch mit allen Hoffnungen, die an diese Zukunft geknüpft waren, wird in dieser Ausgabe materiell. Hier ist versehentlich ein Objekt aus einer Art Paralleluniversum an die Öffentlichkeit geraten.“

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Andreas Bernards Kollektion umfasst fast 100 Objekte; neben der Newsweek-Ausgabe zum Beispiel der Text einer Rede, die Richard Nixon gehalten hätte, wenn die Astronauten 1969 nicht vom Mond zurückgekommen wären. Sie wird voraussichtlich im Jahr 2021 in Berlin zu sehen sein. Das ZEIT Magazin hat dieser Sammlung hypothetischer Objekte in der Ausgabe vom 7. Mai ein gesamtes Heft gewidmet.
In seiner Forschung am Centre for Digital Cultures beschäftigt sich der Kulturwissenschaftler unter anderem mit Fragen der Repräsentation („Wie möchte ein Staat/eine Einrichtung/eine Person gesehen und abgebildet werden?“). Die Gegenstände der Ausstellung sind eine Art Negativbild dieser Bemühung – Dokumente und Objekte, denen die Wirklichkeit einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Die Pointe, auf die sowohl Bernards kuratorische als auch wissenschaftliche Arbeiten hinauslaufen, ist, zu zeigen, dass Geschichte voller Zufälle und Brüche ist. Was geschah, lässt sich weder in ein einziges Narrativ bringen noch war es zwingend notwendig.